Wie macht man einen «Klassiker»?

Die Rollladenmöbel von «Rö» gibt es in verschiedenen Ausführungen. Die Designer versteckten den Rollladen nicht, sondern setzten ihn als gestalterisches Element ein. Bild: Röthlisberger Schreinerei AG

Designklassiker.  Es ist der Wunsch jedes Möbelherstellers und Designers, einen «Klassiker» zu schaffen. Wenigen ist dieses Glück vergönnt. Eine «Bauanleitung» gibt es nicht, denn der Erfolg ist immer ein Zusammenspiel diverser Faktoren, die sich zu einem positiven Gefüge mischen.

Die einen sagen, ein «Klassiker» verdiene seinen Namen, nachdem er sich 25 bis 30 Jahre auf dem Markt behauptet habe. An-dere meinen, eine zeitlose Formensprache sei die wichtigste Essenz im Gemisch, aus dem der «Klassiker» hervorgeht. Die Gründe dafür, weshalb ein Möbel auf einmal zum Kultobjekt mutiert, sind nicht einfach zu nennen. Zeitgeist und Glück sind Faktoren hierzu. Die SchreinerZeitung sucht in der Folge anhand zweier Beispiele nach weiteren Bausteinen des Erfolgs.

Hervorragende Qualität

Ende 2012 stellte die Röthlisberger Schreinerei aus Gümligen ihre neunte Kollektion vor. Unter die fünf neuen Möbel gesellte sich ein Sideboard mit dem klingenden Namen «Hommage». Die Ehre gilt den Architekten Trix und Robert Haussmann, welche für die 1977 erschienene erste Kollektion von «Rö» einen Entwurf beisteuerten, der mittlerweile zum «Klassiker» avanciert ist: das in verschiedenen Ausführungen erhältliche Rollladenmöbel. Das Objekt wird optisch dominiert vom damals neu entwickelten feingliedrigen Rollladen. Den Rollladen kannte man zu der Zeit zwar schon, «neu war nun jedoch, dass man dessen formale Qualitäten auch zeigte», sagt Jan Röthlisberger, Enkel des damaligen Firmeninhabers. Das Verschlusselement bildete also quasi Front-, Seiten- und Rückwand zugleich, womit das Möbel auch frei im Raum stehen konnte.

Die Qualitäten der Möbel waren derart bestechend, dass der leicht weiterentwickelte Rollladen jetzt auch beim 2012 erschienenen Sideboard «Hommage» eine tragende Rolle spielt, für dessen Entwurf das renommierte Designbüro Atelier Oï verantwortlich zeichnete (siehe Interview mit Aurel Aebi auf Seite 22) .

Überlieferte Handwerkskunst

Die Traditionsmanufaktur Horgenglarus stellt seit 1902 in Glarus Stühle und Tische her. Als Grundlage dient fast ausschliesslich feinjähriges Buchenholz aus dem Jura. Das Rohmaterial wird zum Teil mit altehrwürdigem, tadellos funktionierendem Werkzeug zugeschnitten, unter Dampf gebogen und weiterverarbeitet. Seit den 1990er-Jahren ist für spezifische Arbeiten ebenfalls CNC-Technologie im Einsatz, doch vieles geschieht in Handarbeit wie eh und je. «Meine Mitarbeiter sind Künstler», betont CEO Marco Wenger. Er achtet darauf, dass das handwerkliche Wissen intern weitergegeben wird – eine wichtige Grundvoraussetzung, um die Qualität der Möbel sicherzustellen.

Eigenständige, zeitlose Form

Diese braucht es, um im Geschäft der Designmöbel mitmischen zu können. Doch auch die Form ist mitentscheidend, ob sich ein Stuhl durchsetzt oder nicht. In alten Verkaufsbroschüren von Horgenglarus ist eine Vielzahl an Modellen abgebildet: Spezialanfertigungen und Abwandlungen davon. Erst später nimmt die natürliche Selektion ihren Anfang – man übernimmt bewährte Modelle und formt daraus Kollektionen. So geschehen beispielsweise um die Jahrtausendwende, als Martin Landolt das angeschlagene Traditionsunternehmen wieder auf Kurs führte. Da beauftragte man das Studio Hannes Wettstein, den «Miro» zu kreieren. Seine gerundeten Kanten bilden formal eine angenehme Ergänzung zu den eigenwilligen Zargen des noch bekannteren «Classic». Wenger gibt zu bedenken, dass auch «Miro» nicht wie der Phönix aus der Asche stieg. Vielmehr habe als Grundlage für dieses Modell ein Stapelstuhl gedient, der sich über die Jahre ebenfalls erfolgreich durch die Verkaufsunterlagen von Horgenglarus schlug. «Mit ‹Miro› bekam dieser Stuhl schliesslich ein Gesicht», so Marco Wenger.

Kopien fürchtet Wenger nicht. «Wenn jemand eine Kopie kauft, ist dies der erste Schritt zum Original», sagt er bedeutungsvoll. Auch von gewagten Designs hält der gebürtige Berner wenig. «Wir stellen nur her, was sich bewährt hat.» Neue Formen setzen sich demnach aus Verbindungen und Elementen zusammen, die man von der Glarner Manufaktur kennt und die dort auch effizient hergestellt werden können. Diese Massnahme ist vielleicht Erfolg versprechender, als sie im ersten Moment scheint, denn sie fördert Kontinuität und letztlich eine prägnante, eigenständige Formensprache, welche für den Mythos mitverantwortlich ist, der von einem Klassiker ausgeht.

Die Aura rund ums Objekt

Erst in den 1960er-Jahren begann man bei Horgenglarus, mit einem Neuigkeitenkatalog gezielt Werbung für einzelne Modelle zu machen. «Dennoch haben wir Werbung immer zurückhaltend eingesetzt», betont Marco Wenger. «Bei uns steht das Produkt im Zentrum.» Heute versucht man unter anderem mit gezielten Aktivitäten, dem Mythos um die zeitlosen Stühle Nachdruck zu verleihen. Beispielsweise mit der Aktion «Take a Seat». Dabei erhalten zeitgenössische Designer jeweils die Freiheit, einen «Classic» neu zu interpretieren. Die oft sehr kunstvollen Resultate werden zweimal jährlich versteigert.

Zurück zur Röthlisberger Schreinerei. Alfred Hablützel, der lange Zeit für die Grafik von «Rö» verantwortlich war, initiierte im Namen des Schweizerischen Werkbunds (SWB) bereits 1967 eine ähnliche Auktion mit grosser Wirkung. Auf dem Berner Hausberg Gurten versteigerte man Stühle, die von Künstlern geschaffen worden waren. Auch Trix und Robert Haussmann steuerten Werke bei, unter anderem den «Chocolate-Chair», dessen Beine abzuschmelzen drohen. Das ironische Werk steht heute als Ikone für eine ganze Epoche: die Postmoderne.

Ingenieurleistung als Extra

Für Rosmarie Horn vom Einrichtungshaus Teo Jakob in Bern ist der echte «Klassiker» nicht von Marketing und Verkauf abhängig, sondern zeichnet sich selbst aus. Vielmehr nennt sie die Ingenieurleistung als einen wichtigen Faktor zum Erfolg: «Nicht selten ging die Formgebung eines Klassikers mit einer technischen Entwicklung einher», sagt sie. In diesem Punkt unterscheide sich der «Klassiker» von der Kopie, deren Qualität sich kaum mit derjenigen des Originals messen lasse.

Neuauflagen oder Redesigns erfolgreicher Möbel steht die Innenarchitektin zwiespältig gegenüber. «Man ändert den Entwurf von Designern nicht einfach ab», ist sie der Meinung. Meistens seien marginale Überarbeitungen deshalb Weiterentwicklungen. Dazu ein prominentes Beispiel: Die «Plastic Chairs» von Charles und Ray Eames wiesen in Original eine Sitzschale aus Fiberglas auf. Nachträglich ersetzte man sie durch den besser rückführbaren Kunststoff Polypropylen. Auch der Sitzkomfort wurde bei dieser Gelegenheit leicht erhöht. Ein anderes Beispiel für Weiterentwicklungen ist der «Lounge Chair» von denselben Designern. Seine Proportionen wurden dem ständig wachsenden Menschen angepasst, so dass er heute in zwei Grössen erhältlich ist.

www.roethlisberger.chwww.horgenglarus.chwww.teojakob.ch
SchreinerZeitung: Herr Aebi, was war eigentlich der Grund, dass Atelier Oï mit einem neuen Entwurf die Rollladenmöbel von 1977 würdigt?

Aurel Aebi: Da war natürlich einmal die Einladung, etwas für die neunte Kollektion der Röthlisberger Schreinerei gestalten zu dürfen. Was genau das sein würde, war am Anfang nicht definiert. Der Designprozess gestaltet sich bei Atelier Oï so, dass wir vom Wesen des Materials ausgehen. Jedes Material hat seine Wesensart. Aus dieser entstehen schliesslich die Formen. Als Fundus dient unser internes Materialarchiv, in dem inzwischen rund 20 000 Materialien abgelegt sind.

Es ging also nicht in erster Linie darum, ein erfolgreiches Möbel zu redesignen?
Nein, das wäre viel zu einfach formuliert. Wir versuchen immer, den Designprozess so lange wie möglich dynamisch zu gestalten. Dynamik kommt vor Statik. Konkret auf das zu gestaltende Möbel heisst das, dass die Materialisierung erst spät feststand. Wir wollten im Möbel die Typologie der Architektur sichtbar machen, mit fixen, tragenden Betondecken und frei gestaltbarem, dynamischem Zwischenraum. In den fliessenden Formen des Rollladens ist diese Absicht zum Ausdruck gekommen. Holz ist von Natur aus gewachsen und schon von seinen Eigenschaften her dynamisch. Bei uns ist die Produktentwicklung immer fliessend. Die Menschen, die dahinter stehen, machen den Unterschied. Wenn sie gut zusammen harmonieren, sieht man das dem Ergebnis an.
Vonseiten der Röthlisberger Schreinerei war zu erfahren, dass Sie bei der Gestaltung gewissen Respekt vor den Qualitäten des Originals hatten. Ist das so?

Es war ja nicht von Beginn weg klar, dass wir den Rollladenschrank neu gestalten. Jede Generation hat ihre Designer. Dass man gewisse starke Elemente von Vordenkern übernimmt, liegt auf der Hand. Man kommt ja nicht mit vollem Bauch auf die Welt. Aber wir kopieren nicht. Wer das tut, ist immer ein bisschen zu spät, immer ein bisschen falsch.

Mit dem Möbel nahmen wir wie erwähnt die formalen Qualitäten eines Architekturmodells auf. Dass bei der Umsetzung für die Schiebetüren schliesslich die weiterentwickelten Rollladen eingesetzt wurden, ist nicht zuletzt auf die Handwerkstradition der Röthlisberger Schreinerei zurückzuführen. Es war schliesslich Peter Röthlisberger, der den Namen «Hommage» vorschlug. In Anlehnung an den Klassiker von Trix und Robert Haussmann.

www.atelier-oi.ch

Grand Prix Design 2013

Trix und Robert Haussmann gewürdigt

Die Schweizer Eidgenossenschaft würdigt Trix und Robert Haussmann mit dem Grand Prix Design 2013. Die beiden zählen zu den wichtigsten Schweizer Architekten und Designern des 20. Jahrhunderts. Für die Schreinerei Röthlisberger entwarfen sie nicht nur die Rollladenmöbel, sondern beispielsweise auch den auf 15 Exemplare limitierten «Säulenstumpf», welcher die Macher auch in technischer Hinsicht herausforderte. Die Idee ist als Umkehrung der zum Überdruss strapazierten These «Form folgt der Funktion» zu verstehen. Beim «Säulenstumpf» wird die Form durch die Funktion gestört. Trix und Robert Haussmann hinterfragten stets ästhetische Konventionen. In einigen ihrer unzähligen gestalterischen Arbeiten kommt dieses Denken explizit zum Ausdruck.

www.swissdesignawards.ch

MW

Veröffentlichung: 29. August 2013 / Ausgabe 35/2013

Artikel zum Thema

18. Dezember 2025

Die SZ schaut zurück: Der Wandel entsteht im Alltag

Die SZ-Redaktion hat sich in der letzten Ausgabe des Jahres 2025 ein paar Gedanken gemacht, schaut zurück und sagt danke! 

mehr
18. Dezember 2025

Neues Forum zum Thema Holzenergie

mehr

weitere Artikel zum Thema:

News