Wandelbare Systeme

Bild: Schreinerei Fust AG

Modulbau.  Eine Möbelkonstruktion, die sich an unterschiedliche Situationen anpassen lässt, bringt punkto Normierung, Produktion, Planung und Verkauf einige Vorteile. Die vier Beispiele in diesem Artikel zeigen die herausfordernden Schritte hin zum eigenen System.

Der Schreiner fertigt seine Möbelstücke meistens individuell nach den Bedürfnissen seiner Kundschaft. So entstehen, passend zur jeweiligen Nutzung, perfekt abgestimmte und verarbeitete Werkstücke mit einer hohen Funktionalität. Nach einer Umnutzung oder einer Umgestaltung der Wohnräume passen diese Möbelstücke oft nicht mehr so perfekt. Genau hier spielen die sogenannten modularen Möbelsysteme ihre grösste Stärke aus. Sie passen sich an die ändernden Bedürfnisse der Kundschaft an und erweitern dadurch das Einsatzspektrum des Werkstückes.

Herausfordernde Systementwicklung

Über den Erfolg oder Misserfolg eines modularen Möbelsystems entscheiden in erster Linie Funktion und Konstruktion des Grundsystems. Es spielt eine wesentliche Rolle, wie gut die einzelnen Module verbunden, aufgebaut oder umgebaut werden können. Die Systementwicklung muss so aufeinander abgestimmt sein, dass die benötigten Konfigurationen umsetzbar sind, ohne sich zu behindern.

Planen und konfigurieren

Damit die Modulsysteme optimal genutzt werden können, bedarf es einer intuitiven Lösung für Planung und Konfiguration. Diese kann digital über ein Konfigurationstool oder analog über spezifische Planungsblätter erfolgen. Wichtig ist, dass die Möbel-stücke ohne grosses Vorwissen einfach und selbsterklärend zusammengestellt werden können. Dadurch können Kunden ihre Möbel selbst mitgestalten, und der Hersteller kann die individuellen Konfigurationen einfach ins System übernehmen und weiterbearbeiten.

Eine Nische für Spezialisten

Sich der Herausforderung anzunehmen und ein eigenes Modulsystem zu entwickeln, benötigt Mut und Durchhaltevermögen. Denn neben Entwicklung und Produktion müssen auch Marketing, Vertrieb und Kundenbetreuung sichergestellt werden. Anschliessend eine Auswahl spannender Möbelsysteme aus der Schweiz, die sich etabliert und bewährt haben.



Das Möbel mit Kugel und Seil

Das in der Schweiz entwickelte und hergestellte Möbelsystem «Xilobis» wird mittels Kugel und Seil verbunden und kann ohne Werkzeug auf-, ab- und umgebaut werden. Dennoch ist es stabil, strapazierfähig und sehr wandelbar.

Zusammenbau ganz ohne Werkzeug

Beim Zusammenbau wird als Erstes die Seilschlaufe in die präzis ausgefräste Nut gelegt. Zwischen die beiden waagrechten Elemente können nun die senkrechten Teile eingesetzt werden, womit das Möbelsystem gespannt wird.

Mit dem Einsetzen der Rückwand ist ein Modul des «Xilobis»-Systems fertig zusammengestellt. Mit den genormten Chromstahlkugeln können Zwischenwände und Tablare fixiert und die einzelnen Module miteinander zu einem stabilen Möbel verbunden werden. Fronten, Schiebetüren und Schubladen können ganz einfach ergänzt oder umplatziert werden. Durch die formschlüssige und gespannte Konstruktion werden keine Werkzeuge für den Zusammenbau benötigt. Die Module bestehen aus Birkenschichtholzplatten, in welche die für den Zusammenhalt benötigten Vertiefungen eingefräst und gebohrt werden.

Zwei Tessiner Tüftler finden sich

Entwickelt wurde das Möbelsystem von den beiden Tessiner Tüftlern Mario Bissegger und Stefan Pluess. Über die Jahre haben sie ihr System immer weiterentwickelt und angepasst. Die Designer haben sich 2001 beim Design Preis Schweiz getroffen, wo Pluess für ein mit seiner Spannseiltechnik konstruiertes Bett und Bissegger für das von ihm entwickelte Verbindungssystem mit Kugeln ausgezeichnet wurden. Bei dieser Begegnung wuchs die Idee, die beiden Systeme – das Spannen mit dem Seil und das Verbinden mittels Kugeln – zu kombinieren. Das Zusammenspiel der beiden Erfindungen funktionierte so gut, dass Bissegger und Pluess bereits 2003 an der Mustermesse in Basel einen ersten Prototyp, auf dem das heutige «Xilobis»-System basiert, präsentieren konnten.

Kundenkontakt und Konfigurator

2004 wurde die Marke «Xilobis» geschaffen, welche heute in erster Linie über den direkten Vertrieb und den unmittelbaren Kundenkontakt vertrieben wird. In eigenen Showrooms in Zürich und Stuttgart, sowie Ausstellungen bei ausgewählten Händlern, kann das Möbelsystem eins zu eins erlebt werden.

Der Online-Konfigurator auf der «Xilobis»-Website ermöglicht es, unendlich viele Kombinationen des Systems auszuprobieren und neue Variationen zu schaffen. Passend zum System sind auch ein Tisch in sechs Grössen, ein Rollkorpus, ein Clubtisch und ein Weinregal in drei Grössen erhältlich.

www.xilobis.ch



Individuell steckbare Module

Das modulare Regal Ecoleo wurde 2016 von der Schreinerei Fust in Wil SG entwickelt, als ein Kunde mit dem Produktionswunsch nach stapelbaren Boxen an die Firma herantrat. Der Kunde wünschte feste Möbelboxen sowie fix wirkende Regale, suchte aber nach einer flexiblen Lösung, die ein Ändern des Möbels zulässt.

Neuigkeitswert ganzheitlich denken

Das Unternehmen durchforstete den Markt nach bestehenden Designlösungen. Möbelboxen und Regale sind bekanntlich keine Neuheit, und so musste der Neuigkeitswert ganzheitlich neu gedacht werden. Nach der Marktanalyse ging es darum, die gewonnenen Erkenntnisse unter Zuhilfenahme des Bauchgefühls zu verdichten und in die Entwicklung einfliessen zu lassen. Das prägende Element des Systems – die mittlerweile in der Schweiz und in Deutschland patentierte Steckverbindung – offenbarte sich als Gedankenblitz. Innert zehn Tagen stand ein Prototyp des modularen Steckregals in der Ausstellung der Schreinerei. Module mit den Innenmassen von 330 × 330 × 330 mm können individuell zusammengesteckt und beliebig abgeändert werden.

Grosses Einsatzspektrum

Die Fantasie des Kunden bestimmt den Einsatzzweck des Möbels, und mit dem modularen Steckregal lässt sich nahezu jede Verwendung verwirklichen. Es wurde schon als beidseitig bedienbarer Raumtrenner in Grossraumbüros, als Sitzbank beim Esstisch, als Garderobe, TV-Möbel, Schlafzimmer-Sideboard oder als Nachttisch verwendet. Das Steckregal passt sich zudem dank der werkzeuglos einsetzbaren Türen in 18 Dekoren auch optisch der Raumsituation an.

Nicht nur bei der Entwicklung braucht es den Mut, neu zu denken. Gerade bei Softwareentwicklung, Verpackung, Logistik, Vertrieb und Marketing betrat das Unternehmen Neuland und hatte viel zu lernen. Kunden können das Steckregal über einen 3-D-Konfigurator am Computer planen, wodurch auch die betriebsinternen Prozesse der Schreinerei revolutioniert wurden.

www.ecoleo.ch



Alles in bunter Ordnung

Das MF-System aus Zürich ist ein flexibles Regalsystem, welches sich dank modularem Aufbau, wählbarer Grössen und vieler Farben überall anpasst, wo gewohnt oder gearbeitet wird.

Universell einsetzbar

Von der Wohnwand, dem Kleiderschrank oder dem Schuhregal, bis hin zur Mediakonsole oder dem Homeoffice mit integriertem Klapptisch, sind mit dem Regalsystem unterschiedliche Ausführungen um- setzbar.

Garderoben, Empfangstheken, Vitrinen oder Archive bieten freistehend im Raum von beiden Seiten her Zugriff. Passend zum System gibt es die MF-Tische, welche sowohl untereinander als auch direkt mit dem Regalsystem kombiniert werden können.

Lager als Inspiration

Als Inspiration für das System dienten alte Lagerregale aus Metall, die in den ersten Büroräumlichkeiten eingesetzt wurden. Auf dieser Grundlage hat der Designer Mathias Frei in seinem Designbüro ein eigenes Schiebetürsystem für die Regale entwickelt, auf welchem das heutige System aufbaut.

Schienen und farbige Schiebetüren

Die Produktpalette umfasst Regale in den Ausführungen Metall verzinkt und weiss pulverbeschichtet. Die Schiebetüren und Schubladen können in diversen Breiten, Höhen sowie Tiefen beliebig hinzugefügt werden und sind in 18 Farben, 3 Holzsor- ten und 2 Glasausführungen erhältlich. Da-zu kommt ein ausgewähltes Zubehörprogramm mit Kleiderstangen, Sekretärklappen, Leuchten, Buchstützen und weiteren Anbauteilen.

Kunden können selber designen

Mit dem MF-Composer auf der Internetseite der Firma können die Regale selber zusammengestellt und direkt bestellt werden. Auf Wunsch steht das Unternehmen der Kundschaft als Designer und Innenarchitekt bei der Planung zur Seite.

www.mfsystem.ch



Eine durchgehende Verbindung

Das Herzstück der Irion-Möbelsysteme besteht aus einer eigens entwickelten Verbindungs- und Verschlussschraube. Diese hält die Seiten und die Tablare mittels Gewindestangen unter Spannung zusammen.

Vom Küchenmöbel zum System

Als Schranklösung für seine Küche in einer Altbauwohnung fertigte Stefan Irion acht Boxen aus Birkensperrholz, welche mit je zwei Schiebewänden aus farbigem Acrylglas verschlossen werden konnten. Der Schrank war praktisch und gefiel auch anderen. Auf der Suche nach einer Lösung, um die Birkensperrholzplatten direkt miteinander zu verbinden, durchbohrte er die Seitenwände in der Längsrichtung.

So gelang es ihm, die horizontalen Platten mittels Zugstangen und Spezialschrauben etagenweise zusammenzuhalten. Mit dieser Idee entwickelte er 1999 das «Irion Regal 1» zu einem fertigen Produkt, welches bis heute in Konstruktion und Preis unverändert auf dem Markt ist.

Drei Ausführungen des Systems

Das Irion-System besteht heute aus drei Grundregalen, welche sich in der Art unterscheiden, wie die Gewindestange im Möbelstück geführt wird. Beim Regal 1 sind die Seiten für die Gewindestangen durchbohrt, beim Regal 2 ist dafür ein Kunststoffrohr unter der HPL-Belegung unsichtbar eingelassen, und beim Regal 3 ist ein Alu-Profil sichtbar unter dem Tablar bündig eingelegt. Die Verbindungs- und die Verschlussschrauben positionieren die Seiten und die Tablare automatisch an der richtigen Stelle, damit ist die Funktion beim Zusammenbau gewährleistet.

Planung mit eigenem Skizzenblatt

Für jedes Regal steht ein eigenes Skizzenblatt zur Verfügung, auf welchem der Kunde sein individuelles Regal aufbauen kann. In den Handskizzen wird auch ersichtlich, wie das Möbel stabilisiert wird. Anpassungen oder Spezialwünsche sind auf diese Weise einfach umsetzbar. Die Skizzen dienen dem Unternehmen zugleich als Werkzeug im Produktionsprozess. Kunden werden auf Wunsch bei der Planung mit Materialmustern, Skizzen und der genauen Berechnung unterstützt. Produziert wird das Irion-System seit 2017 in der Manufaktur in Pfyn TG.

www.irion-regal.ch

njg

Veröffentlichung: 02. Juli 2020 / Ausgabe 27-28/2020

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