Partnerschaft schont Kapital und Nerven

Das gegen Süden ausgerichtete Dach ist mit Solarpanels gedeckt. Die Panels schützen auch die Bausubstanz. Bild: Roger Langenegger

Nachhaltigkeit.  Die Stadtberner Schreinerei Dürig und Völkel nutzt Solarstrom vom eigenen Dach – dank eines Crowdinvestment-Modells. Die Fotovoltaikanlage wird durch die Start-up-Firma Solarify betrieben. Für Schreinermeister Xaver Dürig zahlt sich die Zusammenarbeit aus.

Solarenergie ist die Energie der Zukunft. Davon ist Schreiner Xaver Dürig überzeugt. Auf dem Dach der Schreinerei, die er mitten in einer Industrie- und Gewerbezone in Bern führt, prangen 113 Solarpanels. Sie versorgen das Gebäude mit sauberer Energie vom eigenen Dach. Die Anlage ist eines der ersten Projekte des Berner Oberländer Start-up-Unternehmens Solarify. Kurz zusammengefasst ist die Geschäftsidee der Solarify GmbH eine einfache: Die Firma sucht Dächer, die sich für die Energiegewinnung durch Fotovoltaik eignen. Auf ihrer Website bietet sie anschliessend einzelne Panels der Projekte als nachhaltige Investitionsmöglichkeit für Privatpersonen an. Sobald alle Panels verkauft sind, wird die Anlage gebaut. Mit diesem sogenannten Crowdinvestment-Modell wird nur realisiert, was sich wirklich finanzieren lässt.

Kontakt im richtigen Moment

Für Xaver Dürig kam das Modell von Solarify genau zum richtigen Zeitpunkt. Er hatte die Schreinerei gerade erst gekauft und war mit seinen 15 Mitarbeitenden von Thun nach Bern umgezogen.

Für 2016 war geplant, die gesamte Gebäudefassade energetisch zu sanieren. «Für weitere Investitionen hatte ich in diesem Moment kein Kapital», sagt er. Fast gleichzeitig war Aurel Schmid für sein neu gegründetes Start-up Solarify auf der Suche nach nutzbaren Dachflächen. Über Bekannte kamen die beiden in Kontakt – und so entstand auf dem Dach der Schreinerei das zweite Projekt von Solarify. Die 30-Kilowatt-Anlage deckt mit ihren rund 185 Quadratmetern Fläche nahezu das ganze südlich ausgerichtete Dach ab.

Eternit darf länger oben bleiben

Zunächst begutachteten die Verantwortlichen von Solarify das Dach bezüglich Ausrichtung, Neigung und Zustand. «Wir schätzen die Machbarkeit und die Rentabilität einer Anlage immer ab, bevor wir ein Projekt weiterverfolgen», sagt Roger Langenegger. Der 25-Jährige ist nebst seinem Masterstudium in Nachhaltiger Entwicklung an der Universität Basel Mitglied der Geschäftsleitung von Solarify. Die Solaranlagen werden jeweils dem Standort angepasst. Auch bei Dürig und Völkel in Bern gab das bestehende Welleternitdach vor, was möglich war. Xaver Dürig hatte zunächst noch über einen Ersatz des 30-jährigen Dachs nachgedacht. Doch der Zustand des Dachs war immer noch genügend, und nun verlängern die Solarpanels seine Lebensdauer, «ein grosser Vorteil für die Bausubstanz», wie er sagt.

Solarify schliesst in der Regel mit den Gebäudeeigentümern langfristige Nutzungsverträge ab: Mindestens 30 Jahre beträgt die Lebensdauer einer Solaranlage. Um die Planungsarbeit, die Bewilligungsverfahren und die Ausführung kümmerte sich Solarify. «Das ist ein grosser Vorteil, denn ich hätte nicht nur kein Kapital gehabt, sondern auch nicht die Zeit und die Nerven, mich darum zu kümmern», sagt Xaver Dürig. «Oft sind gerade die Verantwortlichen von KMU im Arbeitsalltag stark ausgelastet. Für sie kann unser Rundum-Paket interessant sein», ist Langenegger überzeugt. Das Gebäude war für die Fassadensanierung bereits eingerüstet. Das vereinfachte die Arbeiten. Für die Gebäudeeigentümer fallen beim Geschäftsmodell von Solarify keinerlei Kosten für Erstellung oder Unterhalt an. Normalerweise dauern die Aufbauarbeiten rund eine Woche. Für die Ausführung sind lokale Spezialisten verantwortlich. «So bleibt ein grosser Teil der Wertschöpfung vor Ort», sagt Langenegger. Gewisse Arbeitsschritte, etwa bei der Montage der Unterkonstruktion, konnten Dürig und sein Team in bezahlter Eigenleistung realisieren – sozusagen als Auftrag auf dem eigenen Dach.

Zwei Drittel des Strombedarfs gedeckt

Am sinnvollsten ist eine Fotovoltaikanlage dort, wo der Strom auch gleich gebraucht wird. Interessant sind gemäss Langenegger Gebäude mit einer Dachfläche von mindestens 100 Quadratmetern und einem Verbrauch von mindestens 15 000 Kilowattstunden im Jahr. Xaver Dürig kann derzeit rund 70 Prozent seines Strombedarfs mit der Anlage auf dem eigenen Dach decken. Der dort produzierte Strom wird direkt über einen Wechselrichter ins Netz eingespeist. Als Gegenleistung für das Gastrecht für Solarify auf dem Dach erhalten die Eigentümer in der Regel einen Mietzins oder die erzeugte Elektrizität zu einem Tarif, der 5 bis 10 Prozent unter dem Marktpreis liegt. Eigentümer Dürig erhält eine jährliche Dachmiete von rund 460 Franken. Das Kostenrisiko der Anlage, etwa für Unterhalt und Reparaturen, tragen Solarify und die Investoren. Die langfristigen Nutzungsverträge schränken die Eigentümer der Liegenschaft etwas ein. «Kein Problem», sagt Dürig. Er habe aktuell nicht vor auszubauen. «Und falls ich plötzlich aufstocken möchte, wäre die Anlage relativ einfach ab- und wieder aufzubauen.» Zudem kann die Schreinerei die Solaranlage jederzeit zurückkaufen. Bei einem Verkauf gehen bestehende Verträge auf den neuen Besitzer über. «Eine bereits bestehende Fotovoltaikanlage steigert den Wert eines Gebäudes», ist er überzeugt.

Für Xaver Dürig waren es aber längst nicht nur die finanziellen Aspekte, die ihn zu einer Zusammenarbeit mit Solarify bewogen. «Ich stehe auch ideell absolut hinter dem Projekt.» Der ökologische Aspekt sei ihm nicht nur privat, sondern auch im Geschäft wichtig. So verwendet er in seinem Betrieb möglichst natürliche Materialien und verzichtet weitgehend auf Kunststoff. Er berücksichtigt lokale Lieferanten, seine Mitarbeitenden fahren mit Zug und Velo zur Arbeit – und er verwendet eben sauberen Strom vom Dach. «Mit unserem Bekenntnis zur ökologischen Produktion heben wir uns von den Mitbewerbern ab. Nun müssten wir das nur noch etwas besser vermarkten», sagt er und lacht.

Weil der 42-Jährige von der Idee überzeugt ist, hat er selbst in Panels investiert und sie seinen Kindern und Göttikindern geschenkt. «Einerseits ist das eine Wertanlage, andererseits möchte ich damit die nachfolgende Generation für Energiethemen sensibilisieren», sagt er. Über eine App kann er als Panelbesitzer jederzeit die Produktion und den Verbrauch abrufen. Bei ihm hat die Kontrolle des Stromverbrauchs dazu geführt, dass er eine Schwachstelle bei seinen Geräten fand: Ein Luftkompressor verbrauchte ein Vielfaches an Elektrizität und wurde ersetzt.

Win-win-win-Situation

Bei jedem Projekt berechnet Solarify zunächst Kosten und Rendite. Daraus ergeben sich anschliessend die Kosten pro Panel. Bei der mittelgrossen, rund 80 000 Franken teuren Anlage auf Dürigs Dach etwa kostet ein Panel rund 720 Franken. Vom Nettoertrag, den eine Anlage einspielt, gehen während des Betriebs 80 Prozent an die Investoren, 20 Prozent bleiben bei Solarify. «Für Investoren sind die Anlagen zwar keine Goldgrube, aber doch rentabel», sagt Roger Langenegger von Solarify.

Doch ihm geht es um mehr als nur den Gewinn, wie er sagt: «Wir möchten die Energiewende vorantreiben und die Gesellschaft daran teilhaben lassen.» Wenn der nationale Strommarkt bisher von wenigen grossen Akteuren dominiert war, soll sich dies seiner Ansicht nach nun ändern. Der Strommarkt der Zukunft solle keine rein technokratische Angelegenheit mehr sein, sondern dezentraler und inklusiver funktionieren. «Und deshalb bringen wir Dacheigentümer ohne Zeit und finanzielle Ressourcen mit potenziellen Geldgebern zusammen, die ihre Rücklagen in sinnvolle Anlagen investieren wollen», sagt Langenegger. Es gibt eine Warteliste mit potenziellen Investoren. Solarify sucht weitere Dächer. Aktuell stehe man in Verhandlungen mit zwei Schreinereien im Raum Thun BE. «Aber wir würden uns freuen, noch mehr Schreiner ins Boot zu holen», sagt Langenegger. «Für uns hat sich die Zusammenarbeit bis jetzt auf jeden Fall sehr gelohnt», sagt Xaver Dürig.

Im Kurzporträt

Solarify GmbH

Das im Jahr 2016 von Aurel Schmid gegründete Start-up-Unternehmen Solarify GmbH mit Sitz im bernischen Hilterfingen finanziert und betreibt schweizweit Fotovoltaikanlagen. Dem Geschäftsmodell des Start-ups liegt eine Crowdinvestment-Strategie zugrunde. Mittlerweile hat die Firma mit ihren sechs Mitarbeitenden landesweit bereits 17 Anlagen realisiert.

www.solarify.ch

Dürig und Völkel GmbH

Die Dürig und Völkel GmbH ist eine inhabergeführte Schreinerei mitten in Bern. Das Unternehmen mit 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist spezialisiert auf die Produktion massgefertig- ter Küchen und Möbel und hat grosse Erfahrung im Massivholzbereich. Inhaber und Geschäftsführer Xaver Dürig legt Wert auf qualitativ hochwertige und ökologische Materialien.

www.vomschreiner.ch

Franziska Gertsch

Veröffentlichung: 27. August 2020 / Ausgabe 35/2020

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