Schreiner: Ein Beruf steckt voller Design


Romantik unter dem Dach: Im «Chalet Schtuba» kontrastieren die Altholzverkleidungen mit modernem Mobiliar und schaffen ein wohnliches Ambiente. Bild: Yvo Fux
Romantik unter dem Dach: Im «Chalet Schtuba» kontrastieren die Altholzverkleidungen mit modernem Mobiliar und schaffen ein wohnliches Ambiente. Bild: Yvo Fux
BerufsBild. Das hölzige Handwerk bietet trotz industrieller Fertigung viel Gestaltungsspielraum. Denn nützliche Dinge sollen prima funktionieren und zusätzlich schön sein. Eine Spielwiese also für kreatives Zusammenarbeiten: Schreiner, Designer, Planer und Architekten erzählen.
Was andere achtlos wegwerfen würden, begeistert ihn. Altholz ist für den Schreiner Yvo Fux das wichtigste Baumaterial. Zum Glück gibt es im Wallis genug davon. Es ist immer neue Inspirationsquelle für den Zermatter und seinen Geschäftspartner, den Architekten Arno Perren. Die beiden haben sich auf Neu- und Umbauten mit Altholz spezialisiert. Solch kreative Zusammenarbeiten gibt es in der Schreinerbranche viele. Denn eine gute Schreinerarbeit braucht nicht nur die zündende Idee, sondern auch einen guten Entwurf, zuverlässige Planung und eine gelungene Ausführung.
Diese zahlreichen Stationen eines Bauprojektes kennt das Walliser Doppel bestens. Seit zehn Jahren arbeiten Schreiner und Architekt zusammen und verwirklichten bisher rund 20 Bauvorhaben: exklusive touristische Projekte wie etwa den Umbau des Hotels Post Zermatt, des Hotels Europe sowie diverse Privathäuser. «Man muss bei diesen Aufträgen vor allem schnell sein, sonst geht viel Zeit verloren», erklärt Arno Perren vielsagend. Kurze Wege und eine gute Vernetzung mit Bauhandwerkern vor Ort bezeichnen die Partner als entscheidende Erfolgsfaktoren.
Ihr Motto ist klar: Moderne Architektur in den Alpen. Dafür hält Arno Perren stets Augen und Ohren offen, ob irgendwo ein Stall abgerissen wird oder ein Chalet zur Renovation steht. Dann zeichnet er Pläne und spricht über die Durchführbarkeit mit dem Kollegen. Das Team kennt die Herausforderungen von Baustellen im Berggebiet mit Hanglagen und knappen Grundflächen.
Ist die Entscheidung für ein Projekt gefallen, läuft die Aufgabenteilung wie geschmiert. Der Architekt macht Baueingaben und übernimmt Bewilligungsverfahren. Er koordiniert auch die Zusammenarbeit der Handwerker. Der Schreiner kümmert sich um die Organisation der Montagearbeiten mit den Handwerkern. Ausserdem stellt er das Altholz bereit. Das heisst: das naturbelassene Material muss gereinigt, gebürstet und von überstehenden Nägeln befreit werden. Er entscheidet oftmals spontan am Bau, welche Stücke infrage kommen. Auf originalgetreue Verwendung legt er keinen Wert. «Ich will selbst nachdenken», sagt der engagierte Unternehmer.
Auch Möbelschreiner Andreas Pfister und Grafiker Lars Villiger sind leidenschaftliche Gestalter. Sie experimentieren mit Produktideen. Jeden zweiten Dienstag treffen sich die Firmengründer von Eigenwert zum Fachsimpeln – gegenwärtig über einen Schrank. «Wir haben ein Leichtbaumaterial entdeckt, das für die industrielle Serie geeignet ist, und wir stellen uns damit eine mo- bile Aufbewahrung für Kleidung vor», sagt Andreas Pfister. Er skizzierte erste Entwürfe. Nun debattieren die beiden über Anschläge, Gewicht und Proportionen. Dem Grafiker Lars Villiger schwebt ausserdem ein 30 m langer Tisch aus einzelnen Modulen vor. «Es wäre doch praktisch, wenn jeder Laden soviel Tisch platzieren könnte, wie dort Raum zur Verfügung steht.»
Er steckt voller Ideen. Schon in der Schule zeichnete er einen Tisch mit gewölbter Arbeitsplatte. Für eine praktikable Umsetzung schickte ihn ein Klassenkamerad zu seinem Bruder, dem Möbelschreiner Andreas Pfister. So begann 1998 die Zusammenarbeit der beiden.
Brötchen woanders erwirtschaften
«Das Modulare ist Eigenwert», sagt Lars Villiger über das einzige Arbeitsprinzip des Teams. Beide machen sich grundsätzlich keine Gedanken über die Käufergruppe und die Produktionsart. «Dies ermöglicht uns schöpferische Freiheit», so der Möbelschreiner. Sicher habe das offene Arbeiten auch seine Tücken. Manches verläuft im Sande. Zum Glück müssen ihre Projekte keinen absoluten Gewinn abwerfen. Ihre Brötchen verdienen die Geschäftspartner jeweils in ihren selbständigen Berufen. «Vielleicht funktioniert die Unternehmerbalance im 14. Jahr deshalb», sinniert Grafiker Villiger. Es sei ein Geben und Nehmen und eine Spielwiese für Kreativität.
Doch die beiden innovativen Gestalter zahlten anfangs viel Lehrgeld, zum Beispiel mit teuren Messepräsenzen, die erfolglos verliefen. Ebenso brachte die Partnerschaft mit dem deutschen Hersteller und Vertriebspartner Tojo mehrere Fehlschläge. Durch teils eigenmächtige Produktionsentscheidungen von Tojo wurden Produktentwürfe massiv verändert – frustrierende Erlebnisse für solch kreative Köpfe.
Entwurf trifft auf Machbarkeit
Der Durchbruch gelang Eigenwert mit dem Regalsystem «Stell», das im Jahr 2006 den goldenen «Zürich Designpreis» der Designmesse Blickfang erhielt. Das ist ein frei stehendes Regal, dessen Grundelemente, die Winkel und Böden, ohne Befestigungsmittel ineinandergelegt werden. Es kann flach verpackt versendet werden. «Bieg», der erweiterte Prototyp eines Bücherregals, sollte an den Erfolg anknüpfen. Am Designers Saturday 2010 stand es im Hochregallager von Girsberger neben anderen innovativen Objekten. Das Möbel fiel dem Designer des Hauses, Stefan Westmeyer, ins Auge. Er stellte einen ersten Kontakt mit dem Zuständigen aus der Entwicklung von Girsberger her. «Das simple Konstruktionsprinzip des Stapelns überzeugte, zudem suchten wir eine Verwertungsmöglichkeit für unser Restholz», so Stefan Westmeyer. Bei der Herstellung der langen Massivholztischplat-ten für den Essbereich bleibt nämlich viel Material übrig.
Doch dann das plötzliche Aus des vielversprechenden Projekts aus dem Hause Girsberger. Eine Plankalkulation ergab, dass das Regal in der gewünschten Qualität zu teuer geworden wäre. Ausserdem passte es nicht in das Programmsortiment. Fast war der Plan schon verworfen worden, als Designer Westmeyer vorschlug, das Regal zum Sideboard weiterzuentwickeln. Die beiden Tüftler frohlockten, allerdings etwas zu früh. Denn ein Sideboard zeichnet sich durch einen geschlossenen Korpus aus – üblicherweise mit Türen und Schubladen. Das widerspricht grundsätzlich der offenen Idee, wie sie die beiden Gestalter vorlegten. «Die Herausforderung lag für uns alle also darin, das klassische Sideboardprinzip in ein offenes, variables Möbelstück umzusetzen», so Stephan Westmeyer.
Bei mehreren Treffen wurde der Entwurfsprozess gegenseitig abgestimmt. Da Entwurf und Herstellung an einem Ort stattfanden, ermöglichte dies den beiden Designern grosse Transparenz über die Transformation ihres Objekts. Andreas Pfister legte einen überarbeiteten, am Unternehmensprofil ausgerichteten Prototyp vor. Beide konnten «ihr Kind» endlich an die Indus- trialisierung abgeben.
Die Partner von Eigenwert sind glücklich, dass ihre besondere Idee veredelt werden konnte – in ein hochwertiges Möbel mit perfekter Verarbeitung des Aluminiums, wahlweise kombinierbar mit den 14 Hölzern der Girsberger Produktion. Natürlich geht das nicht ohne Lizenzvertrag. «Es ist ein Extrastück Arbeit, bis die gegenseitigen Rechte und Leistungen am Produkt geklärt sind», meint der Grafiker rückblickend. Doch das bützbergische Unternehmen arbeitete auch hier solide, meinen beide. Liesse sich nicht eine dauernde Partnerschaft einfädeln? Beide winken ab. «Das würde uns gestalterisch blockieren», meinen sie einstimmig.
Die schöpferische Freiheit ist auch für Roger Stüssi zentral. Der Schreiner und Innenarchitekt aus der Zentralschweiz sieht es als die grosse Herausforderung seines Berufes, Gestaltung immer wieder zu hinterfragen. «Die Fähigkeit, quer zu denken, bietet die Chance für neue Lösungen», so der Geschäftsführer des Betriebes Soius. Man werde schnell betriebsblind, wenn man an fachlichen Details klebe. Stüssi reduziert deshalb Gegenstände immer wieder aufs Wesentliche – nämlich auf ihre Machart. Jüngst beschäftigte ihn die Technik der gezinkten Verbindung einer Schublade. «Mir wurde erst wieder bewusst, welche Materialkenntnis es braucht, um Naturholz in den Griff zu bekommen», so Stüssi.
Das Material, aus dem die Träume sein könn- ten, das ist die treibende Kraft für den Möbelschreiner. Dafür schärft er seine Wahrnehmung ständig. Er bildete sich einst an der Schule für Innovation und Design Hans Zaugg weiter. «Die industrialisierte Welt gibt inzwischen bestimmte Materialien und deren Verarbeitung vor», so der Querdenker. Eintönigkeit sei die Folge. Eine Zeit lang habe man auf den Messen den Eindruck gehabt, es gehe nur darum, in welcher Form der PU-Schaum aus der Dose kommt. Er wollte selbst über den geeigneten Stoff entscheiden und machte sich auf zu einer 2-jährigen Wanderschaft zu den italienischen Materialästheten, den Firmen Boffi Bäder und Küchen sowie Cappellini Spa.
Mit seinem Rüstzeug plant, produziert und coacht er heutzutage in Zusammenarbeit mit Lichtplanern, Architekten und Gestaltern, ist aber eigentlich Schreiner und Designer in Personalunion.
Seine Möbelkollektion präsentierte er auf der jüngsten Mailänder Möbelmesse, sein bisher spannendstes innenarchitektonisches Projekt war die «Vorstadt 14» in Zug. Das historische Gebäude beherbergt heute eine Penthouse-Wohnung, eine Business-Suite und eine Kunstgalerie. Dabei kamen alle Facetten seines Tuns zum Einsatz. Es gelang Stüssi früh, das Vertrauen des Besitzers zu erlangen und ihn für seine Ideen der historischen Raumnutzung zu gewinnen. Der Innenarchitekt liebt es, architektonische Schätze des Hauses freizulegen. Dabei kommt sein handwerkliches Wissen voll zum Tragen. Denn ohne Modellbau geht es nicht.
Er setzt in seinem Architekturlabor, wie er es nennt, auf die dreidimensionale Wiedergabe, und zwar solange, bis der Kunde verstanden hat, worum es geht. «Schöpferisch arbeiten bedeutet für mich, dass etwas geschieht zwischen Mensch und Sache.»
www.fux-yvo.chwww.eigenwert.chwww.girsberger.comwww.soius.chVeröffentlichung: 30. August 2012 / Ausgabe 35/2012
Rückkehr: Nach sieben Jahren Pause ist Mauro Capozzo wieder als Geschäftsführer bei der Swiss Krono AG in Menznau LU tätig. Der 60-Jährige hatte zuvor das Unternehmen fast 40 Jahre mitgeprägt.
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