Damit die Richtung stimmt

Die Türen und Fenster im Südtrakt HB Zürich hat die Huber Fenster AG nach historischen Vorbildern rekonstruiert. Heute, wie schon 1871, öffnen alle nach aussen. Bild: Thomas Telley/Huber Fenster AG

Öffnungsrichtung.  Aussentüren öffnen manchmal nach innen, aber inzwischen meistens nach aussen. Letztere dienen der leichten Fluchtmöglichkeit im Fall der Fälle. Die Regelungen dazu stammen aus dem Brandschutz, aber noch sind nicht alle Türen entsprechend umgerüstet.

Es geschah am Nachmittag des 30. September 1915. In der Kammfabrik Mümmliswil SO kommt es zu einer Explosion. Der Staub des für die Produktion der Kämme eingesetzten Zelluloids entzündet sich. Der Boden stürzt durch die Wucht der Explosion ein, die Produktionshalle steht in Flammen. Die Menschen wollen nur noch raus, doch die grosse Tür geht nicht auf. Sie ist nach innen zu öffnen und hat sich verkeilt. 32 Menschen finden den Tod.

Das Unglück sorgte schweizweit für Betroffenheit und Anteilnahme. Es markiert die Geburtsstunde für modernisierte Regelungen zum Brandschutz und für die Praxis, dass Aussentüren durch Stossen ins Freie führen.

Das sagen die Regelungen

Türen in Fluchtwegen öffnen in Fluchtrichtung. Das betrifft zunächst alle Räume, die von mehr als 20 Personen belegt sind. Dieser Grundsatz gilt laut VKF-Brandschutzrichtlinie unabhängig von der Nutzungsart. Aussentüren zu Räumen mit einer Personenbelegung von höchstens 20 sind davon ausgenommen. Es gibt jedoch auch abweichende Regelungen, etwa bei Beherbergungsbetrieben. Dies lässt sich den Ausführungen der VSSM-Fachdokumentation «Brandschutz für Schreiner» entnehmen. Dazu gehören auch Hotelzimmer- und Hoteleingangstüren, die prinzipiell nach innen öffnen dürfen. Auch bei Mehrfamilienhäusern müssen die Wohnungseingangstüren nicht in Fluchtrichtung öffnen, die Hauseingangstür eines Mehrfamilienhauses wiederum muss ab elf Wohneinheiten zwingend nach aussen öffnen.

Gängige Praxis

Es gibt also nur noch wenige Ausnahmen von der gängigen Praxis, Aussentüren als Fluchttüren nach aussen öffnen zu lassen. Der gerade nach Sanierung wiedereröffnete Südtrakt des Zürcher Hauptbahnhofes (HB) hat viele Türen nach aussen und auch in die Bahnhofshalle. Alle öffnen in Fluchtrichtung. «Das war auch bei den Original-Türen von 1871 so», weiss Markus Signer, Projektleiter bei der Huber Fenster AG in Herisau AR. Die Originale waren jedoch dermassen verbaut worden im Laufe der Zeit, dass man sich für einen originalgetreuen Nachbau der Türen und Fenster entschlossen hat. Fünf der Original-Türen fehlten gänzlich. Diese wurden in Eiche gefertigt, und die Oberfläche wurde mit einer Öl-Lasur behandelt. Das ist wichtig für die spätere Pflege. Denn ein genereller Nachteil von auswärts öffnenden Türen ist ihre Beanspruchung durch die Witterung. Auch die Bauelemente am Südtrakt des HB Zürich sind nicht gerade besonders geschützt vor der Witterung, auch wenn die Türen in den mächtigen Steinportalen etwas zurückspringen. Eine regelmässige Pflege und Wartung der Türen ist deshalb eingeplant.

Ein wichtiger Punkt waren auch die denkmalschützerischen Ansprüche. Die schwarz lackierten Zierlemente sind in Aluguss ausgeführt. Da einige fehlten, mussten zunächst die Giessformen erstellt werden, damit am Ende alle Türen die Zierelemente tragen konnten. Die gestalterische Wirkung der schwarzen Elemente setzt sich auch an den modernen Beschlägen, wie den Bändern, fort. In den Türen steckt eine ganze Menge Technik. Auch wenn nicht alle Türen motorisch betrieben sind, nicht alle eine Beleuchtung aufweisen, haben sie doch alle die dafür erfoderlichen Fräsungen erhalten. «So können wir bei Bedarf einfach die Komponenten montieren und die Türen aufrüsten», erklärt Signer. Panikfunktion, Türschliesser, Kabelübergänge, Motorenschlösser, Beleuchtung bis hin zum Sonnenschutz sind einige Anforderungen, die es einzuplanen galt.

Einfach noch einen Anspruch mehr

Ein Wechsel der Öffnungsrichtung tangierte die wenigsten Bereiche der Konstruktion. «Die rechtlichen Bestimmungen und Vorschriften gelten grundsätzlich für Aussentüren, unabhängig davon, ob sie nach innen oder aussen öffnen. Dies betrifft beispielsweise Prüfklima, U-Werte, Einbruchschutz, Luftschalldämmung, Schlagregendichtheit, Leistungserklärungen und Brandschutz gemäss fremdüberwachter WPK sowie die Einhaltung der Norm SIA 271», erläutert Marco Wüst, Geschläftsleiter und Leiter Türenbau bei der BS Fenster- und Türenbau AG in Sursee LU.

Im Beispiel Südtrakt HB Zürich ist die Besonderheit ein Detail an den Lappenbändern. Diese haben einen Sicherungsstift, der seitlich in die Bandrolle eingeschraubt wird und nur bei geöffneter Tür zugänglich ist. Das allerdings ist bei aussen liegenden Bandrollen entscheidend, damit der Stift als Drehachse nicht aus der Bandrolle herausgetrieben werden kann.

Ein Mehr an Sicherheit bringt auch die sogenannte Hinterbandsicherung, die als Schutz vor einem Aushebeln dient. Beim Schliessen der Türen greifen dabei Sicherungszapfen in eine Gegenplatte. Diese kommen genauso auch bei nach innen öffnenden Türen, wie etwa Wohnungseingangstüren, zum Einsatz.

Sicherheit und mehr

Ist im Gebäudeinnern wenig Platz, bringt eine nach aussen öffnende Tür einen Raumgewinn. So lässt sich auch bei beschränktem Platzangebot ein Windfang etwa bei Restaurants umsetzen. Weitere Vorteile: Das Einhalten der Schlagregendichtheit bei überfälzten Türen ist einfacher. «Wenn die Überschlagsdichtung auf einer Ebene rundum vierseitig angebracht ist, gestaltet sich das Eindringen von Wasser, selbst im Bereich der Schwelle von Spritz- oder Stauwasser, schwieriger im Vergleich zu einwärts öffnenden Türen», erklärt Wüst.

Auch werde in Wohnungen, in denen durch Belüftungssysteme oder Haushaltsgeräte ein Unterdruck entsteht, der Anpressdruck der Tür erhöht. Dieser Effekt sei im Hinblick auf die einzuhaltenden Werte eher vorteilhaft als nachteilig. Die Dichtheit ist bei zunehmendem Winddruck generell höher als bei einwärts öffnenden Türen, da das Türblatt in die Dichtungsebene gedrückt wird. Allerdings ist bei auswärts öffnenden Türen – egal, wo sie sich befinden – immer zu beachten, dass der Öffnungsbereich des Drehflügels stets frei bleibt.

Worauf zu achten ist

Nebst den Sicherungseinrichtungen bei den Bändern gibt es weitere einzelne Komponenten, die bei nach auswärts öffnenden Türen besonders zu beachten sind. «Ausser der äusseren Dichtungsebene ist auch eine innere Dichtung erforderlich. Andernfalls könnte durch Dampfdiffusion eine Abkühlung der Luft in der Falzgeometrie und somit die Bildung von Kondensat stattfinden», erklärt Wüst.

Einen weiteren wichtigen Punkt spricht der Experte beim konstruktiven Holzschutz an. Bei überfälzten Türen, die der Witterung ausgesetzt sind, muss verhindert werden, dass Wasser zwischen Rahmen und Türblatt eindringen kann oder sich stehendes Wasser bilden kann. «Dies kann durch einen schrägen Überschlag beim Türblatt und durch einen überlappenden Holzschutz wie beispielsweise einen ‹Kapitäli› inklusive geeigneten Neigungswinkels und Wassernase erreicht werden», sagt Wüst.

Der Bestand ist unterschiedlich

Wer aufmerksam durch die Gemeinden spaziert, dem fallen viele nach aussen öffnende Türen in jüngeren Bauten auf. Zwischendurch jedoch stechen Aussentüren ins Auge, die nach innen öffnen, aber laut den Brandschutzvorschriften nach aussen öffnen müssten. Ursächlich hierfür ist praktisch ein Bestandesschutz. Denn: Die Brandschutzvorschriften gelten grundsätzlich für Neubauten. «Bestehende Bauten sind verhältnismässig an die Brandschutzvorschriften anzupassen, wenn wesentliche bauliche oder betriebliche Veränderungen, Erweiterungen oder Nutzungsänderungen vorgenommen werden», so der Wortlaut der Brandschutznorm. Wo immer saniert wird und eine nach aussen öffnende Tür nach Regelwerk gefordert wird, sollte diese auch umgesetzt werden. Ein Knackpunkt sind hierbei historische Türen. «Eine Umrüstung von innen nach aussen ist kaum möglich. Was man machen kann, ist die alte Tür als Doppel zu verwenden und es auf einen neuen Rohling mit entsprechender Falzgeometrie anzubringen», sagt Signer. Deshalb dauert es manchmal etwas, bis eine Tür auch dort, wo sie es eigentlich müsste, in Fluchtrichtung öffnet.

Die Norm kennt aber einen Tatbestand, der Anpassung fordert: Wenn besondere Gefahren für Personen bestehen, muss gehandelt werden. Die Katastrophe von Mummliswil wirkt bis heute im kollektiven Gedächtnis fort.

www.huberfenster.chwww.bs-sursee.ch

Christian Härtel

Veröffentlichung: 14. März 2024 / Ausgabe 11/2024

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