«Ich höre mit den Augen»

Christof Sidler (47)hat an der Curling-Weltmeisterschaft der Gehörlosen Anfang März den 6.Rang erreicht. Bild: PD

Christof Sidlers Hände formen verschiedene Zeichen in der Luft. Er benutzt seine Arme, beugt sich mit dem Körper nach vorne, während seine Mimik ausdrucksstark mitkommuniziert. Die Dolmetscherin übersetzt seine Gestik in Mundart. Sidler gehört zu den 10 000 Menschen in der Schweiz, die gehörlos zur Welt gekommen sind. Er hat nebst der Gebärdensprache auch die Lautsprache erlernt. Er sei jedoch ein sehr visueller Mensch. «Ich höre mit den Augen. Mein visueller Sinn ist viel stärker ausgebildet als bei hörenden Personen», übersetzt die Dolmetscherin.

Nach der Grundschule schnupperte er in einer Schreinerei und fing Feuer für den Schreinerberuf. Nach der Lehre zog der Walliser der Liebe wegen nach Zürich und fand bei der Schreinerei Brack eine Stelle. Vor sechs Jahren musste er seine Hüfte operieren und zwei künstliche Hüftgelenke einsetzen lassen. Ein Zurück in die Werkstatt war ausgeschlossen, so das Urteil seines Arztes. Das war ungefähr so, wie wenn man einem Gärtner alle Blumen und Sträucher entreisst. Der heute 47-jährige Schreiner entwarf zusammen mit seinem IV-Berater einen Plan B und absolvierte eine Weiterbildung als Zeichner EFZ, Fachrichtung Innenarchitektur. «Die Situation der Gehörlosen in der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verbessert. Früher hatten wir einen schweren Stand. Mittlerweile sind die Angebote für Gehörlose vielfältiger geworden. Viele Ausbildungen werden von Dolmetschern begleitet.» Bei seinem Arbeitgeber konnte er bleiben. Heute ist er zu 50 Prozent Zeichner und zu weiteren 50 Prozent Schreiner. «Wegen meiner Hüfte darf ich keine schweren Dinge tragen. Leimen, Schleifen, Lackieren und die Arbeit an den Maschinen gehen jedoch problemlos», übersetzt die Dolmetscherin.

Nebst dem Beruf und seiner Familie engagiert sich Sidler für Focusfive TV. Das 2003 gegründete Nonprofit-Unternehmen produziert Nachrichten für Gehörlose in Gebärdensprache und verbreitet diese mittels Web-TV. Für Focusfive TV ist Sidler mit der Kamera unterwegs und schneidet Filmbeiträge. So war er beispielsweise an den Deaflympics in Salt Lake City und Taiwan als Kameramann und Cutter tätig.

Auch Sidler selber ist ein Vollblutsportler. «Ich bin ein sehr lebhafter Mensch und muss immer in Bewegung sein.» Es gibt kaum eine Sportart, die der Walliser nicht beherrscht. Angefangen hat er mit Leichtathletik, wo er in den Disziplinen Weit- und Dreisprung bis heute den Schweizer Rekord hält. Weiter ging es mit Skiern, wo er 1991 an der Deaflympics in Banff in den Disziplinen Skiabfahrt, Super G, Riesenslalom und Slalom teilnahm. In den späten 90er-Jahren spielte er zweimal an einer Volleyball-Europameisterschaft. «Ich mag den Mannschaftssport. Ich spiele gerne Fussball, Volleyball oder Handball.» Letzteres ist aufgrund seiner Hüfte nicht mehr möglich. «Ich muss Sportarten meiden, bei denen es zu frontalen Kollisionen kommen kann.» Die Sportart, die er aktuell betreibt, hat er vor neun Jahren entdeckt: Curling.

An der Weltmeisterschaft in Winnipeg 2009 belegte er mit seinem Team den zweiten Platz und gerade ist er aus Sotschi zurückgekehrt – mit einem 6. Rang und einem Weltmeisterschaftsdiplom in der Tasche.

«Die Situation der Gehörlosen in der Schweiz hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verbessert.»

cs

Veröffentlichung: 23. März 2017 / Ausgabe 12/2017

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