Wenn Schreiner Farbe bekennen

Bild: Baer Schreinerei AG

Raumklima.  Schön ist, was gefällt. Eine Weisheit, die bei der Farbgebung im Innenausbau vollkommen zutrifft. Doch um ein individuelles Wohlfühlambiente zu schaffen, braucht es ein gutes Gespür für die Kundenbedürfnisse.

Kaum ein handwerklicher Beruf ist so vielseitig wie der des Schreiners, und kaum ein anderer Handwerker verfügt über ein breiteres Fachwissen als der Schreiner. Doch auch für den vollendeten Handwerker kann es Sinn machen, bei bestimmten Themen einen Experten beizuziehen. So beispielsweise bei der farblichen Abstimmung von Innenausbauten.

Weg des geringsten Widerstandes

Zu diesem Schluss ist auch Willy Baer gekommen: Der Inhaber der Baer Schreinerei AG im bernischen Ostermundigen hat mit Lisa Freiburghaus bereits des Öfteren eine Expertin beigezogen, wenn sich der Kunde bei der Farbgebung oder der Materialisierung eines Objektes nicht im Klaren war. «Wir Schreiner sind oftmals eher Konstrukteure und Tüftler, wir wissen, wie etwas gebaut werden muss, damit es funktioniert und seinen Zweck bestmöglich erfüllt.»

Bei der Farbgebung ertappe er sich aber oftmals dabei, dass er auf der sicheren Seite bleibe und sich nicht traue, dem Kunden einen unkonventionellen Vorschlag zu machen. «Die Versuchung ist gross, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und Farben zu wählen, die einem selber gefallen oder bei denen man nicht viel falsch machen kann.»

Eigenes Wohlfühlklima

An dieser Stelle kommt Lisa Freiburghaus ins Spiel. Die gelernte Innenausbauzeichnerin, welche sich in mehreren Weiterbildungen auf die Bereiche Innenarchitektur, Farb- und Materialgestaltung spezialisiert hat, weiss, wie stark sich die individuelle Abstimmung von Farben und Materialien auf das Raumklima auswirken kann. Und sie betont, dass es bei deren Komposition keine festen Regeln gibt.

«Jeder Mensch hat ein eigenes Wohlfühlklima», erklärt sie. «Es ist wichtig, sich genügend Zeit zu nehmen, um auf die persönlichen Bedürfnisse jedes einzelnen Kunden eingehen zu können.»

Zum Wohlbefinden beitragen können laut der Expertin gegebenenfalls atmungsaktive Materialien, mineralische Farben und geölte anstelle lackierter Oberflächen.

Vom Puzzleteil zum grossen Ganzen

Zur Ermittlung der Kundenbedürfnisse arbeitet Freiburghaus in ihrem Unternehmen «Colorisa» in Bern mit einem fixen Schema. Am Anfang der Bedürfnisabklärung steht das Polaritätenprofil. Hier stehen sich jeweils zwei Begriffe gegenüber – beispielsweise chaotisch und geordnet –, und der Kunde kann in einer eigenen Gewichtung aufzeigen, wie stark er in welche Richtung tendiert. So lassen sich erste Schlüsse über die Vorlieben des Kunden in Bezug auf das Ambiente, auf Formen, Farben, Stil und Materialien ermitteln. Der zweite Teil der Abklärung ist visueller Natur. Dabei entscheidet sich der Kunde bei jedem Raum für ein passendes Stimmungsbild.

Aus dem Polaritätenprofil und den gewählten Stimmungsbildern entsteht ein Farbenschlüssel, welcher die einzelnen Teile zu einem individuell abgestimmten Einrichtungskonzept führt. «Es ist wie ein Puzzle», sagt Freiburghaus. «Erst besteht das Bild aus vielen Einzelstücken, die zusammengefügt werden müssen, doch bei genauerem Hinsehen tut es sich auf wie eine Blume.»

Gesamtkonzept im Auge behalten

Bei der Planung eines Raumes sei es wichtig, stets das Gesamtkonzept anzuschauen, nicht die einzelnen Bausteine, sagt Freiburghaus. Sie habe schon oft erlebt, dass Kunden während der Umsetzung eines Projektes plötzlich in Panik geraten seien und an ihren Entscheidungen gezweifelt hätten. «Wenn sie am Ende das farbliche Gesamtbild sehen, sind sie vollkommen zufrieden.» Für sie selber sei es das grösste Kompliment, wenn sich der Kunde in seiner Wohnung zu Hause fühle und Aussenstehende befinden: «Das sieht wunderschön aus, ist aber nicht so meins.» Dann wisse sie, dass sie alles richtig gemacht habe.

Böse Überraschungen vermeiden

Bei der Auswahl der Farben sei es unbedingt nötig, mit grossflächigen Mustern zu arbeiten, denn je grösser die Fläche, desto intensiver die Farbe. «Wenn man sich auf kleine Farbmüsterchen verlässt, so kommt es unweigerlich zu bösen Überraschungen.» Laut der Expertin sollten die Muster mindestens ein A4- oder besser noch ein A1-Format haben und an ihrem späteren Bestimmungsort sowohl bei Tageslicht als auch in der Abenddämmerung geprüft werden. Denn der Faktor Licht ist ein wichtiger Bestandteil der Farbplanung. Dies gilt sowohl für das natürliche wie auch für das künstliche Licht. Bei Letzterem gilt es insbesondere die Farbtemperatur zu beachten. Je grösser der Rotanteil, desto wärmer und dunkler erscheint das Licht, je höher der Blauanteil, desto kühler und heller.

Ausschlaggebend für die Raumwirkung ist daneben auch die Art der Lichtquelle. So spielt es eine entscheidende Rolle, ob ein Objekt direkt, indirekt, punktuell oder flächig beleuchtet wird.

Freiburghaus empfiehlt ihren Kunden deshalb, die gewünschte Lampe im Fachhandel auszuleihen und vor dem Kauf im neuen oder umgebauten Zuhause zu testen.

Farbe ist nicht gleich Farbe

Doch weder die Wirkung des Lichts noch diejenige der Farbe sind objektiv messbar. «Farbe ist nicht gleich Farbe», erklärt Eva Leuba vom Haus der Farbe, der zürcherischen Fachschule für Gestaltung in Handwerk und Architektur.

«Das Farbempfinden wird von vielen verschiedenen Faktoren geprägt.» So beispielsweise von der Oberfläche des Materials. Ist die Oberfläche matt, so wirkt die Farbe völlig anders, als wenn diese glänzend ist. Und Leuba betont ausserdem: «Die Farbe an sich ist auch Material, und jedes Material hat seine eigene spezifische Farbigkeit.»

Da Farbe nie allein, sondern immer im Kontext stehe, gelte es, gut zu überlegen, wie man die Akzente setze.

Als Dozentin beim Lehrgang Farbgestalter HF, welcher im Haus der Farbe angeboten wird, weiss Leuba, dass bei der Farbgestaltung eines Objektes jeweils genauso viele verschiedene Lösungen resultieren wie die Anzahl der beteiligten Personen. Dass es in der Farbgestaltung kein Richtig oder Falsch gibt, vereinfacht die Sache jedoch in keiner Weise. «Der Berater muss ein Gespür entwickeln für den Kunden und ihm am Ende eine praktikable Lösung anbieten – im Glauben, dessen Bedürfnisse richtig interpretiert zu haben», erklärt Leuba. Daher kann es sich für den Schreiner lohnen, die langwierigen Vorbesprechungen einem Experten zu überlassen.

Nutzen für den Schreiner

Aus der Zusammenarbeit mit einem Experten ergibt sich für den Schreiner in mehreren Bereichen ein grosser Nutzen: Die Grobplanung des Objektes entfällt. Das heisst, der Schreiner investiert – gerade bei unentschlossenen Kunden – viel weniger Zeit in die Vorbesprechungen. Ein Umstand, der finanziell nicht unwesentlich zu Buche schlägt. Denn werden die Beratungs- und Offertleistungen des Schreiners beim Kunden als selbstverständlich und damit als nicht kostenpflichtig vorausgesetzt, werden diese bei einer externen Beratung ebenso selbstverständlich bezahlt.

«Da die Knochenarbeit vor dem Auftrag bereits erledigt ist, sparen wir bei der Produktion viel Zeit und können das jeweilige Objekt wiederum zu einem etwas tieferen Preis anbieten», sagt Willy Baer. Daneben gebe eine externe Beratung allen Beteiligten eine grosse Sicherheit. «Farben und Materialien sind im Voraus bestimmt, es ist alles klar, und die Diskussionen mit den Kunden fallen weg.»

Nicht zu vergessen ist laut Baer auch das Netzwerk, welches sich aus der Zusammenarbeit ergibt, da man sich beim Kunden gegenseitig empfehlen kann. Für Baer ist klar: «Zieht man gemeinsam an einem Strick, so profitieren alle Beteiligten.»

www.baer-schreinerei.chwww.colorisa.chwww.hausderfarbe.ch

mh

Veröffentlichung: 19. Januar 2017 / Ausgabe 3/2017

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