Über das Schreinerhandwerk verbunden


In der Möbelfabrik von Hida Sangyo arbeitete Fabienne Harnisch auch in der Drechslerei. Bild: Fabienne Harnisch
In der Möbelfabrik von Hida Sangyo arbeitete Fabienne Harnisch auch in der Drechslerei. Bild: Fabienne Harnisch
Praktikum. Einen Monat konnte Fabienne Harnisch beim japanischen Möbelhersteller Hida Sangyo arbeiten. Die Schreinerin aus Bern war extrem beeindruckt von der Arbeitsweise, der Philosophie und der Präzision der Japanerinnen und Japaner. Und sie liebt deren Werkzeug.
Seit dem ersten überbetrieblichen Kurs in der Lehre als Schreinerin ist Fabienne Harnisch fasziniert von Holzverbindungen. Speziell begeistert ist sie von der Handwerkskunst der Japanerinnen und Japaner, weil diese für ihre sehr präzise Arbeit berühmt sind. «Sie haben auch extrem tolle Werkzeuge, von denen ich ständig neue kaufen könnte», sagt sie und lacht. Die 30-Jährige aus Bern hegte deswegen schon lange den Traum, einmal in Japan zu arbeiten und Neues zu lernen. Also fasste sie sich ein Herz und fragte bei ihrem damaligen Arbeitgeber, der Röthlisberger Innenausbau in Gümligen BE, ob man Kontakte zu einem Unternehmen im Land der aufgehenden Sonne pflegt. Sie erhielt die Daten eines Mitarbeiters der Hida Sangyo Company in Takayama in der Präfektur Gifu auf der Hauptinsel Honshu. Es handelt sich um ein grosses Unternehmen, das rund 430 Angestellte an mehreren Standorten beschäftigt. Es ist für Möbel und insbesondere Stühle bekannt. Nach einer E-Mail, einem Austausch per Video-Call und einigen Bedenken, ob es vom Sprachlichen her machbar ist, stand fest: Fabienne Harnisch wird im September 2024 nach Japan reisen und bei Hida einen Monat lang arbeiten.
«Also machte ich mich schleunigst daran, Japanisch zu lernen. Eine Herausforderung», erzählt sie. Mittels einer App hat sie sich Grundkenntnisse angeeignet und besuchte einen Sprachkurs. Vor Ort war der Austausch aber schwierig. «Es beherrschten nur wenige Englisch. Aber es haben sich alle extrem Mühe gegeben, und wir haben uns per Übersetzungs-Apps verständigt.»
In Japan unterscheidet sich der Arbeitsalltag von jenem in der Schweiz, wie sie schnell merkte. Am Morgen turnen alle Mitarbeitenden gemeinsam, und jemand liest die Firmenwerte vor, die alle wiederholen. Dann wünscht man sich schreiend einen guten Tag. «Das war speziell. Aber mir hat es Spass gemacht. Die Leute zelebrieren das und werden sich bewusst, was wichtig ist», erzählt sie. Alle zwei Stunden wird per Sirene eine Pause angekündigt. «Zuerst räumt man seinen Arbeitsplatz auf, ehe man sich entweder mit anderen unterhält oder ein Powernap macht.»
Zuerst arbeitete Harnisch eine Woche in der Lernendenwerkstatt von Hida, ehe sie zwei Wochen in der Möbelfabrik eingesetzt wurde. Die letzte Woche verbrachte sie wiederum bei den Lernenden. «Zu Beginn habe ich Klötze geschliffen oder Spanplatten verleimt», erzählt sie. Das Gute an diesen repetitiven Arbeiten war, dass sie ihre Gedanken umherschweifen lassen und die anderen bei der Arbeit beobachten konnte. In der Fabrik wurde sie an diversen Stationen eingesetzt. Sie war beim Holzbiegen, leimte Korpusse zusammen, machte Sitzflächen von Stühlen und drechselte. Auch bei der Spezialmöbelfabrikation konnte sie einen Tag lang reinschauen.
Neues gelernt hat sie nicht. «Aber es ist spannend, dass das Handwerk gleich ist und man sich darüber verständigen kann», sagt Harnisch. Etwas gelernt hat sie dennoch: Sie hat selbst eine Kanna hergestellt, einen japanischen Hobel. «Das war herausfordernd, aber toll. Ich strahlte, als ich mit dieser die ersten Holzlocken machte.» Aufgefallen ist ihr zudem, dass das Werkzeug in Japan beim Kauf noch nicht einsatzbereit ist. «Man muss zuerst einiges justieren. Bei einem Stechbeitel zum Beispiel muss man die Zwinge abnehmen, die Fläche zurechthämmern und die Zwinge wieder aufdrücken. Dann muss alles geschärft werden.» Das sei so Brauch, weil jede Person ihr Werkzeug anders benutzt. Dieses werde an die persönlichen Eigenheiten angepasst. Die Japanerinnen und Japaner hätten einen sehr bewussten Umgang mit ihrem Werkzeug und auch dem Holz. «Sie setzten sich anders damit auseinander und stecken viel Leidenschaft und Herzblut in die Arbeit.» Ihnen sei es wichtig, dass das Ergebnis perfekt ist. Dafür nehme man sich auch Zeit. Dem seien sich auch die Endkunden bewusst und würden einen entsprechenden Preis für hohe Qualität zahlen.
Während ihres Aufenthalts in Takayama hat Harnisch im Junggesellinnenhaus des Unternehmens gewohnt. «Das Zimmer war klein, aber gemütlich», sagt sie. Netterweise habe sie vom Unternehmen einen Kühlschrank zur Verfügung gestellt bekommen, was nicht Standard sei, und eine Kollegin lieh ihr eine zusätzliche Matratze, weil sie die üblichen japanischen Matten unbequem fand. Gekocht hat sie sich meistens gebratenen Reis mit Gemüse. «Kochen ist nicht so meins. Aber das klappte gut und schmeckte mir», erzählt sie. Gerne ging sie auch ins Restaurant. Morgens wurde sie jeweils mit den anderen Mitarbeiterinnen von einem betriebseigenen Bus zur Arbeit gefahren und abends wieder nach Hause gebracht.
In ihrer Freizeit war Harnisch oft mit dem Velo unterwegs, schaute sich Museen und Sehenswürdigkeiten an. Zudem führte sie einen Blog. Zwei Arbeitskolleginnen unternahmen viel mit ihr. «Das fand ich super. Beide kennen das Gefühl, alleine in der Fremde zu sein.» In den ersten Tagen, speziell bei der Anreise in der Metropole Tokio, plagte sie Heimweh, das aber verflog bald. «Das überraschte mich. Während so eines Aufenthalts lernt man sich selbst nochmals ganz anders kennen.»
Sehr beeindruckt war die Berufsbildnerin von den japanischen Schreinerlernenden. Die Ausbildung beginnen sie mit 21 Jahren. Diese dauert zwei Jahre, und in der Folge arbeiten die meisten freiwillig während vier Jahren in der Lernendenwerkstatt. «Perfektionismus braucht Zeit», erklärt Harnisch. Bei Hida wohnen die Lernenden in einem älteren Haus, wo sie sich um den Unterhalt und den Garten kümmern. Sie haben viele Ämtli. «Ihre Handys müssen die jungen Leute abgeben und bekommen diese nur in den Ferien. Jeden Morgen gehen sie zum Beispiel auch eine halbe Stunde joggen. Ich musste schmunzeln, als ich mir kurz überlegte, das meinen Lernenden vorzuschlagen», erzählt sie. Disziplin, Anstand und Respekt werden in Japan speziell in der Ausbildung grossgeschrieben. Den Lehrkräften wird grosser Respekt entgegengebracht. «Das machte mir Eindruck, auch wenn alles sehr strikt ist. Wenn sich in der Schweiz alle nur schon ein Stück von dieser Einstellung abschneiden würden, fände ich das wunderbar.»
Ein Highlight in Takayama war der Besuch eines Werkstattladens. «Das war wie im Schlaraffenland. Jede Schreinerin und jeder Schreiner, der eine Vorliebe für hochstehendes und schönes Werkzeug hat, ist dort richtig», schwärmt Harnisch. Es sehe alles so schön aus, nur schon die Japansägen. «Ich war total fasziniert. Natürlich beschenkte ich mich auch selbst und kaufte einige Stücke. Ich musste mich aber zurückhalten, weil ja alles in meinen Koffer passen musste.»
Als es gegen das Ende ihres Aufenthalts ging, wäre die Schreinerin gerne länger geblieben. «Es war eine super Zeit. Ich würde sofort wieder nach Japan gehen», sagt sie. Sie empfiehlt so einen Aufenthalt unbedingt weiter. «Dank unseres Handwerks können wir in die ganze Welt rausgehen, andere Länder, Arbeitsweisen und Philosophien kennenlernen. Das ist toll, und man entwickelt sich weiter», sagt sie.
Einigen japanischen Kolleginnen und Kollegen hat sie angeboten, im Gegenzug in die Schweiz zu kommen und bei ihr zu wohnen. «Ich rechne allerdings nicht damit, dass jemand kommt. Denn einerseits sind sie schüchtern, andererseits haben sie nur zwei Wochen Ferien im Jahr.» So schlimm wie es tönt, sei das allerdings nicht. In Japan gebe es sehr viele Feiertage, rund dreimal mehr als in der Schweiz.
Wieder zurück, machte Fabienne Harnisch einen Neuanfang und trat bei der Badertscher Innenausbau AG in Bern eine neue Stelle an. Sie ist Werkstattleiterin und betreut als Berufsbildnerin fünf Lernende. Immer, wenn sie mit ihrem neuen, japanischen Werkzeug arbeitet, schwelgt sie in ihren schönen Erinnerungen.
Veröffentlichung: 08. Mai 2025 / Ausgabe 19/2025
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