Zwischen Schleifstaub und Spitzenleistung


Vanessa Rüegg an ihrem Arbeitsplatz, wo sie gerade einen Stehtisch aus Massivholz herstellt. Bild: Michi Läuchli


Vanessa Rüegg an ihrem Arbeitsplatz, wo sie gerade einen Stehtisch aus Massivholz herstellt. Bild: Michi Läuchli
Schreinerlehre und Leistungssport zu kombinieren, verlangt Ausdauer, Disziplin und Zeitmanagement. Vanessa Rüegg aus Uster gibt Einblick, wie sich der Alltag in der Werkstatt mit intensivem Training vereinbaren lässt.
Wenn Vanessa Rüegg morgens in Zürich in der Werkstatt der Schreinerei R. Brunner AG steht, riecht es nach Holzstaub und frisch gesägten Brettern. Die 17-Jährige aus Uster ZH steckt mitten im dritten Lehrjahr als Schreinerin und arbeitet vielfach an Aufträgen, bei denen Präzision und Geduld gefragt sind. Gerade ist sie daran, einen neuen Besprechungstisch aus massivem Eichenholz herzustellen. Kaum ist die Arbeit vorbei, beginnt für sie der zweite Teil des Tages: der Leistungssport. Die Lernende pendelt viermal pro Woche nach Zug, wo sie in der höchsten Juniorinnenliga, der Elite U18, Handball spielt. Der Spagat zwischen Beruf und Sport prägt ihren Alltag – und verlangt eine Disziplin, die für viele in ihrem Alter ungewöhnlich ist.
Handball spielt sie seit rund zehn Jahren. Angefangen hat die Sportlerin im Club in Uster, später pendelte sie zwei Saisons lang zwischen beiden Clubs, bis sie den Entscheid traf, sich voll auf den Leistungssport in Zug zu konzentrieren. Damals war sie Teil einer Regionalauswahl. In Zug hat die angehende Schreinerin bereits einen festen Platz im Kader. Ihr heutiger Trainer sprach sie damals in der Überzeugung an, dass sie es nur mit einem Clubwechsel auf ein höheres Niveau schaffen würde. So lud er Rüegg zu einem Probetraining ein und öffnete ihr damit den sportlichen Weg zum professionellen Niveau.
Dafür nimmt sie viel in Kauf: «Zwei Stunden pendeln für eine Stunde Training – daran bin ich gewöhnt», sagt sie. Ihr Wochenrhythmus ist entsprechend streng: vier Hallentrainings, dazu zwei Einheiten Krafttraining von jeweils rund eineinhalb Stunden. Am Wochenende spielt sie meistens ein Spiel, manchmal zwei. Auch im Cup ist sie dabei, die Spiele finden teilweise unter der Woche statt. «Dafür fahren wir durch die ganze Schweiz. Das kann ziemlich intensiv werden.» Rüegg spielt als Kreisläuferin – eine Position, die Kraft, Körpergefühl und Übersicht braucht. Neben dem Handball spielt die 17-jährige auch Beachhandball.
Zum Sport kam sie durch ihre Mutter, die selbst Handball spielte. Zuerst war Rüegg in der Mädchenriege, dann wechselte sie zum Ballsport. Von Verletzungen blieb sie bisher weitgehend verschont. «Abgesehen von kurzen Problemen mit dem Schleimbeutel nach einem Sturz aufs Knie hatte ich glücklicherweise noch nie etwas.» Leider seien Gehirnerschütterungen im Handball nicht selten. Auch bei der Arbeit ist sie bisher unfallfrei geblieben.
Vier Trainingseinheiten pro Woche neben der Lehre sind anspruchsvoll. «Trotzdem gibt mir Handball viel Energie. Oft gehe ich müde ins Training und komme voller Energie wieder raus.» Dienstags besucht sie die Berufsschule – ihr einziger Tag ohne Handball. Die Zugfahrten nutzt sie konsequent, um zu lernen und Aufgaben zu erledigen.
Der Arbeitsweg mache ihr manchmal Mühe, sagt sie – die Arbeit selbst dagegen kaum. Sie müsse einfach darauf achten, dass alles zeitlich aufgeht. «Wenn ich auf einer Baustelle bin, ist das meist nicht weit weg, dann reicht es gut zum Training. Wenn nicht, muss ich halt absagen – das passiert aber selten.» Damit sie direkt von der Baustelle ins Training kann, hat die Handwerkerin ihre Sporttasche jeweils dabei.
Dabei war für die Zürcher Oberländerin immer klar, dass sie Leistungssport und eine Lehre kombinieren will. «Schon bei der Bewerbung habe ich das klar gesagt.» Ein anderer Betrieb, bei dem sie sich beworben hatte, habe wenig positiv auf ihren Wunsch reagiert, weshalb es dort vermutlich zur Absage kam.
Mit den Händen arbeiten und etwas mit Holz machen, wollte sie schon früh. Ein Abenteuerspielplatz in Uster, auf dem sie als Kind Hütten baute, habe sie stark geprägt und ihr bewusst gemacht, wie gern sie etwas Handwerkliches machen möchte. Zimmerin wäre ebenfalls eine Option gewesen, «aber fast die ganze Zeit draussen und mit schwerem Material arbeiten – das passte nicht zu mir». Im Schulwahlfach Werken baute sie später unter vielen anderen Objekten einen Schlitten, was ihren Berufswunsch endgültig bestätigte.
Nach verschiedenen Schnuppertagen erhielt sie die Lehrstelle bei der Schreinerei R. Brunner AG – und sie fühlt sich dort gut aufgehoben. «Ich könnte mir keinen besseren Ort wünschen. Ich werde super unterstützt, auch wenn ich sicher mehr leisten muss als andere.» In den ersten Lehrjahren durfte sie wegen des Trainings früher gehen, jetzt beginnt sie manchmal später. «Der Betrieb kommt mir bei allem sehr entgegen, wofür ich wirklich dankbar bin.» Für eine offizielle Leistungssportlehre ist normalerweise ein Zusatzvertrag nötig. «Dafür müsste ich zehn Stunden pro Woche trainieren. Das erreiche ich nicht, deshalb gibt es kein solches Abkommen, lediglich den normalen Lehrvertrag.»
Grössere eigene Projekte hat sie noch kaum, dafür viele kleinere, die gut machbar sind. «Ich lerne viel, weil ich im Zug diszipliniert arbeiten muss und weniger Zeit habe.» Auch am PC zu lernen, liege ihr besser als mit Büchern. Den Laptop stellte ihr der Betrieb zur Verfügung. Ein besonderes Highlight war für sie der Umbau der Villa Patumbah in Zürich, bei dem sie mit Kollegen das alte Kutschenhaus mit Massivholz ausbauen durfte. «Den fertigen Ausbau zu sehen, war wunderschön.» Am Schreinerberuf mag sie alles. «Am Ende des Tages zu sehen, was man geschafft hat – das war einer der Hauptgründe für diesen Beruf.» Bei der Arbeit erlebt sie als Frau kaum Nachteile. «Bei schweren Brandschutztüren merke ich meine geringere Kraft. Aber das viele Training hilft mir wiederum sehr bei der Arbeit.»
Dennoch gab es während der Lehrzeit auch Rückschläge: Besonders, als sie mit einem Trainer nicht gut auskam und kaum Spielzeit erhielt. Dann nahm sie ein anderer Trainer in sein Team. «Das hat mich aus dem Loch geholt.» Diese Phase sei hart gewesen, auch weil da die Energie fehlte. Solange der Sport Freude macht, halte sie aber durch. Viele Menschen sagen ihr, sie sei beeindruckend gut organisiert. Die sportbedingten Absenzen erfordern gutes Zeitmanagement. «Ich will einfach überall das Beste geben. Wenn ich das nicht schaffe, bin ich schnell unzufrieden.»
Früher wollte sie unbedingt in die Schweizer Nationalmannschaft. Heute sieht sie es entspannter. «Der erste Schritt wäre, in der ersten Liga oder Nati B zu spielen. Vielleicht irgendwann Nati A.» Ein Modell, bei dem sie weiterhin arbeitet und gleichzeitig Leistungssport betreibt, kann sie sich gut vorstellen. Einen Rat hat sie ebenfalls: «Wer Leistungssport macht, sollte bei der Bewerbung offen sein.» Nur so könne ein Betrieb Rücksicht nehmen. Ohne Disziplin gehe es ohnehin nicht.
Manchmal zweifelte sie an der Lehre, vor allem, wenn die Schulnoten nicht stimmten. «Das waren kurze Gedanken, aber aufgeben kam nie infrage. Ich weiss, wie wichtig eine Grundausbildung ist.» Die Lehre habe für sie Priorität, gerade mit Blick auf die Teilprüfung.
Ob sie nach der Lehre bei ihrem Lehrbetrieb bleibt, weiss sie noch nicht. «Ich möchte auf jeden Fall reisen. Auch im Ausland Handball zu spielen, wäre cool.» Nach der Lehre will sie die Berufsmatura nachholen. Zudem kann sich die angehende Schreinerin gut vorstellen, noch Militärdienst zu leisten.
«Der Lehrbetrieb kommt mir sehr entgegen, wofür ich wirklich dankbar bin. »
Veröffentlichung: 04. Dezember 2025 / Ausgabe 49/2025
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