Ein Prozess und kein Zustand

Von Plänen zum 3D-Modell: BIM vereint grundlegende Informationen über ein geplantes und in der Entstehung befindliches Gebäude. Illustration: BFH Biel

BIM.  Building Information Modeling (BIM) ist der grosse Hype der Baubranche. Nebst grosser Begeisterung gibt es auch Ablehnung aufgrund von Missverständnissen. Die Folge: Frustration und Enttäuschung bei den Beteiligten. Es ist Zeit, mit den Mythen rund um BIM aufzuräumen.

Das BIM-Informationsmodell besteht nicht nur aus 3D-Geometrie, sondern enthält zahlreiche Informationen zu Geometrie und Leistungseigenschaften sowie Links zu zugehörigen Unterlagen und Spezifikationen. Diese sind im Projektinformationsmodell (PIM) und im Anlageninformationsmodell (AIM) enthalten. Der Übergang von CAD zu BIM bedeutete im Wesentlichen die Erstellung von Modellen anstelle von Zeichnungen und das Arbeiten in einer kollaborativen Umgebung. Wer deshalb denkt, dass BIM nur eine trendig verpackte CAD-Lösung sei, ist dem ersten Mythos auf den Leim gegangen. BIM sollte als Prozess verstanden werden, der durch Technologie befähigt und unterstützt wird.

Vermeintliche Hürden in der Umstellung

Ein weiterer Mythos ist, dass für die Einführung von BIM die komplette IT- und CAD-Landschaft ausgetauscht werden müsse. Natürlich kommt es ganz auf die heutige Ausstattung an. Aber die meisten Planungsunternehmen verfügen über moderne Computer und besitzen BIM-kompatible Software und Anwendungen. Was jedoch häufig fehlt, ist die Bereitschaft, einen Planungsprozess mit BIM voranzutreiben und die Optimierungen daraus anzunehmen.

Nicht nur die Grossen profitieren

Damit verbunden ist der Mythos, dass bei der Einführung von BIM neue Mitarbeitende oder neue Teams gebraucht würden. Klar ist: Im Umgang mit BIM sind neue Fähigkeiten notwendig. Mitarbeitende und Teams, die bereit für Veränderungen sind, lassen sich jedoch effizient in den notwendigen Fähigkeiten schulen.

Die Ansicht, BIM sei bloss für Grossprojekte und öffentliche Auftraggebende, hält sich ebenfalls hartnäckig. Doch würden kleine Unternehmen am meisten von den BIM-Effizienzgewinnen profitieren. «Klein» bedeutet dabei nicht immer einfach. Der Umfang des Projekts hat keinen Einfluss auf die Komplexität des Baus. Obwohl die öffentliche Hand zunehmend öfter BIM vorschreibt, erkennen vermehrt auch private Auftraggebende und Auftragnehmende dessen Vorteile. Oft spielt in diesem Zusammenhang der Mythos von den vermeintlich viel höheren Kosten von BIM eine Rolle. Tatsächlich können bei der Einführung im Vergleich zu anderen traditionellen Verfahren höhere Anfangskosten anfallen. Jedoch sind die langfristigen Vorteile eindeutig höher zu gewichten.

Die Einführung benötigt Zeit

Es gibt Stimmen, welche die negativen Auswirkungen auf die Produktivität ins Feld führen. Es ist so, dass die Einführung von BIM Zeit braucht. Wer jedoch dranbleibt, wird auf mittlere Sicht wesentlich produktiver sein.

Ein weiteres weitverbreitetes Missverständnis ist, dass BIM Geometrien bis ins letzte Bit und Byte verlangt. Das ist nicht korrekt. Man sollte aber sicher sein, welche Informationen in welcher Granularität verlangt und benötigt werden. Kurz: Es braucht so viele Details wie nötig und so wenige wie möglich. Dabei nimmt der Umfang dieser Informationen im Laufe des Projektlebenszyklus zu, weil mit dem Einsatz von BIM die entsprechende Anzahl an Anwendungsfällen wächst.

Einbindung aller Gewerke ist zentral

Ein weiterer Mythos rund um BIM besagt, dass die verschiedenen Gewerke nicht wüssten, wofür sie BIM benötigten. Wenn Bauherrschaften BIM in ihrem Projekt verlangen, ohne Vorteile gegenüber der konventionellen Planung zu kennen, dann ist das ein Problem. Abhilfe schafft hier ein regelmässiger, gemeinsamer Austausch mit allen involvierten Parteien. Der Aufwand dafür lohnt sich. So kann zum Beispiel sichergestellt werden, dass Kundinnen und Kunden oder Facility-Management-Teams die an sie gestellten Anforderungen kennen. Dadurch profitieren von BIM nicht nur ausschliesslich Planungs- und Bauteams, wie ein weiterer Mythos lautet. Bauherrschaften nutzen die Vorteile von BIM, indem sie die Informationen des Modells während der Planung zur Optimierung der bestmöglichen Resultate verwenden. Die Kosten für die Planung und den Bau einer Liegenschaft sind im Vergleich zu den Betriebskosten während deren Lebensdauer vernachlässigbar. Daher ist es vorteilhaft, wenn man anhand konsistenter, strukturierter und digitaler Daten erkennt, wo Betriebskosten anfallen. Nach der Inbetriebnahme lassen sich unter dieser Voraussetzung bessere Entscheidungen fällen.

Der Vorteil der Zusammenarbeit

Die konsistente Messung von BIM-Nutzen und -Kosten ist aufwendig. Ohne die Abstimmung und die Koordination zwischen Projektteam, Zuliefernden und Bauherrschaften lässt sich keine Quantifizierung oder Energieanalyse durchführen. Nur weil man ein Fenster, einen Tiefbauschacht, ein Gleis vom ersten Tag an im Detail modellieren könnte, heisst das noch lange nicht, dass das getan werden muss.

Die Angst, dass sich zudem die Designentwicklung komplett verändert, weil sie sich in die Software verschiebt, ist ebenfalls unbegründet. Es entsteht jedoch ein viel grösserer Abstimmungs- und Koordinationsbedarf, zum Beispiel bei den gemeinsam verwendeten geometrischen und informellen Daten.

www.bearingpoint.com

Der Autor

Reto Tomasini

Der Autor ist Partner der Management- und Technologieberatung «BearingPoint» und verantwortlich für Bauindustrie und Maschinenbau in der Schweiz und ist Teil des Schweizer Leadership Teams. Tomasini unterstützt die Kundschaft bei der Entwicklung von Innovationsstrategien, bei der Umsetzung operativer Verbesserungen und bei Themen rund um Nachhaltigkeit. Er leitete unter anderem zahlreiche internationale Beratungsprojekte mit den Schwerpunkten Transformationsprogramme, Digitalisierung von Vertrieb, Projektmanagement und Betrieb. «BearingPoint» ist eine unabhängige Management- und Technologieberatung mit europäischen Wurzeln und globaler Reichweite. Die Beratung in der Baubranche konzentriert sich in der Schweiz auf Geschäfts- und IT-Transformationen, Innovationsbereiche innerhalb von Industrie 4.0, Internet of Things (IoT) und Digital Twins sowie auf die Förderung der eigenen Smart-SW-Lösungen und Business Services.

Reto Tomasini, SZ

Veröffentlichung: 09. März 2023 / Ausgabe 10/2023

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