Grosse Welt im kleinen Massstab

Mord in der Miniaturwelt Smilestones: Ein Tatort bis ins kleinste Detail nachgebaut. Bild: Andreas Arnheiter

Smilestones.  Auf dem SIG-Areal in Neuhausen entsteht zurzeit eine Miniaturwelt. Vom Säntis bis zum Rheinfall wird das Mittelland im Massstab 1 : 87 nachgebildet. Involviert sind auch mehrere Schreiner, deren Arbeit sollen Besucher in der Werkstatt miterleben können.

«Es war beim Fernsehschauen», erzählt Raphael Meyer. Die Sendung über ein Miniaturland in Hamburg hatte den Zuger Goldschmied fasziniert. Wie die meisten Buben der 60er-Jahre besass auch Meyer eine eigene Modelleisenbahn. Zwar ist sie mittlerweile verstaubt und vergessen, nicht so aber die Vorstellungskraft ihres Besitzers. Im Land der Eisenbahnen und der Modellbauvereine musste es doch eine Nachfrage für eine Schweizer Miniaturwelt geben, war Meyer überzeugt.

In Hamburg zieht die «Miniatur Wunderland» jährlich über eine Million Besucher an. Sie wurde 2017 wiederholt als begehrteste Touristenattraktion Deutschlands ausgezeichnet. «Anders als bei klassischen Modellanlagen besuchen auch viele Frauen das Wunderland», so Meyer und erzählt von Mutter und Tochter aus der Region, die kürzlich nach Hamburg gereist seien, um die Miniaturwelt zu besichtigen. «Wenn wir das schaffen, dann haben wir es richtig gemacht», lacht er.

Unterhalten statt perfekte Wiedergabe

Mit der Idee, die Meilensteine der Schweiz erlebbar zu machen, gründete er die Smilestones AG. Seit Februar 2018 baut die Firma die erste von fünf geplanten Welten. Im Grössenverhältnis von 1 : 87 entsteht in der Werkstatt in Neuhausen das Mittelland vom Säntis bis zum Rheinfall.

Unzählige Geschichten spielen sich auf diesen Landschaften ab. Die Szene unterhalb des Rheinfalls könnte vom sonnabendlichen «Tatort» stammen: Eine Wasserleiche treibt im Fluss und wird von Rettungssanitätern geborgen, während Polizisten auf der Strasse die Schaulustigen abwehren und Touristen vom Gummiboot aus die Bergungsarbeiten beobachten.

Auch ganz gewöhnliche Szenen spielen sich in den Häusern, an der Haltestelle oder im Wohnquartier ab. Ein Vater mäht den Rasen, Kinder spielen Tischtennis und eine Frau sonnt auf einer Liege.

«Die meisten Besucher interessiert nicht, ob vor dem Tunnel das korrekte Zugsignal erscheint», sagt Meyer. Die klassischen Modellbauer seien zuweilen enttäuscht, weisen auf Fehler hin – wie die Zürcher Flagge, die bewusst verkehrt gemalt ist. Keine perfekte Wiedergabe der Realität, sondern unterhalten, vielleicht mal irritieren wollen die Kreatoren.

Lange hat Meyer nach einem passenden Standort für seine Miniaturwelt gesucht. Ausreichend Platz sollte es haben, damit die Welt laufend weiterwachsen kann. 2010 ist Meyer in Neuhausen fündig geworden. Durch die regionale Wirtschaftsförderung wurde der Smilestones-Gründer auf die Möglichkeiten im SIG-Areal aufmerksam. Die Idee einer weiteren Touristenattraktion stiess bei den Verantwortlichen auf grosses Interesse und nun, nach Jahren der Abklärung, Vorbereitung und auch des Wartens, wird das Projekt mit weiteren Partnern hier umgesetzt.

Für den Tourismus geplant

Auf dem SIG-Areal, gleich neben dem Rheinfall, wurden bereits 1853 Eisenbahnwaggons gebaut. Damals haben Pioniere den Grundstein der SIG, eines traditionsreichen aber auch innovativen Industrieunternehmens, gelegt. Später entstanden auf dem weitläufigen Areal Gewehre, Bajonette und Pistolen für die Schweizer Armee.

Auch deshalb galt die Fabrik während des Zweiten Weltkrieges als stark gefährdete Zone. Im unterirdischen Bunker sollten wenigstens einhundert Soldaten einen Schutz finden – und die Besetzer dann aus dem Hinterhalt angreifen. Ein Adlerhorst zeugt von den Kriegszeiten in dem sonst idyllischen Quartier mit Loftwohnungen, Co-Working-Spaces und eben – einer eigenen Welt en miniature.

Der Standort am Rheinfall ist ideal für die Miniaturwelt. Jährlich zieht es 1,5 Millionen Besucher zu Europas grösstem Wasserfall. Doch bleiben diese nur kurz. Nach ein, zwei Stunden zieht es die Touristen zur nächsten Attraktion und sie übernachten in den günstigen Hotels im benachbarten Deutschland. Zum Bleiben und Konsumieren bewegen wollte der Kanton die Touristen schon lange, doch noch hatte keines der Projekte den durchschlagenden Erfolg. Bei Smilestones sollen die Besucher nun länger verweilen. Und auch bei schlechtem Wetter anreisen.

Werkstatt gehört zur Ausstellung

Hoch und hell sind die Räume der früheren Produktionshalle. Bistro, Shop, Ausstellungssaal und ein Präsentationsraum finden über zwei Etagen hinweg ausreichend Platz. Neben dem Ausstellungsraum wird zurzeit an den Modellen gebaut. Diese Werkstatt wird in den nächsten Wochen umgesiedelt und einer zweiten Modellwelt weichen. Die Werkstatt wird aber auch nach der Eröffnung als Teil der Ausstellung sichtbar bleiben. Die Besucher wollen miterleben, wie die Modelle entstehen. In den nächsten Jahren ist der Bau von vier zusätzlichen Welten geplant. Dafür sucht Smilestones noch nach Investoren. Für den ersten Teil der Miniaturwelt sind 4,7 Millionen Franken von 5,5 Millionen bereits beisammen. Smilestones will zudem über Sponsoring zusätzliche Einnahmen generieren. In der Miniaturwelt werben bereits Firmen auf Werbeplakaten, Güterzügen und Lastwagenplanen. Weitere sollen dazukommen.

Menschen mit Fantasie gesucht

Im benachbarten Gebäude ist die eigene Schreinerwerkstatt untergebracht. Dort wird die Unterkonstruktion der Modellwelt vorbereitet und der Innenausbau für die Ausstellungsräume angefertigt. Der Schreiner Patrik Stutz leitet die Schreinerwerkstatt. «Vor ein paar Jahren fragte ich mich: einfach so weiter machen? Oder noch mal etwas Neues wagen?»

Stutz entschied sich, eine berufsbegleitende Ausbildung zum Sozialmanager an der FSSM zu machen. Er überzeugte die Smilestones-Geschäftsleitung davon, Mitarbeitenden mit Handicap einen Arbeitsplatz anzubieten. Nun fügen Menschen mit einer körperlichen Beeinträchtigung oder Lernschwierigkeiten Modellhäuser zusammen, sortieren Dutzende von Bauteilen und setzen von Hand winzige Schindeln auf Fachwerkhäuser. Sowieso herrscht eine bunte Mischung im 24-köpfigen Team.

In der Stellenausschreibung wurden nicht Modellbauer gesucht, sondern Menschen mit Fantasie und handwerklichem Geschick. Zu Smilestones gefunden haben so auch ein ehemaliger Profi-Wasserballer, der nebenbei als Tätowierer arbeitete, ein Silberschmied, eine Hochbauzeichnerin, ein Landwirt und drei Schreiner.

Schreinerarbeit im Unterbau

Das Schreinerteam schneidet die Platten, Blenden und Profile zu, die Stutz zuvor im CAD konstruiert hat. Die Aluminiumpro- file montieren die Schreiner zum tragenden Skelett. Darauf verlegen sie Bodenplatten aus dem leichten und gleichzeitig stabilen Lightwood. Styropor und Styrodurplatten, die einfach ausgeschnitten und modelliert werden können, bilden die nächste Schicht. Die Blenden aus MDF werden nicht verschraubt, sondern nur mit Weissleim geklebt. «Weil Metall die Funkverbindung zum Carsystem stören könnte», erklärt Stutz. Auch sollen in der Landschaft spontan Vertiefungen ausgefräst werden können, ohne dass man dabei auf hinderliche Metallverbindungen stösst.

Ist die Landschaft fertig modelliert, werden die Flächen mit Gips versiegelt. Dann folgt die knifflige Arbeit: Wiesen werden verlegt, Mauern und Büsche gestaltet und dann die Häuser platziert. Winzig sind die einzelnen Teile.

Technische Finessen

Es herrscht betriebsame Stille in der Modellwerkstatt. Konzentriert wird an den Modellen gewerkt. Die meisten der kleinen Häuser werden eingekauft, zusammengesetzt und dann künstlich gealtert. In der Werkstatt werden die Häuser leicht abgeändert. Sie erhalten ein anderes Dach oder werden neu gestrichen. Andere Stücke sind Unikate, die in aufwendiger Handarbeit bei Smilestones entstehen.

Gelegentlich schaut Raphael Meyer den Beschäftigten über die Schulter und diskutiert mit ihnen einzelne Details. Die 130 Quadratmeter grosse Fläche steckt voller technischer Finessen. Neben den Zügen verkehren Autos, Lastwagen und Traktoren auf den magnetischen Fahrbahnen, die computergesteuert untereinander koordiniert werden. Über der Anlage sind Satelliten installiert, die Ultraschallimpulse von den Fahrzeugen erhalten.

Über eine Triangulation wird die Position der Fahrzeuge millimetergenau gemessen und über Funk gelenkt: Senkt sich die Schranke vor einem Bahnübergang, weil ein Zug naht, stoppt das Auto automatisch beim Stoppsignal. Jeder Befehl, jede Verbindung muss einzeln programmiert werden. «Eine Anleitung, wie man das macht, gibt es nicht», erzählt Meyer. Mit erfahrenen Modellbauern zusammen haben sie ein eigenes System entwickelt.

Die Arbeiten laufen zurzeit auf Hochtouren. Die Miniaturwelt soll am 24. November eröffnet werden. Noch müssen einige Berge versetzt und Schienen verlegt werden, bis es dann heisst: Es werde Licht.

www.smilestones.ch

HO

Veröffentlichung: 08. November 2018 / Ausgabe 45/2018

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