«Harmonie ist nicht immer zielführend»

«Der Vorstand und die Geschäftsstelle sind ein gutes Team», sagt VSSM-Präsident Jürg Rothenbühler nach dem ersten halben Jahr. Bild: Stefan Hilzinger

Interview.  Seit sechs Monaten ist Jürg Rothenbühler im Amt als neuer Zentralpräsident des VSSM. Im Gespräch zieht er eine erste Zwischenbilanz. Der Branchenverband werde in der Branche selbst zu wenig wahrgenommen; daran will er im nächsten Jahr substanziell etwas ändern.

Schreinerzeitung: Sie sind jetzt ein halbes Jahr im Amt als neuer VSSM- Präsident. Welches erste Fazit ziehen Sie aus diesen sechs Monaten?
Jürg Rothenbühler: Nach dem doch recht intensiven Wahlkampf war ich doch etwas skeptisch, was passieren wird, wenn ich gewählt werde. Ich fragte mich, ob ich es schaffe, dass der restliche Zentralvorstand dann mit mir mitgeht. Und ich darf heute sagen, dass wir ein gutes Team sind. Ich hätte nicht gedacht, dass wir in einer solch kurzen Zeit eine gemeinsame Linie finden können. Ich habe als neuer Präsident gewisse Ideen eingebracht – und der Vorstand trägt diese. Das schätze ich sehr. Wir haben als Team eine gemeinsame Haltung als Arbeitsgrundlage entwickelt. Das Gleiche gilt auch in Bezug auf die Geschäftsstelle hier in Wallisellen. Ich kann es auch so formulieren: «Ich bin im Vorstand und in der Geschäftsstelle aufgenommen worden.»
Das tönt fast so, als ob man sich in dem ersten halben Jahr in Vorstand und Geschäftsstelle hauptsächlich mit sich selbst befasst hat.
Nein, natürlich ist auch inhaltlich sehr viel gegangen. Unsere Hauptaufgabe als Verband ist es, sichtbarer zu werden, das war und ist mein Hauptthema. Der VSSM muss unbedingt sichtbarer werden. Nicht nur gegen aussen in der Gesellschaft, sondern vor allem auch in die Branche hinein. Ich habe den Eindruck, dass der Verband nicht mehr so stark wahrgenommen wird. Die Instrumente dazu sind ja bereits vorbereitet. Bei gewissen Themen haben wir sie nun doch etwas früher gezündet. Dazu gehört auch die Digitalisierungsthematik im Bereich der Verbandskommunikation, wo wir langsam, aber sicher stärker aktiv werden. Da ist auch viel Goodwill bei Vorstand und Geschäftsstelle. Wir müssen mehr zeigen, was wir tun und vielleicht zwischendrin auch mal etwas polarisieren. So haben wir uns klar zum Thema Abschaffung des Eigenmietwertes geäussert – da bin ich als Präsident auch kritisiert worden, wir sollen uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Andere wiederum haben deutlich gesagt: «Endlich nimmt der VSSM einmal Stellung.» Wir werden uns weiterhin aus dem Fenster lehnen. Wir müssen uns als Verband gewissen Diskussionen stellen und demokratisch gefasste Meinungen dann gegen aussen vertreten. Deswegen wird auch niemand aus dem Verband austreten.
Das Ziel müssten ja ohnehin weitere Eintritte sein?
Ja. Der VSSM hat zu wenige Mitglieder. Das ist das nächste grosse Thema auf meiner Fahne. Wir sollten aber nicht überlegen, wie wir Mitglieder gewinnen können, sondern wir müssen uns überlegen, welche Produkte und Angebote wir bereitstellen, die eine Exklusivität für die Mitglieder haben. Betriebe, die nicht noch nicht Mitglied sind, können wir mit solchen Dienstleistungen ins Boot holen, sobald sie merken: «Ah, das ist genau das, was ich jetzt für meinen Betrieb brauche.» Ich nenne da die verschiedenen Verbandsgarantien, die wir aktuell vorbereiten. Gute Produkte sind nebst dem Marketing und der Dachkampagne für unseren Verband und die Branche sehr wichtig – aber es braucht diese Exklusivität für unsere Mitglieder.
Welche Produkte zum Beispiel?
Die erwähnten Garantien sind ein aktuelles Beispiel. Es geht hier beispielweise um sogenannte Erfüllungsgarantien. Wenn Betriebe auf grösseren Baustellen tätig sind, müssen sie für alles mögliche Garantien abgeben, etwa Bankgarantien oder sogar Anzahlungsgarantien. Hier können und sollten wir als Verband den Betrieben beistehen. Ist man als Schreinerei teil eines GU-Projektes, werden solche Garantien sehr teuer. Doch das Schreinergewerbe gilt als seriöse und verlässliche Branche, also hat der Verband nur ein geringes finanzielles Risiko, wenn er für seine Mitglieder Bürgschaften abgibt. Der Verband könnte solche Garantien günstig anbieten, und zwar weil er es nur gegenüber den Mitgliedern tut. Eine solche Garantie würde auch die Liquidität des Mitglieds nicht einschränken, was gerade für eher kleinere Betriebe wichtig ist. Das ist aber nur ein Beispiel von vielen Möglichkeiten.
Ein anderes grosses Thema ist der Gesamtarbeitsvertrag (GAV). Nebst den Gewerkschaften spielt etwa auch der Küchenverband eine besondere Rolle dabei. Wie wollen Sie die Küchenbauer verstärkt ins Boot holen?
Ich habe mit den Küchenbauern bereits das Gespräch gesucht. Hier möchte ich schon, dass wir näher zusammenrücken, schliesslich gehören die Küchenbauer eigentlich ja auch zum VSSM. Da geht es häufig auch um Befindlichkeiten. Unstimmigkeiten entstehen häufig dann, wenn wir zu wenig miteinander reden. Wer aber hinschaut, stellt fest, dass in der GAV-Kommission zumindest fünf Küchenbauer sitzen – auch grössere. Hier ist wichtig, dass wir uns abgleichen, mehr miteinander reden. Und dann stellen wir fest, dass wir gar nicht so unterschiedlicher Meinung sind. Was klar ist: Nichtmitglieder können nicht am GAV-Verhandlungstisch sitzen. Das sind die Spielregeln. Aber ich bin überzeugt: Wir haben den Knopf schon mehr oder weniger gelöst. Es ist eine Frage der Kommunikation und benötigt vielleicht mal eine Sitzung mehr. Es gibt ja auch noch den Fenster- und Fassadenverband sowie weitere Organisationen. Und was den GAV inhaltlich angeht: Das ist einfach eine schwierige Materie. Da spielen auch regionale und fachspezifische Unterschiede hinein, die wir irgendwie in den Vertrag hineinpacken müssen. Es wird uns wohl kaum gelingen, alles zu jedermanns Zufriedenheit zu regeln. Vielleicht müssen wir uns für die Zukunft einen ganz neuen GAV überlegen.
Welche Erwartungen und Wünsche haben Sie als VSSM-Präsident fürs kommende Jahr?
Nach dieser, ich sage mal, Findungsphase geht es mir nun darum, dass wir die definierten Themen umsetzen. Das sind Kommunikation, GAV und Angebote für die Mitglieder. Bei der Kommunikation wollen wir in die Tiefe gehen. Ich will in einem Jahr sagen können, dass wir in der Kommunikations- und Informationspolitik besser geworden sind. Dass ich Rückmeldungen von Schreinerinnen und Schreinern erhalte, die sagen: «Ja, jetzt vernehme ich, was ich wissen muss und was mich interessiert.» Auch beim GAV ist mir wichtig, dass wir darüber informieren können, wo wir stehen und wohin es geht. Was wir kommunizieren, muss auch nicht der Harmonie dienen, denn wir wollen uns als VSSM auch politisch äussern.
An dieser Stelle ist es mir aber vorerst wichtig, unseren Mitgliedern und allen Schreinerinnen und Schreinern erholsame Festtage, für nächstes Jahr gute Gesundheit, volle Auftragsbücher und überhaupt ein gutes neues Jahr zu wünschen.

Stefan Hilzinger

Veröffentlichung: 18. Dezember 2025 / Ausgabe 51-52/2025

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