Handverlesene Neuerungen

Die Oberflächen von Cleaf ziehen an. Dafür sorgen Strukturen, kombinationsfreudige Farben und ein mattes Antlitz. Bild: Christian Härtel

Messe.  Nach vier Jahren Pause war es vom 9. bis 12. Mai 2023 wieder so weit. Die Aussteller der Interzum in Köln zeigten ihre Neuheiten bei Beschlägen, Materialien, Oberflächen, Komponenten und Verfahren für den Möbel- und Innenausbau. Die SZ hat einige davon mitgebracht.

Manchmal ist man geneigt, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Auch Unternehmen scheinen dagegen nicht gefeit. So manche Neuheiten an der Interzum existieren bislang nur als Prototypen, und ihre Markteinführung steht noch gar nicht fest. Selbst die Presseabteilung der Kölnmesse hat sich dazu hinreissen lassen, etwas verfrüht zu kommunizieren. Sie hat die Anzahl der zahlenden Gäste mit 62 000 schon am Freitagabend bekannt gegeben. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Messe noch im Gange war.

Beschläge im Praxistest

Mit viel Erfahrung und Know-how lässt sich eben manches ein- und abschätzen, was erst noch kommt oder wahrscheinlich kommen wird. Produkte, die im Vorfeld mit dem Interzum-Award ausgezeichnet wurden, sind bereits am Markt oder werden demnächst in den Katalogen auftauchen. So fanden die Messebesucherinnen und -Besucher mit der Award-Präsentation eine gute Auswahl von wichtigen Innovationen für die Branche. Vom tuchartigen Furnier «Nuo» über die Stromversorgung im Korpus von Blum bis hin zu einem der Messehighlights, dem «Furn Spin» von Hettich. Der Beschlag wird allerdings noch etwas auf sich warten lassen, obwohl er fast jede und jeden in seinen Bann zog. Die Bewegung, die der Beschlag ermöglicht, nämlich das Drehen und Schwenken eines Korpusses gleichzeitig, be- geisterte durchaus.

Neue Ideen für Beschlag, Material und Konstruktion von Möbeln konnten auch am Stand des sogenannten Trend-Forums in Halle 10.2 begutachtet werden. Auch dort mischten sich munter ausgereifte Produktneuheiten mit Studien, wie der eines geklemmten Bandes, das Hettich zusammen mit der Technischen Hochschule Rosenheim als Projekt umgesetzt hatte.

Biobasierte Materialien sind da

Eine wahre Fundgrube für Interessierte an ökologischen Lösungen für Materialisierungen war im Zentrum der Halle 6 zu finden. Die kuratierte Ausstellung von Haute Innovations zeigte biobasierte Materialien aus verschiedenen Bereichen und Ländern. Aus Kokosfaser und Fischhaut, von Essensresten bis Alttextilien lassen sich plattenförmige Werkstoffe herstellen, ohne weitere Ressourcen zu verbrauchen. Neben der Vielfalt an Möglichkeiten zeigte die Sonderschau eindrücklich, wie Tüftler in vielen Ländern derzeit versuchen, die Materialwelt nachhaltiger zu gestalten.

Schon wegen dieser drei genannten Sonderschauen lohnte sich der Besuch in Köln. Natürlich gab es darüber hinaus noch mehr zu entdecken. Viele Ausstellende hatten Neuheiten vor Ort und zeigten den Stand ihrer Arbeit hin zu besseren Konzepten und Verfahren für die Zukunft.

Neben einzelnen, manchmal auch recht absurden Greenwashing-Versuchen, wie etwa einem Material aus nachhaltigem PU-Schaum, waren die grossen Themen wie Ressourceneinsparung, Langlebigkeit und Kreislaufwirtschaft durchaus Aspekte, die bei manchen Ausstellenden glaubwürdig im Fokus standen.

www.interzum.com

Biologisch dynamisch

Ein Aktivhocker aus dem 3D-Drucker. Realisiert hat dies Wagner Living in Zusammenarbeit mit Thorsten Frank von Demacond 3D GmbH und dem Designer Hadi Theherani. Der Hocker «W3D» besteht aus einem Bio-Kunstoff und soll mit dem Sitzen-in-Bewegung-Konzept für einen gesunden Rücken sorgen.

www.wagner-living.de

Kleines Spektakel integriert

Der neue Dreh-Schwenk-Beschlag «Furn Spin» von Hettich sorgt für Aufmerksamkeit. Mit dem Beschlag dreht sich ein Korpus um seine Längsachse und schwenkt aus. Durch diese zusammengesetzte Bewegung kommt der Korpus gewissermassen aus der Ecke heraus und kehrt nach einer 180°-Drehung dorthin zurück. So lässt sich etwa ein Korpus mit einer geschlossenen Front im Handumdrehen in ein Regal verwandeln. Hettich nennt das Ganze «translatorische Rotationsbewegung». Das spielerische Element mit dem Stauneffekt soll den Beschlägen eine neue Dimension bringen. Die Branche wird sich allerdings noch etwas gedulden müssen: Bis der Beschlag auch für Schreinereien aus dem Katalog verfügbar sein wird, dürfte mindestens noch ein Jahr ins Land ziehen.

www.hettich.com

Anschmiegsames Holz

Bei Schuh und Kissen denkt man normalerweise nicht gleich an Holz. Mit dem Furnier «Nuo» könnte sich dies ändern. Hinter dem weichen, lederartigen Werkstoff steht die Nuo GmbH als Tocherunter­nehmen des deutschen Furnierherstellers Schorn & Groh. Als vegane Alternative zu Leder findet «Nuo» bereits Verwendung 
in der Fashion- und Automobilindustrie. Eine Lasergravur macht das vlieskaschierte Furnier so flexibel.

www.nuo-design.com

Unscheinbare Hülse

Die «Dübelklemme» der Kitzmüller GmbH soll das zwingenlose Verleimen von Korpussen ermöglichen. Die Metall-Hülse wird in ein angefastes 10-Millimeter-Loch gesteckt. Beim Zusammenfügen reicht ein Gummihammer aus. Die Klemme wird durch den Dübel gespreizt und sorgt so für einen sicheren Halt, während der Kleb- stoff aushärten kann. Die Abklärungen für eine Massenproduktion laufen.

www.universalverbinder.at

Schlanker denn je

Linearleuchten für den Möbel- und Innenausbau sollen einen möglichst schlanken Querschnitt aufweisen. Darüber hinaus sollen die Lichtpunkte möglichst nicht sichtbar sein. Diesen Zielkonflikt hat der Hersteller Elektra mit dem Schweizer Partner KMD-Industrievertretungen mittels einer LED-Linearleuchte mit einem Querschnitt von lediglich 8 × 8 mm nun gelöst. Möglich wird dies durch die COB-Technologie, bei der keine Lichtpunkte mehr zu sehen sind, sondern ein durchgängiges Lichtband entsteht. Bei der Linearleuchte wird das LED-Stripe im Aluprofil in einem Winkel von 45° angebracht, sodass es sich auch für Spiegelbeleuchtungen eignet und sich unter einer Abdeckung oder am Sockel blend- frei einsetzen lässt.

www.km-decor.ch

Schall- und Blickfang

Die Jakob Winter GmbH fertigt Akustikelemente aus Polyester-Formvlies. Die Formteile werden in Deutschland hergestellt. Eine thermoplastische Verarbeitung ermöglicht eine dauerhafte Verformung des Materials. Das Polyestervlies besteht aus recycelten PET-Flaschen und kann wahlweise auch aus biologisch abbaubaren Fasern hergestellt werden.

www.jakob-winter.com

Farbe im Holz

Eine schier endlose Palette an Hölzern ergibt sich, wenn man das Furnier von vorhandenen Arten durchgehend färbt. Dafür ist die Legnoquattro Spa aus Italien Spezialistin. Jede Holzart ist in verschiedenen Farbtönen erhältlich, was zu einem bunten Strauss an Möglichkeiten führt und im Zweifel eine farbige Oberflächenbehandlung wie das Beizen überflüssig werden lässt. Vorteil der farbenfrohen Produkte ist Gleichmässigkeit, mit der die Hölzer verfügbar und damit trotz des Naturproduktes reproduzierbar sind. Die Farbe gleicht Unterschiede im Holz etwas aus. Da die Kolorierung im Vordergrund steht, ist der Einsatz von Holzarten möglich, die sonst kaum nachgefragt werden. Partnerunternehmen in der Schweiz sind Herzog-Elmiger in Kriens LU und Roser in Birsfelden BL.

www.legnoquattro.it

Strom aus Bewegung

Der kabel- und batterielose Türkontaktschalter «Wireless-T» des deutschen Unter- nehmens Hera erzeugt seine Energie autark. Alleine die mechanische Betätigung des Kontaktes reicht aus, die nötige Energie für den Sendeimpuls zu erzeugen. Ein regelmässiger Batteriewechsel oder eine aufwendige Kabelverlegung entfallen. Handelspartner in der Schweiz ist die Störi Licht AG in Glarus.

www.stoeri-licht.ch

Neue Familie begründet 

Der schwäbische Beschlaghersteller Häfele hat eine neue Klappenfamilie vorgestellt. Wichtigstes Merkmal: Die Technik des Klappenbeschlags «Free slim» mit 8-mm-Gehäuse verschwindet in der Korpusseite. Damit ist mehr Platz im Schrankinneren.

Interessant, weil neu, ist aber auch der technologische Ansatz dahinter. Es gibt nur einen Beschlag, der mit unterschiedlichen Hebelarmen für die Umsetzung der verschiedenen Klappenarten wie etwa Hochstellklappen kombiniert wird. So lassen sich alle gängigen Öffnungsarten, Klappengrössen und Klappengewichte durch wenige Beschlagvarianten für An- wendungen mit oder ohne Griff umsetzen. Der Beschlag kann rechts wie links eingesetzt werden. Selbst ein Elektroantrieb ist möglich, der dann eine doppelte Seite braucht, um unsichtbar verbaut werden zu können. Zu den Einstellschrauben gelangt man über Bohrungen im Inneren des Korpusses. Die ersten Industriepartner von Häfele werden «Free slim» ab Ende des Jahres einsetzen.

www.haefele.ch

Rundum gut aufgelegt

Das taiwanesische Unternehmen Repon zeigte einen 360°-Pivot-Beschlag für aufliegende Arbeitsflächen. Der Beschlag hat alle 90° eine Rasterposition, die auch einfach übersprungen werden kann. Zudem lässt sich die Platte in Längsrichtung verschieben. Diese Funktion wird nur freigegeben, wenn der Beschlag in dieser Richtung eingerastet ist.

www.repon.com.tw

Möbel unter Strom

Wer Strom zum Laden der mobilen Geräte in einen Auszug bringen möchte, muss bislang einen beträchtlichen Aufwand betreiben. Dabei ist es ungeheuer praktisch, wenn man Geräte in der Schublade einfach anstecken kann und diese geladen werden, ohne dass man sichtbare Kabel hat. Für die einfachere Versorgung mit Elektrizität hat Blum mit Amperos DC eine elegante Variante präsentiert.

Dabei wird eine 24-Volt-Stromschiene über die ganze Höhe eines Unterschrankes an der Rückwand montiert. Ein Kontaktnehmer am Hinterstück des Schubkastens stellt beim Schliessen des Auszuges den Kontakt her, wodurch die im USB-C-Anschluss eingesteckten Geräte geladen werden. Auch Linearlicht speist sich durch den Kontakt und erleuchtet beim Öffnen der Schublade. Das Verlegen von Kabel wird dadurch überflüssig.

www.blum.com

Schützende Hülle

Dem deutschen Unternehmen Nevi ist es gelungen, Birkenrinde als Furnier zu verarbeiten. Bisher konnte man das Naturmaterial bei Werkzeug- oder Lenkergriffen sowie Fussböden einsetzen. Das «Betula Veneer» macht den Einsatz von Birkenrinde nun auch für den Möbelbauer interessant, was das Beispiel des Stuhles zeigt. Im Gegensatz zum Holz quillt der Werkstoff nicht auf und ist deshalb auch problemlos für den Direktkontakt mit Wasser geeignet.

www.nevi.io

Schräge Sache

Das «Threespine-ID» («inclined dowel») ist ein Verbindersystem, das den Möbelzusammenbau ohne Klebstoff ermöglichen soll. Das schwedische Unternehmen Välinge erweitert so sein Portfolio an Klick-Möbel-Systemen. Bei «Threespine-ID» werden die Dübel nicht wie gewohnt gerade, sondern schräg eingebohrt.

Der «Pinlock» (ein mit einer Feder ausgestatteter Kunststoffeinsatz) verriegelt die Verbindung. Mithilfe eines Dorns kann sie jederzeit wieder gelöst werden.

www.valinge.se

Längs verkeilt

Die Keilverbinder-Familie erhält Zuwachs. Mit den «Langhülsen» erreicht man auch mit nur einem Verbinder eine gute Stabilität in der Längsachse. Die Verbindungsnut kann mit dem passenden Keilfräser direkt im Werkstück gefräst werden. Alternativ kann auch die «KVS-Schiene» eingesetzt werden. Diese benötigt nur eine herkömmliche, gerade Nut. In der Schweiz vertreibt Häfele die Produkte.

www.keilverbinder.de

Wie von Geisterhand

Schiebe-Falt-Beschläge, mit denen sich doppelte Türen öffnen und zusammengeschoben in den Taschen an der Seite einer Schrankfront einschieben lassen, sind inzwischen in vielen Varianten am Markt. An der Interzum hat der italienische Hersteller Salice ein elektrifiziertes Modell präsentiert. Mittels Sensor und eines Fingerzeigs in dessen Nähe, wird die Bewegung ausgelöst. Die Türen öffnen und verschwinden in der Tasche selbsttätig. Selbstverständlich muss man auch für das Schliessen der Front nicht mehr selbst Hand anlegen. Der so modifizierte Beschlag soll laut Hersteller in absehbarer Zeit verfügbar sein.

www.salice.com

christian härtel, SB, ch, SB, SB, sb, SB, ch, SB, ch, ch, ch, SB, SB, SB, ch

Veröffentlichung: 18. Mai 2023 / Ausgabe 20/2023

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