Möbelkäufer werden mobil

Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen sind Karten, die der Schweizer Möbelmarkt noch mehr ausspielen sollte. Archivbild: SZ

Möbelmarkt.  Bei den Schweizerinnen und Schweizern steigt die Lust, mehr Geld in ihre Wohnungseinrichtung zu investieren. Laut einer Forschung der Universität St. Gallen heisst das allerdings noch lange nicht, dass der inländische Möbelhandel davon profitieren wird.

Auf den ersten Blick scheint die Welt im Schweizer Möbeldetailhandel in Ordnung zu sein. Gemäss einer Studie des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St. Gallen spielt der Möbeleinkauf bei der Schweizer Bevölkerung eine zunehmend wichtige Rolle. Dies spiegelt sich in der Absicht der Schweizerinnen und Schweizer wider, in Zukunft mehr Geld für Möbel ausgeben zu wollen.

Im Vergleich zu 2013 erhöhte sich die Ausgabe-Neigung der Schweizer Konsumenten von 20 % auf aktuell 23 %. In der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen planen sogar 28 %, in Zukunft ihre Ausgaben für Möbel und Einrichtungsgegenstände steigern zu wollen. Trotz dieser positiven Aussichten konnte der Schweizer Möbelhandel im vergangenen Jahr aber nicht profitieren.

Der seit der Aufwertung des Frankens immer populärer gewordene Einkaufstourismus hat ein Loch in die Kassen der Möbelhändler gerissen und führte zu Umsatzeinbussen von durchschnittlich 7 %. Neben der Sportbranche leidet die Möbelbranche am stärksten unter der Aufhebung des Euro-Mindestkurses. Mehr als 40 % der Schweizer Konsumenten vergleichen aktiv die Preise mit den Anbietern im grenznahen Ausland und setzen mehr Zeit ein, sich über deren Angebote zu informieren. Knapp ein Drittel kauft seither mehr Einrichtungsartikel im Ausland. Nur etwa die Hälfte der Schweizer hat ihr Kaufverhalten seit 2013 nicht verändert.

Produktsortiment ist ausbaufähig

Die Möbelausgaben wachsen also insgesamt, nur das Geld fliesst nicht in die Kassen der Schweizer Händler. Dies liegt unter anderem an Defiziten des Schweizer Möbelhandels im Bereich des Produktsortiments. Die Studie des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St. Gallen zeigt, dass Konsumenten bei der Auswahl eines Geschäfts für ihren Möbeleinkauf am meisten auf das innovative und qualitativ hochwertige Produktangebot (81,1 %) achten. Besonders interessant ist hierbei, dass das Produktsortiment in keiner anderen Branche einen vergleichbar hohen Stellenwert hat.

In Deutschland schätzen die Schweizer Konsumenten vor allem das Angebot an Wohntextilien, Wohnaccessoires und Möbeln. Auch punktet Deutschland mit besseren Möglichkeiten der individuellen Konfiguration von Produkten. Dies ist insbesondere in Zeiten, in denen das Thema «Personalisierung» einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt, bedenklich. Für den Schweizer Möbelhandel gilt folglich, dass er sein gesamtes Angebot neu analysieren und zeitgemässe Kundenwünsche nach Service und Personalisierung auch stärker in den Fokus rücken muss.

Doch es gibt auch Lichtblicke für die helvetischen Händler. Generell vermag die Möbelbranche wie keine andere, ihre Konsumenten zu inspirieren. Möbel bestimmen massgeblich den Wohlfühlfaktor in den eigenen vier Wänden, weshalb der Kaufprozess von viel Überlegungs- und Recherchearbeit geprägt ist. Ganze 72.8 % der insgesamt über 2000 schweizweit befragten Personen fühlen sich im Laden ihres bevorzugten Möbelhändlers durch neue Kaufideen inspiriert. Und obgleich der Inspirationsgrad 2013 bereits bei 68 % lag, hat es die schweizerische Möbelbranche im vergangenen Jahr geschafft, diesen noch einmal um weitere 5 % zu steigern.

Den Wertewandel soll man nutzen

Vor allem Frauen lassen sich gerne im Geschäft von neuen Ideen begeistern und sind offen für die Empfehlungen des Verkaufspersonals. Vereinzelte Händler versuchen, ihr Produktangebot über Innovationen und Services zusätzlich emotional aufzuladen. Beispielsweise ermöglicht die Ikea-App die virtuelle Darstellung eines Möbelstücks im eigenen Wohnzimmer. So kann sich die potenzielle Käuferin ihr eigenes Bild davon machen, ob das Sofa in die Lücke zwischen Kommode und Wandschrank passt.

Konsumenten schätzen in der Schweiz die Nachhaltigkeit der Produkte und die Produktionsbedingungen. Innerhalb der letzten drei Jahre stieg der Anteil der nachhaltigkeitsorientierten Konsumenten stark. Der Anteil jener, die bereit wären, für umweltfreundliche oder fair gehandelte Produkte einen Aufpreis zu zahlen, hat sich um rund ein Drittel erhöht. Die durch die Digitalisierung getriebene, vollumfängliche Verfügbarkeit von Informationen verstärkt diese Entwicklung und manifestiert sich im Wunsch der Konsumenten, genauere Details zur Herkunft der Produkte zu erhalten (+18 % im Vergleich zu 2013). Die Händler und Produzenten sollten diesen Wertewandel in den Bedürfnissen der Schweizer Konsumenten als Chance aufgreifen: Es gilt, den sozialen Mehrwert ihrer Produkte transparent und prägnant nach aussen zu kommunizieren. Ein erhöhter Nachhaltigkeitsfokus befähigt zu einer exakteren Ansprache des Kundenwunsches, was nicht nur zur Bindung bestehender Kunden, sondern darüber hinaus zur Gewinnung von Neukunden beiträgt. Dennoch: Diese Massnahmen alleine werden nicht ausreichen, um dem Einkaufstourismus erfolgreich entgegenzutreten.

Zusätzliche Drohgebärden gehen von ausländischen Online-Anbietern aus, die weitere Schweizer Kunden für sich gewinnen konnten. Bereits 35 % aller Konsumenten, die Einrichtungsartikel bei stationären Anbietern im Ausland kaufen, haben auch bereits einmal bei ausländischen Online-Händlern gekauft. Mehr als drei Viertel dieser Konsumenten lassen sich die Artikel direkt nach Hause schicken. Ungefähr ein Viertel lässt sie an Freunde und Bekannte liefern, um sie dann im Ausland abzuholen. Knapp 20 % der Online-Einkaufstouristen decken bereits über 40 % ihres Bedarfs an Einrichtungsartikeln übers Internet.

Potenzial bei den Jungen und im Netz

Der Schweizer Möbelhandel muss sich demnach um zwei zentrale Aspekte kümmern, die in Zukunft relevanter werden: die jungen Schweizer und das Internet. Auf der einen Seite sollten speziell jüngere Zielgruppen im Auge behalten werden, da knapp die Hälfte der 26- bis 39-Jährigen plant, in Zukunft noch mehr Einrichtungsgegenstände im Ausland zu kaufen. Auf der anderen Seite wird der Einkauf im Internet relevanter. Zwar beträgt der Anteil derjenigen, die letztendlich den Grossteil ihrer Möbeleinkäufe im Internet tätigen, lediglich 4 %. Doch das Internet wird beim Möbelkauf immer wichtiger, da sich insbesondere vor dem Kauf 76 % der Konsumenten häufig oder manchmal über einzelne Produkte online informieren. Dies entspricht einer Steigerung von 14 % gegenüber 2013.

Selbstverständlich spielt der stationäre Möbelhandel nach wie vor eine tragende Rolle, um dem Kunden die direkte Interaktion mit den Produkten zu ermöglichen. Er muss aber zunehmend um digitale Dienstleistungen ergänzt werden, um die Kunden bereits während der Informations- und Suchphase abzuholen und sie über die unterschiedlichen Berührungspunkte («Touchpoints») hinweg bis in die Nachkaufphase zu begleiten. Das richtige Sortiment und die wechselseitige Ergänzung der kanalübergreifenden Services werden daher zwischen Siegern und Verlierern der Digitalisierung entscheiden.

Literatur: Thomas Rudolph und Maximilian Weber: «Konsumententrends im Schweizer Möbeldetailhandel – Das Branchenprofil 2015/16». St. Gallen: Forschungszentrum für Handelsmanagement, 2015. ISBN 978-3-906057-20-0.

DIE AUTOREN

Beide Autoren dieses Artikels sind an der Universität St. Gallen in der Forschung tätig. Thomas Rudolph (TR, links) ist Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing sowie Direktor des Forschungszentrums für Handelsmanagement. Er leitet als Inhaber des Gottlieb-Duttweiler-Lehrstuhls für Internationales Handelsmanagement das St. Galler Retail Lab, einen Think Tank zur Zukunft des Handels. Severin Friedrich Bischof (SFB, rechts) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Forschungszentrum für Handelsmanagement. Zuvor studierte er Betriebswirtschaftslehre und Inno- vationsmanagement an der Universität St. Gallen, der Harvard University und der London School of Economics.

www.unisg.ch

SFB/TR

Veröffentlichung: 25. August 2016 / Ausgabe 34/2016

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