Der Vogelversteher

Jonas von Burg (29), Schreiner und Feldornithologe, bringt Menschen die wundersame Welt der Vögel näher. Bild: Caroline Schneider

Jonas von Burg zeigt auf Bilder aufgefächerter Flügel eines Rotkehlchens und erklärt, anhand welcher Kriterien er das Alter des Singvogels bestimmen kann. Für einen Nichtkenner sind kaum Unterschiede zu erkennen. Von Burg ist Ornithologe mit Leib und Seele. Der Schreiner ist durch einen ehemaligen Nachbarn auf den Vogel gekommen, einen Biologen, der ihn als Jugendlichen auf die Beringungsstation Subigerberg im Solothurner Jura mitgenommen hat. Da fing von Burg Feuer für die gefiederten Tiere. Fliegen und Freiheit faszinieren ihn. «Vögel kennen keine Grenzen, sie überfliegen sie mühelos und sind gänzlich frei in ihrer Existenz.» Von Burg ist beeindruckt von den Leistungen der Vögel. «Das Goldhähnchen ist der kleinste Vogel Europas mit einem Gewicht von vier bis acht Gramm, was zirka zwei Würfeln Zucker entspricht», erzählt er. Um seine Körperfunktionen aufrechtzuerhalten, nehme es jeden Tag Nahrung im Umfang seines Eigengewichts zu sich. «Trotz seines geringen Gewichts fliegt es im Spätherbst mehrere Hundert Kilometer weit in südlichere Gebiete, zum Teil auch gegen den starken Westwind», sagt von Burg. «Das grenzt für mich an ein Wunder.» In der Vogelwelt finde man Kraftakte, die den Menschen unscheinbar dastehen lassen, sagt von Burg, und er erzählt vom Steinschmätzer, einem sperlingsgrossen Singvogel, der in einem 3000 Kilometer langen Direktflug über den offenen Atlantik fliegt, und von Kaiserpinguinen, die im antarktischen Winter bei Temperaturen von minus 50 bis minus 60 Grad brüten. «Dass unter solchen Bedingungen ein Küken schlüpfen und überleben kann, ist für mich nach wie vor ein Mysterium», sagt er.

Von Burg nimmt jedes Jahr am «Bird Race» teil. Bei diesem Wettbewerb geht es darum, mit einer Gruppe von maximal vier Personen innerhalb von 24 Stunden möglichst viele Vogelarten zu entdecken. Der Schreiner hat eine Ausbildung zum Feldornithologen absolviert und leitet selbst Grundkurse oder Exkursionen. Seit vielen Jahren geht er jeden Herbst zum Beringen auf die Jurakette. «Wir bestimmen das Alter, die Art, und wie fit ein Vogel ist.» Letzteres erkenne man an der Muskelmasse und den Fettreserven. Anhand der Analyse der Daten stellt man Veränderungen innerhalb einer Vogelart fest, die zum Teil klimatisch bedingt sind. Auch die Landwirtschaft bedroht einzelne Vogelarten. Von Burg ist nicht einer, der missioniert, er ist aber davon überzeugt, dass jeder Einzelne zur Biodiversität und zum Schutz der Vögel beitragen kann. «Das beginnt im eigenen Garten. Anstelle von monotonen, für die Vögel unbrauchbaren Rasenflächen kann man Blühstreifen mit Wildblumen anlegen, einheimische Sträucher pflanzen, Kleinstrukturen wie Ast- oder Steinhaufen erstellen oder die dürren Sonnenblumen oder Disteln im Herbst stehen lassen.» So kann sich die Natur ihren Platz zurückerobern.

Da der Mensch visuell und weniger auditiv geprägt ist, sei es sehr anspruchsvoll, Vögel anhand ihrer Stimme zu erkennen. Von Burg gibt einige Eselsbrücken preis: Der Grauspecht töne wie ein Grünspecht, dem die Batterien ausgegangen seien. Die Mönchsgrasmücke klinge wie ein Feuerwehrauto, die Türkentaube rufe dreisilbig «Gross-mue-ter» und der fünfsilbige Ruf der Ringeltaube töne wie «Friss-Suur-chrut-Rue-di».

Der passionierte Hobbyornithologe möchte den Menschen die Freude an den Vögeln weitergeben, ihnen die Augen öffnen für jene Lebewesen, die so selbstverständlich um sie und mit ihnen leben und die Welt mit ihrem Gesang bereichern.

«Vögel kennen keine Grenzen, sie überfliegen sie mühelos und sind gänzlich frei in ihrer Existenz.»

Caroline Schneider

Veröffentlichung: 25. November 2021 / Ausgabe 48/2021

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