In Turnschuhen aufs Dach Afrikas

Der Kibo im Kilimandscharo-Massiv ist der höchste Berg Afrikas. Curdin Caspescha (42) bezwang ihn, wie man sieht, in Turnschuhen. Bild: PD

«Wie ich mit dem Kopf laufe, ist mein Geheimnis. Wenn ich es verrate, können es ja alle nachmachen.»

So richtig gemütlich bezwang Curdin Caspescha den fast 5900 Meter hohen Kilimandscharo in Tansania. «Man könnte das in drei Tagen schaffen. Ich gestattete mir vier Tage. Schliesslich sind es ja Ferien», witzelt er. Der Engadiner meisterte dieses Abenteuer in Turnschuhen. «Der Bergführer hatte zwar nicht so Freude, ich dafür umso mehr, denn ich hatte als einziger der Gruppe keine Blasen an den Füssen.» Für Caspescha muss alles Sinn machen. Lauf ja, Leerlauf nein. Und so sonnt er sich in den Ferien auch nicht im Liegestuhl am Strand, sondern erkundet, erwandert und erläuft sein Ferienland. Doch es müssen nicht die höchsten Berge der Welt sein. Auf Langlaufskiern durch den Engadiner Schnee zu preschen, ist für Caspescha genauso verlockend. «Vallader, das Rätoromanisch, das meine Grosseltern sprachen, habe ich im Herzen. So träume ich, so denke ich, so rechne ich», sagt er. Seit 17 Jahren arbeitet der Schreiner und Zimmermann in der Schreinerei Curdin Müller in seinem Heimatort Strada GR. Zusammenfassend könnte man sagen, dass er über ein maximal ortstreues Herz verfügt und dabei physisch extrem mobil ist. Es gibt kaum einen Lauf, den der 42-Jährige nicht schon absolviert hat. Den Ultramarathon Swissalpine Davos nahm er gleich drei Jahre hintereinander unter seine Laufschuhe. Ultramarathon deshalb, weil diese alljährlich im Juli stattfindende Herausforderung fast doppelt so lang ist wie eine normale Marathon-Distanz. «78,5 Kilometer, 3000 Meter Höhendifferenz. Mit meinen zehn Stunden Laufzeit gehöre ich eher zu den Langsamen.»

Caspescha könnte besser sein, will es aber nicht. Er ist keiner, der stur trainiert. «Die letzten Kilometer eines Marathons läuft man ohnehin nur mit dem Kopf», sagt er. Doch wenn man von ihm wissen möchte, wie man denn mit dem Kopf laufe, so legt er den Zeigefinger über den Mund, lacht und sagt: «Wie ich mit dem Kopf laufe, ist mein Geheimnis. Wenn ich es verrate, können es ja alle nachmachen.» Caspescha rennt beim Tokyo-Marathon mit, und wenn der Two Oceans Marathon ruft, überquert er auf Schusters Rappen die Kap-Halbinsel von der Atlantikküste bis zum Indischen Ozean. «In Europa erhält man an der Strecke Bananen, Rie- gel und manchmal Pasta. In Afrika gab es rohe Kartoffeln zur Stärkung. Anfangs musste ich mich überwinden, in eine rohe Kartoffel zu beissen, aber dann merkte ich schnell, wie viel Energie in so einer Knolle steckt», erzählt er. Während bei den europäischen Läufen zahlreiche Menschen die Strecke säumen und die Athleten anfeuern, ist es in Afrika eher ruhig. «Steinböcke, Krähen, Affen», sagt Caspescha. An den Läufen hat er schon so einiges erlebt. Bei den Bieler Lauftagen übersah er beispielsweise nachts den Wegweiser, verlief sich und bildete zu seiner Enttäuschung das Schlusslicht der Rangliste. «Hundert Kilometer Strecke plus zehn Kilometer für den Umweg, das haut einen so weit zurück, dass man den Rückstand nie mehr aufholt.» Doch Missgeschicke gehören zum Sportlerleben wie Erfolge und tragen zu den spannendsten Geschichten bei.

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 05. November 2020 / Ausgabe 45/2020

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