Sehnsucht nach fühlbaren Oberflächen

Der Trend zur Gemütlichkeit ist zurück. Das Arrangement stammt aus dem Haus von Team 7. Bild: Gabriela Kaiser

Trends.  In der Inneneinrichtung gibt es nicht den einen Trend. Klar wird aber, dass Wertigkeit und Gemütlichkeit derzeit absolut in sind, auch als Gegenreaktion auf die Digitalisierung. Schreiner- und Baugewerbe seien gefordert, sagt Trendforscherin Gabriela Kaiser.

Frau Kaiser, was ist ein Trend?
Im gängigen Sprachgebrauch bezeichnet ein Trend etwas, das gerade in Mode ist. Ein Trend beschreibt den vorherrschenden Geschmack in einer bestimmten Zeit, zum Beispiel in den 50er- oder 60er-Jahren. Wir leben in einer Welt permanenter Veränderungen, und Trends sind die Reaktionen darauf. Es gibt kurzlebige Produkttrends wie die Fidget Spinners, die kaum die nächste Saison überleben, und es gibt Megatrends wie die Urbanisierung, über die im Moment viel gesprochen wird, die 50 Jahre und länger andauern.
Woran erkennen Sie einen Trend?

Wenn mir ein Material, eine Farbe oder ein Muster immer wieder begegnet, dann ist das ein Hinweis auf einen Trend. Dafür muss ich mich auf dem Markt auskennen und wissen, ob es sich tatsächlich um etwas Neues handelt. Trends zu erkennen, ist vor allem Beobachtung und Informationsverdichtung. Es gilt, mit feinem Gespür leiseste Veränderungen wahrzunehmen. Die Anzeichen beobachte ich weiter, um festzustellen, ob ich von einem Trend sprechen kann.

Kommen Impulse aus der Industrie?
Ein Trend beginnt gerne am Rande des Mainstreams – in der Jugendkultur, der Avantgarde oder im Luxussegment. So versucht beispielsweise die Jugend, sich von der Erwachsenenwelt abzugrenzen, und dabei entsteht immer wieder Neues und Interessantes. Wichtig ist, dass Trends nicht künstlich gemacht werden können. Trends entstehen, weil die Zeit dafür gekommen ist und weil unsere Bedürfnisse jetzt nach diesen Produkten verlangen.
Wie erreicht ein Randphänomen die Masse der Gesellschaft?
Das geht nicht von heute auf morgen. Neues überfordert in der Regel erst mal. Individualität ist zwar in aller Munde, aber wer will schon ein Paradiesvogel sein? Für Trends braucht es eine gesellschaftliche Akzeptanz. Macht ein Phänomen für viele Menschen Sinn, verbreitet es sich etwa über soziale Medien oder kleine Designmessen und wird so allmählich «en vogue».
Was ist angesagt im Bereich der Inneneinrichtung?
Generell kann ich sagen, dass Gemütlichkeit und Wertigkeit zurückgekehrt sind. Das zeigt sich zum einen in der Farbigkeit, mit Rosa, Rottönen und warmem Messing statt kühlem Chrom. Das altbackene Image von Marmor ist passé, der Stein findet sich immer öfter im modernen Design-Ambiente. Marmor wie auch Holz tauchen vermehrt in Verbindung mit alten Techniken wie Intarsien auf. Diese strahlen Wertigkeit aus und zeugen von Handwerkskunst. Insgesamt kommt das Üppige wieder. Farbtöne und Materialien aus dem Interieur von Königshäusern: dunkle Hölzer, Samt, dunkles Rot bis Violett. Kurz: Die Eleganz hält wieder Einzug. Den einen Trend gibt es nicht, eher ein Nebeneinander verschiedener Stilrichtungen.
Wie spiegeln sich die Trends in Materialien und Bodenbelägen?
Holz zeigt sich, je nach Wohnstil, in ganz unterschiedlicher Art. Die Optik von unbehandeltem und bodenständig wirkendem Holz bleibt, wie auch seine hell gebeizten Facetten, bekannt aus dem skandinavischen Wohnstil. Dunkle Nuancen in Rottönen erweitern diese Palette um Eleganz. Materialkombinationen sind sehr angesagt: Zum Beispiel kommen Beistelltischchen in Holz, Marmor und Glas vor. Auf dem Fussboden sind Designbeläge in Holzoptik, wie jene aus Vinyl, immer noch ein grosses Thema. Bemerkenswert ist in diesem Rahmen die wiederkehrende Optik der traditionellen Fischgratverlegetechnik.
Welche Farben sind die Favoriten der Saison?
Je nach Wohnstil gibt es verschiedene, fast konträre Farbrichtungen. Weiss und Pastelltöne in hellem Grau, Blau, Zitronengelb und Rosa kontrastieren öfter mit grafischem Schwarz. Rottöne bleiben wichtig, mit Vorliebe als Akzent eingesetzt. Beige und Braun, mit Orange versetzt, und auch natürliche Grüntöne sind gefragt. Mit dem Trend zur Eleganz gewinnt die dunkle Farbskala von Tannengrün über Petrol zu Dunkelblau sehr stark an Bedeutung.
Feiern Stoffe ein Comeback?
Im Moment ist Samt eines der «In»-Materialien, vor allem bei Sofas und Kissen. Er hat eine weiche Haptik und wirkt farbintensiv. Stoffe sind in den letzten Jahren wieder wichtiger geworden, weil sie Räume sehr viel wohnlicher und gemütlicher machen. Und genau das suchen viele Menschen heute in ihrem Zuhause als Kompensation zum täglichen Stress bei der Arbeit und aufgrund der unruhigen politischen Zeiten. Auf den Sofas sind viele Kissen eingezogen, und eine Wohndecke gehört schon wegen der Optik dazu. Auch das kleine Stückchen Teppich ist im Sofabereich wieder zurück, zum einen definiert es die Wohnzone in einer mittlerweile offenen Wohngestaltung, zum anderen wirkt der Sofabereich damit noch einmal so gemütlich.
Welche Bedeutung hat Holz in Zukunft?
Holz spielt weiterhin eine sehr wichtige Rolle, weil es eine ökologisch nachwachsende Ressource ist, die für Nachhaltigkeit steht. Damit ist es Teil des Megatrends der Neo-Ökologie, also der zweiten Ökowelle, in der die Transparenz der Produktionsprozesse in den Vordergrund rückt und auch den Mainstream der Gesellschaft erfasst. Nicht zuletzt schätzen im Zuge der Urbanisierung immer mehr Menschen die natürliche, warme Anmutung des Holzes. Handwerklich solid verarbeitet, steht es ausserdem für Wertigkeit und Originalität, im Gegensatz zu industriellen Serienprodukten, die schon morgen wieder out sind.
Wie erklären Sie sich die Beliebtheit von Holz, Stein und Samt?
Durch die Digitalisierung leben wir zunehmend in einer visuellen und virtuellen Welt. Unsere Arbeiten finden vornehmlich an glatten Computerbildschirmen und auf Tastaturen statt. Manuelle Arbeiten wie das Handwerk werden immer seltener. Die Haptik ist ins Abseits geraten. Aber die Sehnsucht nach dem Ertasten und Riechen bleibt. Wir sind mit mehr als nur dem Sehsinn ausgestattet. Rohes Holz, Stein und textile Strukturen können wir erspüren, auch am Boden über unsere Füsse. Wir kompensieren also den haptischen Verlust mit unseren Wohnwelten.
Das Know-how von Schreiner, Designer und Innenausbauer ist also gefragt, aber wie?

Schreiner können heute kein Standardkonzept mehr verkaufen nach dem Motto: «Das habe ich selbst zu Hause.» Im Vordergrund müssen die Bedürfnisse des Kunden stehen, und die sind individuell – Trend hin oder her. Die Zeiten sind hoffentlich vorbei, in denen sich Architekten über Kundenwünsche hinwegsetzten und zum Beispiel bodentiefe Fenster planten, mit denen die Bewohner anschliessend nicht zurechtkamen. Es ist wichtig, die Trends zu kennen. Aber Trends müssen den Menschen dienen, nicht zuletzt gilt das auch für die Digitalisierung.

Wie kann uns die Digitalisierung beim Einrichten helfen?
Die Digitalisierung ist nur ein Punkt des grossen Megatrends Konnektivität. Es geht um die allumfassende Vernetzung von Produkten und Menschen. Das Smarthome, gesteuert vom Smartphone, ist in aller Munde: Heizungen, die sich per Programmierung selbstständig ein- und ausschalten, Sonnenschutz am Fenster, der bei Bedarf herunterfährt. Mit dem Tablet kann ich den Backofen und vor allem den Backvorgang überwachen. Die Kaffeemaschine kreiert meinen individuellen Kaffee. In modernen Sofas finden wir immer öfter eingebaute Ladestationen. Wir sind also über das Stadium der reinen Technikfaszination hinaus, es geht darum, wie wir uns diese zunutze machen. Die entsprechende Umrüstung unserer Wohnwelten in den kommenden Jahren birgt insbesondere für das Bau- und Handwerksgewerbe grosse technische Herausforderungen.
Ist es nicht so, dass sich die Mode wiederholt und sich die Trends sehr ähnlich sind?
Ich finde nicht, dass sich die Mode wiederholt. Es werden schon mal Dinge aus der Vergangenheit zitiert, aber der Kontext ist ein anderer, oder das Material oder die Farbigkeit. Trends unterliegen Entwicklungen, und sie benötigen oftmals ungefähr zwei Jahre, bis sie beim Mainstream überhaupt angekommen sind. Das heisst, vom Beginn des Trends bis zum völligen Abklingen vergehen einige Jahre, bei den Megatrends ist die Zeitspanne, wie erwähnt, viel länger.

Zur Person

Wissen, was kommt

Trendforscherin Gabriela Kaiser interpretiert die Designsprache von Interieurs, Möbeln und Designstücken und setzt sich mit deren Geschichte auseinander. Ihre profunde Kenntnis dessen, was war und was ist, hilft ihr, zukünftige Trends aufzuspüren. Oft sind es zuerst Rand- phänomene der Gesellschaft.

Kaiser studierte Textiltechnik und arbeitete als Modedesignerin, bevor sie vor über 15 Jahren ihre Trendagentur gründete, die sie bis heute im bayrischen Landsberg am Lech betreibt.

Kaiser publiziert jährlich zwei Trendreports als Barometer, die Trendthemen anhand von Wohnwelten vorstellen.

www.trendagentur.de

mz

Veröffentlichung: 17. Mai 2018 / Ausgabe 20/2018

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