Freigeist mit Sinn für das Schöne

Der Töggelichaschte ist ein zentrales Element in der Schreinerei von Böbu Ehrenzeller (58). Wer verliert, fasst ein Ämtli, wie beispielsweise das Rausbringen des Abfalls. Bild: Monika Hurni

«Die isch ja filmryf, die Szene i dere Frytignacht», so lauten die ersten Textzeilen von «Scharlachrot», einem der grössten Hits der Berner Mundartband Patent Ochsner. Das Treffen mit Gründungsmitglied Böbu Ehrenzeller findet zwar am Freitagnachmittag statt, trotzdem ist die Szene filmreif. Böbu – dass er eigentlich Stefan heisst, weiss kaum mehr er selber – ist eine Erscheinung. In seiner Zimmermannskluft, mit eigenwilliger Frisur und breitem Grinsen im Gesicht, nimmt er den ganzen Raum seiner Schreinerei im bernischen Kirchlindach ein. «Hier fühle ich mich wohl», sagt er und zeigt auf die klassischen Maschinen und Werkzeuge. «Das da drüben ist das Revier der Jungen», erklärt er mit einem Blick auf die CNC-Maschine. «Ich bin analog. Was die CNC nicht kann, landet bei mir.» 38 Jahre ist es her, seit er gemeinsam mit seinem Bruder und einem Freund in einer Doppelgarage im Berner Aussenquartier Bümpliz die Ehrenzeller und Kovatsch AG gegründet hat. Bümpliz – dort wohnt der 58-Jährige, dort ist er aufgewachsen, dort hat er Büne Huber, den Frontmann von Patent Ochsner, kennengelernt und dieser Ort trägt mit «W. Nuss vo Bümpliz» auch einer ihrer grössten Hits im Namen. Zur Musik gekommen sei er wie «die Jungfrau zum Kind», erinnert sich Ehrenzeller lachend: «Meine Schwester hatte einen Gitarrenkurs gebucht, ging dann aber ins Welschland. Da der Kurs bereits bezahlt war, musste ich gehen.» Aus der ersten Band mit dem Namen Knallfrösche entstand Pubell Püblic und schliesslich Patent Ochsner. Was der Band fehlte, war ein Bassist. «Wegen schwerwiegenden Vergehen, wie dem Erscheinen im Trainingsanzug, dem Tragen von weissen Socken oder dem Besuch des falschen Dancings kam keiner der Kandidaten infrage», erklärt Ehrenzeller.

Und so wurde aus dem Gitarristen ein Bassist, einer der bis heute keine Noten lesen kann. «Ich spiele nach Gehör.» Überhaupt sei er ein sehr intuitiver Mensch – ein Freigeist mit Sinn für das Schöne. So hat er sich in seinem Zuhause eine Töffwerkstatt und ein Malatelier eingerichtet. «Wenn ich mit dem Töff über die Felder fahre und am Wohlensee die Schwäne zählen kann, dann ist mein Tag perfekt.» Ehrenzeller mag es, Gegensätzliches miteinander in Einklang zu bringen. So etwa die Leidenschaft fürs Handwerk, wie das Schreinern oder das Schrauben an seinen Töffs mit seiner Leidenschaft für die Kunst. Mehr als zehn Jahre lang arbeitete er von Montag bis Mittwochmittag in seinem Betrieb und zog den Rest der Woche mit Patent Ochsner von Konzert zu Konzert – einmal sogar mit eingegipstem Bein, da ihm bei der Arbeit eine MDF-Platte auf den Fuss gefallen war. «Von unserem Debut haben wir 1000 Platten gepresst und gedacht, einen Grossteil davon zu verschenken und den Rest in der Garage einzulagern.» Doch es kam anders. Die erste Platte schlug ein wie eine Granate. «Wir waren komplett überfordert», erinnert sich Ehrenzeller. «Plötzlich mussten wir liefern und musikalisch besser werden.»

Die Band ritt über Jahre hinweg auf der Erfolgswelle, doch Ehrenzeller spürte wie ihm die Doppelbelastung zu schaffen machte. Der Wechsel zwischen Tag- und Nachtrhythmus führte zu körperlichen Problemen und irgendwann musste er sich entscheiden zwischen dem Schreinern und der Musik. So stieg er 2001 aus der Band aus. «Das Schreinern tut mir besser, es holt mich runter und gibt mir Ruhe», erklärt er seine Entscheidung. Und so bleibt nach der Arbeit noch etwas Zeit fürs Malen, für seine Töffausflüge und dafür «der Welt zuzuschauen, wie sie sich dreht».

«Das Schreinern tut mir gut, es holt mich runter und gibt mir Ruhe.»

Monika Hurni

Veröffentlichung: 21. Juli 2022 / Ausgabe 29-30/2022

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