Mit Schalk in die Zukunft

Vor einem Jahr machte an der IMM Köln der Holländer Jolan van der Wiel mit seiner Performance auf sich aufmerksam.

Material und experiment.  Lehre nennt der Schreiner ein Gerät, das ihn bei der Produktion einer Kleinserie unterstützt. Designer entwickeln das nützliche Hilfsmittel nun zu einer richtigen Maschine weiter und zeigen bewusst den Herstellungsprozess.

Was machen Designer, wenn sie voller Ideen stecken, jedoch (noch) nicht das Netzwerk besitzen, um diesen auch tatsächlich Nachdruck zu verleihen oder Ausdruck zu geben? Die Lösung ist naheliegend: Sie erfinden gleich auch noch eine Maschine mit hinzu; eine Art erweiterte Produktionslehre. Sie soll es erlauben, ihre Erfindung auf raffinierte und einfache Weise selbst herzustellen.

Spielend produzieren

So werden die Grenzen von Materialien gezielt gesucht und ausgereizt oder bewährte Produktionsverfahren neu interpretiert, kombiniert und einer spezifischen Aufgabe zugeführt. Den entstehenden Gegenständen ist die Freude am Entwurf meist anzusehen. Sie erzählen in der Produktsprache des Schalks die Leichtigkeit des Spiels. Meister des Fachs ist die Ecole cantonale d’art de Lausanne (Ecal), eine der wenigen Schweizer Schulen für Produktdesign.

Am Designers’ Saturday in Langenthal zeigten Studenten der Ecal unter dem Projektnamen «Low Tech Factory» gleich eine Reihe von Arbeiten, bei denen selbst gestaltete Produktionsmittel oder weiterentwickelte Lehren eine zentrale Rolle einnahmen. Die Schüler selbst präsentierten das Designla-bor in weissen Ärztekitteln. Ein Beispiel: Damien Ludi und Colin Peillex liessen mit ihrem «Rocking-Knit» den Grossvater Stricken – sogar wenn er eigentlich gar nicht stricken kann. Die Mütze entsteht nämlich ganz ohne Anstrengung beim Schaukeln im Schaukelstuhl! Durch die Bewegung wer-den Zahnräder aktiviert, welche wiederum eine Strickmaschine antreiben. Die wärmende Mütze entsteht spielend über dem Kopf, wo sie schliesslich auch hingehört.

Zwischen Design und Kunst

Das Design rückt der Kunst immer näher und scheinbar funktionslose Formen nehmen trotzdem versteckte Funktionen wahr. Unter diesen Voraussetzungen sind Objekte von Gestaltern immer mehr in Galerien als im Möbelhandel anzutreffen. Dadurch wird auch der Diskurs verstärkt geführt, was nun genau Design von Kunst unterscheidet. Wenn extra angefertigte Maschinen vom Designer bedient werden, um vor Publikum einen individuellen Gegenstand in Echtzeit herzustellen, dann ist diese Gren-ze nachweislich dünn. Der Produktionspro-zess wird zur Performance und die Herstellung zum Schauspiel. Nicht zuletzt übt eine überzeugende Präsentation die grössere An-ziehung aus als ein schlichter Gegenstand an sich – und ist aus diesem Grund auch werbewirksam.

Einer, der dieses Schauspiel kennt, ist der Niederländer Jolan van der Wiel. Vor kurzem machte er an den Möbelmessen in Köln und Mailand mit seinem «Gravity Stool» auf sich aufmerksam. Der ungewöhnlich alienhafte Hocker entsteht – wie es der Name sagt – mithilfe der Schwerkraft. Aus einer mit Eisenstaub versetzten Kunststoffmasse zieht der Gestalter mittels einer überdimensionalen Vorrichtung sowie drei Magneten die drei Beine in die Höhe. Für die definitive Form des jeweiligen Unikats steht der Zufall Pate. Auch dieses Experiment ist nicht ganz ernst gemeint, zeigt aber die Bandbreite von solchen Projekten. Denn hier wird nicht nur ein Produkt hergestellt, sondern gleich auch ein neues Material erfunden. Es lohnt sich durchaus, die Herstellung der extravaganten Objekte auf einem Videoportal nachzuverfolgen. Da findet man auch Phil Cuttance, der mit seiner Maschine Vasen herstellt. Oder Dirk van der Kooij mit seinen Recyclingstühlen aus Plastik von alten Kühlschränken.

Die Anzahl der Gestalter nimmt zu, die für ihr Produkt gleichzeitig auch das passende Produktionsmittel gestalten. Sie bedienen sich damit nicht zuletzt der Individualität als Verkaufsargument. Sollte sich dieses Muster in der Produktkultur durchsetzen, dürfte das für Schreiner kein schlechtes Zeichen sein. Schliesslich produzieren auch sie sehr individuell. Nur müsste man den Herstellungsprozess wohl sichtbar machen. Die technischen Möglichkeiten sind ja vorhanden.

www.ecal.chwww.jolanvanderwiel.comwww.philcuttance.comwww.dirkvanderkooij.nl

Neues aus Köln

Improvisiertes Rotationsformen

Das Produktionsverfahren Rotationsformen wird in der Industrie dann eingesetzt, wenn aufgrund einer geringen zu produzierenden Stückzahl im Kunststoffbereich niedrige Werkzeugkosten erwünscht sind. Im Rahmen des D3-Contests an der Internationalen Möbelmesse in Köln hat die Höhere Fachschule Offenbach die Ergebnisse ihres Workshops «Rotation und Improvisation» vorgestellt. Die Workshopleiterin Annika Frye dazu: «Die Geschwindigkeit der Drehbewegungen hängt direkt vom eingesetzten Material ab.» Nach vielen Versuchen habe man schliesslich einen 2-Komponenten-Gips eingesetzt. Die Frage erübrigt sich also, ob man dafür auch flüssiges Holz hätte einsetzen können.

www.annikafrye.de

MW

Veröffentlichung: 01. Februar 2013 / Ausgabe 5/2013

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