Produktionslinie für gehobene Küchen

Im Vordergrund befindet sich die LS1, dahinter das automatische Plattenlager.

Prozesse.  Im Kanton Appenzell Ausserrhoden steht eine der neusten, automatisierten und verketteten Produktionsanlagen der Schweiz. Das Spezielle daran: Ein Roboter sortiert die Teile. Die SchreinerZeitung konnte einen exklusiven Blick auf die Anlage werfen.

Rückblende: 2015 hob die Schweizerische Nationalbank den Euro-Mindestkurs auf – ein Schock für viele Unternehmen. Auch beim Schweizer Küchen- und Möbelproduzenten Elbau hat man dies zu spüren bekommen. «Auf einen Schlag waren wir 20 % teurer als die Konkurrenz aus dem Ausland. Da war für uns klar, dass wir uns weiterentwickeln müssen», sagt Jürg Schläpfer, Projektleiter Entwicklung. Das Unternehmen produziert am Standort Bühler AR pro Jahr zwischen 3000 und 3500 Küchen für das gehobene Segment.

Herstellerunabhängig anbinden

Ganz am Anfang der Veränderung stand die Evaluation eines neuen ERP für die Auftragserfassung und -planung. Das vorhandene System funktionierte zwar noch gut, war aber doch schon etwas in die Jahre gekommen und für künftige Anwendungen nicht mehr zeitgemäss. So war es beispielsweise nicht unüblich, dass der jeweilige Projektleiter für spezielle Details noch Korrekturen von Hand in den Plänen und Stücklisten eintrug.

Das Unternehmen entschloss sich dann für eine Lösung aus MCS- und COE-Modulen aus dem Hause Homag. Ausschlaggebend dafür war die Möglichkeit, herstellerunabhängig Anbindungen an verschiedene Maschinen und Systeme zu machen. Zudem wollte man die enorme Produkte-Individualität im System abbilden können.

Viele Maschinen ohne Verbindung

Unabhängige Lösungen waren bei Elbau schon immer ein Thema. Bevor die neue Produktionslinie komplett war, hatte man manuell auf drei horizontalen Plattensägen von Schelling zugeschnitten. Für das Kantenanleimen standen ebenfalls drei Maschinen zur Verfügung. Eine davon war von Homag und mit einem Laseraggregat ausgerüstet. Die Bohrzentren kamen aus dem Biesse-Konzern.

«Maschinentechnisch waren wir stets auf einem sehr guten Stand», sagt Produktionsleiter Martin Brunner. Aber jede Zelle wurde separat betrieben, die Prozesse waren nicht verbunden. Die Holzwerkstoffplatten lagerten in grossen Kragarmregalen und mussten für den Zuschnitt umständlich mit dem Stapler zu den Sägen transportiert werden. Ausserdem kaufte das Unternehmen gewisse Teile zu und führte ein grosses Lager an Halb- sowie Fertigfabrikaten.

Das Ziel wurde deshalb klar definiert: Es sollte eine Losgrösse-eins-Fertigung entstehen. Nicht etwa, um Personal einzusparen, wie Jürg Schläpfer sagt: «Sondern um die Fertigungstiefe im Betrieb zu verbessern, die Lagerbestände zu reduzieren, der grossen Produktvielfalt gerecht zu werden und konkurrenzfähig produzieren zu können.»

Damit begab sich das Unternehmen auf unbekanntes Terrain, und dies nicht nur, weil eine bewährte Produktion komplett umgekrempelt wurde. «Von uns hatte niemand Erfahrung mit einem vergleichbaren Projekt», sagt Schläpfer.

Also begann man, sich mit verschiedenen Anlagenkonzepten der Anbieter zu befassen. Weil die vorhandenen Plattensägen von Schelling noch relativ neu waren und gut funktionierten, liess man den Zuschnitt aussen vor, zumindest vorerst. Es zeigte sich aber bald, dass auch das Plattenlager und der Zuschnitt samt Plattenlager überdenkt werden mussten, um Platz für die Produktionslinie zu schaffen und einen konstanten Materialfluss zu gewährleisten. Denn die räumliche Situation war durch das Produktionsgebäude gegeben. «Zudem haben wir festgestellt, dass das Zuschneiden von ganzen Paketen stetig weniger ein Thema ist», sagt Martin Brunner. Das heisst: Künftig sollen zwecks Optimierung verschiedene Produktionslose gemischt zugeschnitten werden können.

Entsprechend prüfte man verschiedene Konzepte mit klassischen, automatisierten Sägen, Roboter-Sägen und auch Nesting-Lösungen. Wie immer habe alles Vor- und Nachteile gehabt. Am Ende entschied man sich dazu, eine Säge-Lager-Kombination zu kaufen, aber nicht beim gleichen Anbieter wie der Rest der Anlage. Elbau bezog das automatisierte Lager VS20, die Säge LS1 und die Etikettierung von Schelling. Für den manuellen Zuschnitt steht eine neue FH4-Säge zur Verfügung, die ebenfalls an das automatische Plattenlager angebunden ist. «Auf die LS1 hatte ich schon länger ein Auge geworfen, denn die Säge hat mich einfach überzeugt», erzählt Produktionsleiter Brunner. Beim Rest der Anlage, sprich Kantenanleimmaschine, Rückführung, Förder- und Sortiertechnik sowie Bohrzenter, setzte Elbau auf Biesse. Gemäss Brunner hatte man bereits zuvor gute Erfahrungen gemacht mit den Brema-Bohrzentren. «Zudem spürten wir, dass Biesse trotz Software-Lösung von Homag und Säge-Lager-Kombination von Schelling keine Berührungsängste hatte und sehr flexibel reagierte.» So hat man sich im letzten Moment nochmals umentschieden und die maximale Teilelänge von 2420 auf 2600 mm vergrössert. Von den Planern und Ingenieuren sei dies reibungslos umgesetzt worden.

Kantenanleimen für die Kleinsten

Aufgrund der gesammelten Erfahrungen der vergangenen Jahre legte das Unternehmen viel Wert auf die Konfiguration der Kantenanleimmaschine. Speziell wurde auf den Einzug sowie den Oberdruck für kleine Teile geachtet. «Unsere kleinsten Teile messen 271 × 124 mm. Diese müssen ebenfalls exakt rechtwinklig durch die Maschine geführt werden», erklärt Brunner. Nicht nur, um eine einwandfreie Kantenqualität zu garantieren, sondern auch, um die Masshaltigkeit zu gewährleisten. Denn die Teile werden in einem Durchlauf auf zwei Seiten exakt auf das Fertigmass gefügt.

Welche Nullfugentechnologie?

Bei der Leimtechnik entschied man sich für das PU- und das Heissluft-System «Airforce». Selbstverständlich war auch die Laser- Technologie wieder ein Thema. Aufgrund der gemachten Erfahrungen stellte man aber fest, dass sich dies für die Anforderungen von Elbau nicht rechnet. «Nur etwa ein Drittel aller Frontkanten, die wir verarbeiten, sind Nullfugenkanten. Zudem brauchen wir nicht so hohe Vorschubgeschwindigkeiten, wie dies bei Lasern möglich wäre», begründet Martin Brunner den Entscheid.

Dafür ist die Maschine mit zwei PU-Aggregaten ausgerüstet, damit schnell zwischen farblosem und farbigem Klebstoff gewechselt werden kann. Übrigens: Aufgrund der Wasserfestigkeit verwendet Elbau Nullfugenkanten nur bei Platten mit einer mindestens 0,5 mm dicken Beschichtung.

Vor und nach der Kantenanleimmaschine befinden sich Hubkettenspeicher, um den Materialfluss von der Plattensäge und bei der Rückführung auszugleichen. An diesen Stellen sind zudem noch Entnahmeposten vorhanden. An diesen können Teile entnommen und wieder zugeführt werden, beispielsweise wenn diese nicht mehr weiterbearbeitet werden müssen, in die Oberflächenbehandlung gehen, oder für die Qualitätskontrolle.

Roboter zum Sortieren

Im Anschluss an die Kantenanleimmaschine folgt ein Sortierroboter. In dieser Form dürfte dies die erste Produktionslinie der Schweiz sein, die über solch eine Zelle verfügt. Der Roboter lagert die Teile in der Reihenfolge, wie sie ankommen, liegend in Gestelle ein. Eine stehende Lagerung wäre ebenfalls möglich gewesen. «Liegend können aber bis zu vier Teile aufeinandergestapelt werden, wir können also die Fläche besser ausnutzen», sagt Martin Brunner. So können bis zu 450 Teile eingelagert werden; dies entspricht ungefähr den Werkstücken von vier Küchen.

Das System teilt die Werkstücke in Gruppen (Kommissionen) und Untergruppen (Schränke) ein. Sobald eine Gruppe komplett ist, lagert der Roboter die Teile entsprechend den nachfolgendenden Arbeitsschritten aus. Die Ausrichtung erfolgt gemäss dem Bohrplan des jeweiligen Teiles.

Vertikal bearbeiten

Im Anschluss stellt ein Hubtisch die Teile auf, damit die vertikalen Bohrzentren von Brema sie aufnehmen können. «Wir haben uns für die vertikale Bearbeitung entschieden, weil die Teile so problemlos von allen Seiten bearbeitet werden können», sagt Brunner. Dazu befindet sich vor jedem Zentrum eine Wendeeinrichtung.

Beide Maschinen sind mit verschiedenen Fräsern und Bohrern für die Korpus- und Frontbearbeitung ausgerüstet. Die erste ist zusätzlich mit einem Dübeleintreib-Aggregat ausgerüstet, die zweite kann Topfbänder und Frontpuffer einpressen. Zudem verfügen die Maschinen über Revolver-Wechsler, welche einen Werkzeugwechsel in zwei Sekunden ermöglichen.

Leitrechner hat die Kontrolle

Am Ende der Anlage befindet sich ein Igelmagazin für die Entnahme der fertig bearbeiteten und sortierten Teile. Ein Mitarbeiter lädt sie in die entsprechenden Kommissionierwagen, dann werden sie den nächsten Arbeitsstationen zugeführt. Ein Leitrechner übernimmt die Steuerung der gesamten Produktionslinie mit dem Überwachungsprogramm «B Avant» von Biesse. Für die Mitarbeiter in der Produktion war dies natürlich eine grosse Umstellung. Wenn an einer Zelle etwas verändert wird, hat dies meist Auswirkungen auf die ganze Linie. Gemäss Brunner hat sich dies aber positiv auf die Arbeit im Team ausgewirkt. Früher habe sich jeder für sich an der Maschine organisiert. «Heute muss man sich mehr miteinander absprechen, dadurch ist eine ganz andere Dynamik entstanden.»

Turbulente Zeiten während Umstellung

Die Umstellung hat aber von allen Beteiligten sehr viel abverlangt. Am 1. Januar 2018 wurde die neue Auftragsbearbeitungssoftware installiert. Kurz darauf begann man, die Produktion im laufenden Betrieb umzustellen. Dies geschah in fünf Phasen während rund eines Jahres:

  • Plattenlager und Zuschnitt
  • Bohrzentrum
  • Kantenanleimmaschine
  • Sortierroboter
  • Vernetzung aller Zellen

Zusammen mit der neuen Software sei dies natürlich schon sehr ambitioniert gewesen, sagt Jürg Schläpfer. «Aber wir wollten die Umstellung so kurz wie möglich halten.» Denn damit es zu keinem Produktionsunterbruch kam, mussten Platten und andere Materialen extern gelagert werden. Der Transport und das Handling waren deshalb sehr aufwendig.

Als ob dies nicht genug gewesen wäre, sorgte im Herbst 2018 auch noch Mutter Natur für einen Schock: Das Sturmtief «Vaia» verursachte massive Schäden am Hallendach – genau dort, wo sich die neue Produktionslinie befindet. «Zum Glück drang aber kein Wasser ein, und die neuen Anlagen blieben unversehrt», sagt Martin Brunner.

Eine Maschine bleibt noch

Heute ist von all dem nichts mehr zu sehen, und ein Grossteil der Produktion läuft komplett über die neue Anlage. Einzig eine Kantenanleimmaschine mit Laseraggregat aus der alten Produktion steht noch in der Halle. Über diese laufen Spezialteile und Kanten, die auf der neuen Maschine derzeit nicht eingerichtet sind. Diese sollen aber sukzessive ebenfalls über die neue Linie laufen. «Nach wie vor ist manchmal die Versuchung gross, gewisse Teile noch nach dem alten Schema zu produzieren, statt die neue Philosophie konsequent durchzuziehen», sagt Martin Brunner.

Immerhin macht man sich bei Elbau bereits Gedanken, wie sich weitere Arbeitsschritte, wie zum Beispiel der Zusammenbau der Korpusse, ebenfalls in den Prozess integrieren lassen.

www.elbau.chwww.biesse.chwww.schelling.atwww.homag.com

ph

Veröffentlichung: 11. Juni 2019 / Ausgabe 23/2019

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