Gegenwind kann Aufwind sein

Corinne Klausen ist in der Produktion von Talsee tätig und fühlt sich wohl. Bild: Helen Oertli

Gleichstellung.  Frauen sind Ausnahmen in der Schreinerbranche. Noch wird wenig getan, um den Berufsweg für sie attraktiver zu machen: Teilzeitstellen sind rar, alte Stereotypen resistent. Dabei würden Unternehmen von einer besseren Durchmischung profitieren.

Als Andrea Buckley-Koddenberg die Schreinerlehre an den Lehrwerkstätten Bern abschloss, war sie stolz auf die gute Ausbildung. Bald war die junge Schreinerin aber auch enttäuscht, weil sie bei der Stellensuche nur Absagen erhielt. Die Betriebe begründeten diese damit, dass Frauen unerwünscht seien, der Job zu anstrengend sei und sowieso eine zweite Garderobe fehle.

Nach Monaten der Arbeitssuche fand sie in einem Möbelgeschäft eine Stelle als Verkäuferin. Fünf Jahre später wurde sie Geschäftsführerin des Unternehmens. Heute, nach einer erfolgreichen Karriere im Möbelhaus, drückt die 42-Jährige wieder die Schulbank und studiert Geologie.

Zu viele verlassen die Branche wieder

So wie Andrea Buckley-Koddenberg geht es manchen Frauen, die sich für die Schreinerausbildung entschieden haben. Zwar ist der Frauenanteil in der Lehre mittlerweile auf 15 Prozent gestiegen, was Daniel Zybach freut, Bereichsleiter Berufsbildung beim Verband Schweizerischer Schreinermeister und Möbelfabrikanten (VSSM) und Mitglied der Geschäftsleitung. Sorge bereitet ihm allerdings, dass viele Frauen nach der Ausbildung die Branche wieder verlassen. Mit einem Frauenanteil von 5 Prozent stehen die Holz verarbeitenden Berufe ganz unten in der Statistik des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Auch bei den Diplomausbildungen an den höheren Fachschulen auf dem Bürgenstock und in Biel liegt der Frauenanteil unter 5 Prozent. «Potenzielle Talente werden vergeben», stellt Zybach fest.

Die Pensen in der Holzbranche sind hoch. Mit fast 90 Prozent liegt das Arbeitsvolumen deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt. Laut dem Bundesamt für Statistik arbeiten nur 7 Prozent aller Männer in Teilzeit. Thomas Iten ist Zentralpräsident des VSSM und Geschäftsleiter des Schreinerei- und Holzbaubetriebs Sigrist Rafz im Norden des Kantons Zürich. 7 von 70 Mitarbeitenden arbeiten in Teilzeit. Fixe Freitage zu organisieren, ist aber auch bei ihm im Betrieb schwierig. Doch wer die eigenen Kinder selber betreut, und häufig übernehmen das die Frauen, für den sind festgelegte Freitage ein Muss. «Offenbar ist der Leidensdruck bei der Suche nach Fachkräften noch nicht so hoch, als dass die Strukturen für Frauen angepasst werden müssen», folgert Zybach.

Gute Vorbilder sind gefragt

Katrin Künzi, Gleichstellungsbeauftragte und Professorin für Kommunikation und Kultur an der Höheren Fachschule Holz Biel, möchte für die Weiterbildungsangebote in Biel mehr Frauen gewinnen. «Wir müssen so kommunizieren, dass wir Frauen erreichen», sagt Künzi. Die Angebote sollen künftig nicht nur die technischen Kompetenzen beschreiben, die Holzingenieurinnen und Holztechniker in Biel erlernen, sondern auch die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte.

Judith Rauch hat in Biel Holztechnik mit Schwerpunkt Produktmanagement studiert. Heute steht sie an der Schnittstelle zwischen Technik, Design und Marketing. Zuerst beim Küchenbauer Piatti, nun seit drei Jahren beim Badezimmerspezialisten Talsee in Hochdorf LU, entwickelt sie als Produktmanagerin neue Kollektionen. Von der Idee über die Konstruktion und Produktion bis hin zu den Verkaufsunterlagen begleitet Rauch die Entstehung eines neuen Möbels. Sie profitiert davon, dass sie das Handwerk in der Schreinerlehre von Grund auf gelernt hat. Das Arbeiten mit den Händen und die kreativen Aspekte des Berufs haben Rauch an der Schreinerausbildung gereizt. Auch die Schreinerin im Dorf hat sie in der Berufswahl bestärkt. Diese war eine der ersten Frauen überhaupt, die eine Schreinerlehre abschlossen, und führt zusammen mit ihrem Mann eine Schreinerei. «Wir brauchen gute Beispiele», sagt Daniel Zybach. Frauen, die eine Vorbildfunktion einnehmen, an denen sich Junge orientieren können. Denn Mädchen sähen am Schnuppertag nur Männer, fährt der Bereichsleiter für Berufsbildung fort, «noch sind zu wenige Frauen sichtbar».

Von gemischten Teams profitieren

Rahel Schilling hat kürzlich von der Produktion in den Verkauf gewechselt und bildet sich nun zur technischen Kauffrau weiter. Mit Holz arbeitet sie zu Hause und baut in ihrer Freizeit Möbel. Für die Schreinerlehre hatte sie sich aus Freude am Handwerk entschieden. Sie absolvierte diese bei einem Betrieb im Dorf mit 20 Mitarbeitern, als erste und einzige Frau.

Bevor sie den Lehrvertrag erhielt, wurde abgestimmt. Die Belegschaft sollte entscheiden, ob sie als Frau ins Team gehört. «Kein schöner Start», erzählt sie. Und viel besser sei es danach nicht geworden. Rahel Schilling ist eine aufgeschlossene Person. Das Du, ein Lachen, spontan beim Fotoshooting mitmachen – das entspricht ihr. In die konservative Umgebung des Lehrbetriebs habe sie deshalb schlecht gepasst. Dass es bei ihrem neuen Arbeitgeber Talsee anders sei, schreibt sie auch der Unternehmensleitung zu, die eine offene Firmenkultur vorlebe. 71 Männer und 21 Frauen arbeiten bei Talsee. In der Administration und im Produktmanagement stellen die Frauen die Mehrheit, in der Produktion machen sie zehn Prozent der Belegschaft aus.

Corinne Klausen ist eine davon. Sie arbeitet seit vier Jahren in der Produktion in Hochdorf. Im Gegensatz zum Lehrbetrieb, wo sie die Ausbildung zur Bankschreinerin machte und sich häufig Sprüche anhören musste, fühle sie sich hier wohl. «Seit mehr Frauen in der Produktion arbeiten, hat sich das Arbeitsklima verbessert», sagt Mark Wunderlin, Mitglied der Unternehmensleitung von Talsee. Auch bei der Entwicklung von neuen Produkten profitiert die Firma vom hohen Frauenanteil: Das gemischte Team widerspiegelt die ebenso heterogene Kundschaft. Emotionale und technische Aspekte fliessen gleichermassen in das Design ein.

Vielfalt sorgt für Wettbewerbsvorteile

Dass sich Diversität in Unternehmen auszahlt, zeigt der aktuelle Report der Unternehmensberatung McKinsey. Ein Arbeitsplatz, an dem alle Mitarbeiter geschätzt werden und die Möglichkeit haben, ihr volles Potenzial auszuschöpfen, sei der Schlüssel zum Erfolg, weil Vielfalt die Innnovation fördere und so Wettbewerbsvorteile schaffe. Insbesondere in Führungsteams führt die Durchmischung der Geschlechter laut Bericht zu einer höheren Rentabilität.

Nicht in ein Klischee drängen lassen

Noch seltener als in der Produktion sind Frauen in der Geschäftsleitung anzutreffen. Eine Ausnahme ist Brigitte Breisacher. Sie ist Unternehmensleiterin und Inhaberin der Alpnach Norm-Gruppe mit Hauptsitz im Kanton Obwalden. «Biss muss man haben – und inneres Feuer», sagt Breisacher. Sie ist es gewohnt, 120 Prozent zu geben. Dass sie eines Tages in der Firma des Vaters arbeiten würde, wusste sie schon als Mädchen. Das Fachwissen hat sich die Marketingplanerin im Verkauf angeeignet.

Als Geschäftsleiterin ist es eine ihrer Hauptaufgaben, die Mitarbeitenden zu führen. Dafür muss sie zuhören, begeistern, fordern und fördern können, «was mir als Frau vielleicht leichter fällt als einigen Männern». Das Wichtigste sei indes, authentisch zu bleiben und sich nie in ein Klischee drängen zu lassen.

Wenn es die Mitarbeiterinnen sind, die das Protokoll schreiben, Blumen für den Jubilar kaufen oder das Weihnachtsessen organisieren, ist das oft einem Klischee zuzuschreiben, der weit verbreiteten Vorstellung davon, was Frauen können und was nicht. In Teams mit klaren Mehrheiten würden Angehörige der Minderheit als Alibivertreter betrachtet und auch so behandelt, schreibt Iris Bohnet in «What works». Die Professorin der Harvard-Universität zeigt in ihrem Buch, wie Gleichstellung realisiert werden kann. Mindestens ein Drittel oder, in absoluten Zahlen, mindestens drei Personen müsse die Minderheit innerhalb einer Gruppe ausmachen, damit Mitarbeiterinnen als Individuen wahrgenommen werden und sich voll einbringen können, konkretisiert Bohnet.

Wenn sich Männer für Frauen einsetzen

Diversität als Gewinn für das Unternehmen ist das eine, Gleichstellung für die Schreinerinnen, Projektleiterinnen und Kundenberaterinnen, die in einer Schreinerei arbeiten, das andere. Will eine Branche akzeptieren, dass Frauen nach wie vor Vorurteilen ausgesetzt sind und nur bestehen kann, wer sich durchzusetzen weiss? Dabei wäre die Schreinerbranche dazu prädestiniert, für Chancengleichheit einzustehen, ist Daniel Zybach überzeugt. «Werte wie ein respektvoller Umgang und kollegschaftlicher Zusammenhalt sind in unserer Branche wichtig.»

Damit sich die Strukturen verändern, braucht es Männer, die sich engagieren. Denn sie sitzen an den meisten Schlüsselpositionen. UN Women, ein Organ der Vereinten Nationen, widmet sich der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Rolle der Frau. Es zielt mit der Kampagne «HeForShe» darauf ab, dass Männer alte Denkmuster und Strukturen hinterfragen und sich für Frauen einsetzen.

Iris Bohnet beschreibt in ihrem Buch, wie sich die Gleichstellung in Unternehmen ändert, sobald der Geschäftsleiter Vater einer Tochter wird. Weil sich jeder Vater das Beste für sein Kind wünscht, ein Arbeitsumfeld, in dem es sich wohlfühlt und entfalten kann. Im eigenen Betrieb, in der eigenen Abteilung damit zu beginnen, ist der Anfang einer Veränderung.

Und was können Frauen tun? Als Mentorinnen jüngere Mitarbeiterinnen unterstützen, sie können Netzwerke aufbauen oder solche nutzen wie das Internationale Branchenforum für Frauen, das sich jährlich im italienischen Meran trifft. Und die meisten Frauen tun bereits das Richtige: Sie machen einen guten Job und lassen sich vom Gegenwind nicht stoppen.

www.vssm.chwww.sigrist-rafz.chwww.ahb.bfh.chwww.talsee.chwww.alpnachnorm.ch

ho

Veröffentlichung: 08. März 2018 / Ausgabe 10/2018

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