Mensch und Möbel

Filigran und dennoch erstaunlich standfest: der Stehsekretär, hier aus Kirschbaumholz.

SPEZIELLE MÖBEL.  Ein aussergewöhnliches Möbel ist das Resultat einer aussergewöhnlichen Idee. Die Begegnung mit speziellen Möbeln ist daher immer auch eine Begegnung mit Menschen. Sieben Kurzgeschichten von Möbelstücken und den Personen, die sie geschaffen haben.

Der technische Fortschritt hat das Büro zu Hause verändert. Ein Computer ist nicht mehr eine klobige Kiste, die möglichst blickdicht versteckt werden muss. Die neuen Geräte sind formschön, schlank und leicht. Und auch der gefürchtete Kabelsalat ist Geschichte, Wireless ermöglicht die Platzierung des Büros überall, sogar der Drucker muss dank schnurloser Verbindung nicht neben dem Rechner stehen.

Die gewonnene Flexibilität hat aus dem Büro zu Hause eine mobile, fast schon fliegende Einrichtung gemacht, für die nicht ein ganzer Raum mit grossem Schreibtisch, mit Bürostuhl und fixem Monitor geopfert werden muss. Diese Entwicklung hat den 38-jährigen Samuel Köppel mit seiner kleinen Holzmanufaktur Samko Design in Zürich Altstetten inspiriert. In der gut ausgerüsteten Kellerwerkstatt baut er neu in Kleinserie einen Stehsekretär, den «eleganten und kompakten Arbeitsplatz für den Wohnraum», wie ihn Köppel nennt.

Das Büro muss ein Blickfang sein

Wenn das Büro ins Wohnzimmer geholt wird, muss es hohen ästhetischen Ansprüchen genügen. «Es befindet sich dann auf der Showbühne, entsprechend soll es ein hochstehendes Design haben, ein Blickfang sein», sagt Köppel. Das Stehpult lässt sich mit einer Klappe verschliessen, so ist es einfach noch eine hölzerne Skulptur im Raum.

Im verschlossenen Zustand ist das Möbelstück gerade mal 33 cm tief, es steht damit kaum im Weg. Bei offener Klappe bietet die Arbeitsfläche von 82 × 30 cm Platz für einige A4-Blätter – ganz ohne Papier geht es bekanntlich noch nicht. Die Arbeitshöhe beträgt in der Standardausführung 93 cm, kann aber an die Grösse der Benutzerin oder des Benutzers angepasst werden.

Köppel fertigt den Stehsekretär aus einheimischem Holz von Ahorn, Eiche, Esche, Ulme sowie Kirsch-, Nuss-, Birn- oder Apfelbaum. Die Verbindungen des Massivholzmöbels sind gedübelt, Beschläge verwendet Köppel nur als Verstrebungen auf der Rückseite und für den Klappmechanismus. Er hat die Beschläge extra für den Stehsekretär entworfen. Ein Metall verarbeitendes Unternehmen stellt sie aus schwarzem Stahl nach seinen Plänen her.

Rund vier Arbeitstage muss Köppel für den Bau eines Stehsekretärs aufwenden, wobei der grösste Teil der Arbeit auf das saubere Schleifen der Oberfläche entfällt.

Schreiner auf dem zweiten Bildungsweg

Köppels Faible für Gestaltung und Design kommt nicht von ungefähr. Als erste Ausbildung absolvierte er ein Studium in Industrial Design. Er arbeitete einige Jahre als Designer in Zürich, entwickelte dabei nicht nur Möbel, sondern auch Messestände und Skianzüge. Doch das Gestalten mit Holz faszinierte ihn besonders, und er verspürte den Drang, mit eigenen Händen herstellen zu können, was er auf dem Papier entwarf. So entschied er sich mit 33 Jahren, eine Schreinerlehre in Angriff zu nehmen. Diese war herausfordernd, «weil sie eigentlich nicht vorgesehen ist für den zweiten Bildungsweg». Doch er habe in der Ausbildung «extrem viel gelernt».

Jetzt arbeitet Köppel wieder mit einem Pensum von 60 % in der Designabteilung eines Herstellers von Bettsofas aus Metall. Daneben betreibt er seine Holzmanufaktur in Zürich Altstetten, wo er zum einen Designmöbel nach Kundenwunsch fertigt, zum andern eine kleine Möbelkollektion entwickelt hat. Dazu gehören der Stehsekretär, ein Sekretär auf Sitzhöhe und verschiedene Tische. Als Nächstes soll ein Massivholzbett dazukommen, und Köppel denkt auch schon über ein «Genussmöbel» nach. Ob dieses der Lagerung von Wein oder Zigarren dienen soll, lässt er noch offen.

www.samko-design.ch

Garantiert immer Sicherheit

Rund 20 Möbel, welche die Schreinerei Erich Zellweger AG in Speicher AR pro Jahr herstellt, bleiben unter Verschluss. Das liegt in der Natur der Sache, denn es handelt sich um Innenausbauten für Tresore. Die Möbel müssen äusserst edel sein und den Platz perfekt ausnutzen. Laut Geschäftsführer Tobias Zellweger wird strukturreiches Furnier (Bild: Pappelmaser) auf 6 mm dickes Ahornholz geleimt. Die Oberfläche wird bis zu 13-mal lackiert und poliert. Für die Mitarbeiter sei es eine schöne Abwechslung, wenn sie einen Tresor ausbauen können. «Sie schätzen, dass sie fein arbeiten und alle Schritte selber ausführen können.»

www.schreinerei-zellweger.ch

Das Betten geht plötzlich wie im Schlaf

Die Faszination für ausgeklügelte Details und die Freude an der Technik sind wohl allen Schreinern gemeinsam. Besonders gut ausgeprägt sind diese Eigenschaften offensichtlich bei Schreinermeister Bernhard Scherrer, Geschäftsführer der Scherrer Schreinerei AG im st. gallischen Niederhelfenschwil. Er störte sich daran, dass man beim Überziehen des Duvets immer die Ecke der Matratze mühsam aus dem Rahmen ziehen muss. «Das geht doch einfacher!», dachte er sich und begann zu tüfteln. Zusammen mit Konstrukteur und Schreinermeister Karl Jung entwickelte er ein Bett-gestell, das sich unter minimalem Einsatz von Muskelkraft mechanisch anheben lässt. Wer betten will, muss lediglich einen Hebel auf der Längsseite des Rahmens betätigen, und der Bettinhalt steigt um ungefähr 10 cm an. «Der Mechanismus lässt sich dank Verbindungen mit Teflondübeln leicht bewegen», sagt Marco Buff, Projektleiter bei der Schreinerei Scherrer.

Fast ausschliesslich aus Massivholz

Die Teile der Hebekonstruktion werden auf einem CNC-Zentrum aus Eschenholz gefräst. Dieses ist besonders geeignet, weil es stark belastbar und leicht elastisch ist. «Es bricht nicht, auch wenn grosse Kräfte auf die Umlenkachse einwirken», sagt Buff.

Die Schreinerei Scherrer hat das Hebebett am Tag der offenen Tür für Schreinereien im Mai vorgestellt. Der erste Typ ist für ein 140 cm breites Bett entwickelt worden. Anpassungen sind möglich. Das Gestell ist mit jedem Bettsystem kombinierbar.

In der ganzen Konstruktion wird übrigens kein Teil aus Metall verbaut. Mit Ausnahme der erwähnten Teflondübel besteht das Gestell ausschliesslich aus Massivholz.

www.scherrer-schreinereiag.ch

Mosaik aus Abfallholz

Da soll noch einer behaupten, es fehle an gutem Berufsnachwuchs! Hier ist er: Marc Zimmermann, 21-jährig, Schreiner bei der Firma Köchli in Steinmaur ZH. Viel zu oft sei er früher in seiner Freizeit ins Fitnesszentrum gegangen, sagt er. Also entschied er sich, etwas zu ändern in seinem Leben – und seine Zeit sinnvoller einzusetzen. Als die Schreinerei Köchli wegen Betriebsferien vorübergehend dichtmachte, war er bereit – und begann mit der Arbeit. Sein Plan: einen Tisch bauen, vorwiegend aus Abfallholz. Weil dieses nie in grossen Stücken vorliegt, wollte er eine kleinteilige Struktur schaffen aus Klötzchen mit Seitenlängen von 30 × 30 mm und 15 mm Tiefe.

Belastungstest für die Tischplatte

Für die 2,5 m lange und 1 m breite Tischplatte musste er eine stattliche Anzahl Klötzchen zuschneiden. Zum Glück konnte er bei reinen Geduldsarbeiten auf die Hilfe von Freunden zählen. Denn der Tisch gab auch sonst noch genug zu tun. Zum Beispiel betreffend Stabilität, für die er auf der Unterseite der Platte einen Gegenzug einbaute. «Wir haben das gründlich getestet, die Platte hängt auch unter Belastung kaum durch», sagt der Schreiner. Und von Gewichtheben hat er ja eine Ahnung.

www.koechlischreinerei.ch

Der Alleskönner fürs gemütliche Zusammensein

Architekt Stefan Degelo hatte die Idee einer Sitzbank für den Esstisch, die gleich noch das Sofa ersetzen soll. Der Grund: Seine Familie wuchs, und in der Wohnung wurde der Platz knapp. Doch Degelo wusste keinen Handwerker, der für ihn das Möbel herstellen konnte. Also stand er eines Tages mit seinen Plänen in der Schreinerei Spicher AG im aargauischen Brugg. Geschäftsführer Markus Spicher brachte das Möbel 2015 zur Serienreife. Heute ist das Tischsofa «Degelo» bei Spicher ein Verkaufsrenner.

Das Möbel besteht aus einer OSB-Schale und Beinen aus Holz oder Rohstahl, wobei jene aus Metall filigraner wirken. Das Polster kann in allerlei Stoffen ausgeführt werden. Mit dem Tischsofa wechselt man nach dem Essen nicht die Sitzgelegenheit, sondern allein die Position: Die Beine werden angezogen, Fläzen löst das Sitzen ab. Das Möbel wird nicht nur in Privathaushalten gebraucht, sondern auch in Geburtshäusern und in einem Alterszentrum.

www.spicher.ch

Die währschafte Tafel

Fredy von Büren, Metallbauer und Holzrestaurator in Cunter GR, hat zusammen mit Architekt Peter Calonder die Möbellinie «Bock & Gais» lanciert. Sie verbindet Holz mit Metall und soll schlicht, schnörkellos und archaisch «die Kraft der Bergwelt in modernes Wohnen tragen». Die Holzplatte des Tischs wird leimfrei mit Holz- oder Stahlstangen zusammengehalten. Sie ist handgehobelt und mit Seife behandelt.

www.bockundgais.ch

Der Tisch mit Tiefgang

Der Idee einer Kundin entspringt die «Table profonde» der Schreinerei Harder aus Winterthur ZH. «Sie schlug vor, in der Platte eine Schüssel einzulassen», sagt Mitinhaber Stefan Harder. Die Schreinerei entwickelte die Idee weiter und baute einen Tisch mit verstellbarem «Accessoire»: Je nach Bedarf kann über einen Schieber unter der Platte eine Schüssel, eine Vitrine, ein Rechaud oder eine bündige Abdeckung eingefahren werden. Für die Platte verwendete die Harder AG Kunstschiefer, ein Material aus Zellulose und Phenolharz, das sie mitentwickelt hat und exklusiv vertreibt.

www.harderag.ch

Steckbrief Stehsekretär

Der schlanke Vierbeiner

Möbeltyp: Stehsekretär.

Zweck: Arbeitsplatz fürs Wohnzimmer.

Schreinerei: Samko Design, Zürich.

Material: Massivholz (einheimisch).

Oberfläche: Leinsamenöl, Bienenwachs oder Kernseife.

Preis: ab 3950 Franken.

Steckbrief Hebebett

Freundliches Entgegenkommen

Möbeltyp: Bettgestell.

Zweck: Erleichterung beim Anziehen des Duvets.

Schreinerei: Scherrer Schreinerei AG, Niederhelfenschwil SG.

Material: Eschenholz (einheimisch).

Preis: ab 2400 Franken (nur Gestell).

Steckbrief Tresor-Innenausstattung

Schönheit hinter Schloss und Riegel

Möbeltyp: Innenausbau für Tresore.

Zweck: Lagerung von Wertsachen.

Schreinerei: Erich Zellweger AG, Speicher AR.

Oberfläche: Hochglanz.

Mat.: Pappelmaser, Vogelaugenahorn, Ahorn. Preis: ab 4500 Franken.

Steckbrief Klötzli-Tisch

Spiel mit verschiedenen Farbtönen

Möbeltyp: Tisch, 2,5 × 1 m.

Zweck: essen, trinken, zusammen sein.

Schreinerei: Privatarbeit bei der Köchli Schreinerei GmbH, Steinmaur ZH.

Oberfläche: geölt.

Material: Restholz, Tischlerplatte, MDF.

Preis: unverkäuflich.

Steckbrief «Degelo»-Tischsofa

Überhöckeln ausdrücklich erwünscht

Möbeltyp: nicht Stuhl, nicht Bank, nicht Sofa, sondern alles in einem.

Zweck: im Sitzen viel Zeit verbringen.

Schreinerei: Spicher AG, Brugg AG.

Material: OSB, Rohstahl oder Eiche massiv (Füsse).

Preis: ab 1500 Franken.

Steckbrief «La table profonde»

Alles andere ist Beilage

Möbeltyp: Tisch mit bespielbarer «Bühne» in der Mitte der Platte.

Zweck: für alles, was ein Tisch kann.

Schreinerei: Harder AG, Winterthur ZH.

Oberfläche: geölt.

Material: Kunstschiefer, Stahl (Gestell).

Preis: 2500 bis 5000 Franken.

Steckbrief Tisch «Bock & Gais»

Gnadenlos reduziert

Möbeltyp: Tisch für grössere Räume.

Zweck: Wohnen oder Arbeiten.

Schreinerei: Vonbüren Restaurieren, Cunter GR.

Oberfläche: handgehobelt, geseift.

Material: Arvenholz, Metall (Beine).

Preis: ca. 10 000 Franken.

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Veröffentlichung: 25. August 2016 / Ausgabe 34/2016

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