«Hosenlupf» mit einem Schreiner

Der 23-jährige Oliver Hermann (l.) hat im Schwingsport seine grosse Leidenschaft gefunden. Bild: David Sigg (Schwingen-Foto.ch)

Mit einem sympathischen Lächeln und vor Kraft strotzend, schlendert Oliver Hermann ins Café. Knapp einen Monat ist es her, seit er am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Zug teilgenommen hat, dem grössten Schwingfest aller Zeiten. «Der Einmarsch vor 57 000 Besuchern war Gänsehautfeeling pur. Diesen Moment werde ich nie vergessen», sagt er mit einem Strahlen in seinen braunen Augen. Nach vier Gängen, dreimal «gestellt», also ohne Sieger, und einer Niederlage hiess es «ab unter die Dusche». Der Schreiner hat sein Ziel, alle acht Gänge zu schwingen, nicht erreicht. «Da ist im ersten Moment natürlich schon eine kleine Welt zusammengebrochen», sagt er. Nach einem ruhigen Abend und viel Schlaf war der faire Sportler am folgenden Morgen wieder auf dem Platz, um seine Kollegen vom Nordwestschweizerischen Schwingerverband (NWSV) anzufeuern. Der Team-Spirit und die Stim- mung im Publikum seien faszinierend ge- wesen, sagt er. Nach dem Schlussgang wurde gemeinsam gefeiert. «Konkurrenten sind wir nur im Zweikampf. Sobald man dem Gegner das Sägemehl vom Rücken gewischt hat, ist die Schwinggemeinschaft wie eine grosse Familie», sagt er. Mit Enttäuschungen umzugehen, ist eine Herausforderung im Sport. Besonders wenn man mehrere Runden zu bestreiten hat und nach einer Niederlage wieder voller Motivation und Selbstvertrauen in den Sägemehlring steigen sollte. Für Hermann ist dies jedoch kein Problem: «Sobald ich die Zwilchhose angezogen habe, bin ich fokussiert und bereit.»

Der 23-Jährige hat in seiner Karriere bereits sieben Kränze gewonnen. «Die Freude über einen Sieg hat nichts an Intensität verloren. Ich bin überzeugt, dass ich mich auch über den fünfzigsten Kranz noch genauso freuen würde wie über den ersten», sagt er. Neben Lebendpreisen und Kränzen bestehen die Preise an den Schwingfesten oft aus Holz. «Als Schreiner inspiziere ich die hölzernen Gaben immer gründlich. Es interessiert mich, aus welcher Holzart und mit welchen Techniken sie gefertigt wurden.» Mit acht Jahren hatte er an einer Projektwoche teilgenommen, während der man sich in verschiedenen Sportarten ausprobieren durfte. Dabei folgte er seinem «Gwunder». Denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte er keinerlei Be- rührungspunkte mit dem Schwingen gehabt. Doch bereits beim ersten Training hatte ihn die Leidenschaft gepackt und in der Folge nicht mehr losgelassen. Hermann trainiert vier bis fünf Mal pro Woche. Im Winter werden die Hanteln gestemmt, und es wird an den Feinheiten der Schwünge gefeilt: Der Fokus liegt auf dem Krafttraining und der Technik. Je näher der Saisonbeginn kommt, desto mehr steht dann das Wettkampfschwingen im Vordergrund.

«Nebst dem Zweikampf und dem Kräftemessen gefällt mir der Zusammenhalt im Team», sagt er. Hermann arbeitet Vollzeit in einer Schreinerei in Buchs AG. Da ist es eine Herausforderung, alles unter einen Hut zu bringen: Arbeit, Sport, Freundin, Familie, Kollegen. Kommenden Sommer beginnt er das Ingenieurstudium an der Fachhochschule in Biel. Dann wird sich die Situation noch etwas zuspitzen. Die Schwingsaison 2019 ist nun zu Ende. Doch nach drei Wochen Ferien in den USA mit seiner Freundin startet Hermann bereits wieder mit neuer Motivation ins Wintertraining.

«Der Einmarsch vor 57 000 Besuchern war Gänsehautfeeling pur. Diesen Moment werde ich nie vergessen.»

ks

Veröffentlichung: 19. September 2019 / Ausgabe 38/2019

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