Ab ins Körbchen

Kreative Geister schätzen Rattan, weil es sich in jede beliebige Form bringen lässt. Bild: Kenneth Cobonpue

Rattan.  Man stelle sich ein Holz vor, dass bis zu 200 m lang wachsen kann und dabei enorm stabil und gleichzeitig flexibel ist. Ein Material, das im «Windschatten» des Waldes nachhaltig erzeugt werden kann, einfach zu ernten und zu verarbeiten ist. Dieses Holz heisst Rattan.

Rattan kennt jeder. Doch kaum jemand weiss wirklich etwas darüber. Deshalb verwundert es auch nicht, dass Rattan und Bambus oft in einem Atemzug genannt werden. Es handelt sich aber um grundverschiedene natürliche Werkstoffe, die auch botanisch nur entfernt miteinander verwandt sind. Bambus ist ein verholzendes Gras und innen hohl mit Ausnahme der Knotenstellen. Rattangewächse gehören zu verschiedenen Gattungen der Palmen.

Ebenfalls verholzend, erwachsen die Stängel aber massiv mit einer in Längsrichtung leitungsartigen Struktur im Inneren. Im Hirnholzschnitt erscheint Rattan deshalb als ein poröses Material, was zu seinen besonderen Eigenschaften führt.

Ähnlich wie bei Bäumen ist die Vielfalt auch beim Rattan gross. Rund 600 verschiedene Arten sollen in den tropischen und subtropischen Regionen weltweit wachsen. Überwiegend gehören diese der Gattung Calamus an. Und wie beim Holz auch werden nur einige wenige Arten davon, je nach Herkunftsland, kommerziell genutzt. Das betrifft drei bis fünf Prozent aller vorkommenden Arten.

Weitere Fehleinschätzungen

Möbel aus Rattan oder Teile davon sind hierzulande seit der Kolonialzeit bekannt. In der jüngeren Vergangenheit hat Rattan deutlich an Popularität und an Ansehen bei den Kunden eingebüsst. Mitverantwortlich dafür sind Billigprodukte, die unter der Federführung europäischer Produzenten in den oft ärmeren Herkunftsländern des Rohstoffes entsprechend zu Niedrigpreisen gefertigt werden.

Fachleute der Holzbranche kennen dieses Phänomen nur zu gut und wissen ganz genau: Nicht das Material ist ungeeignet, sondern das, was man daraus macht, ist nicht durchdacht. Schliesslich gab es Zeiten, in denen das Holzfenster wegen unzulänglicher Konstruktionen massiv an Ansehen verloren hatte. Oder das Beispiel Holzhausbau, weil doch ebenso jedes Kind weiss: Holz brennt!

Das Besondere an Rattan ist seine Flexibilität bei der Verarbeitung. Ideen vorausgesetzt, kann man unendlich viele Varianten finden, den Werkstoff zu verarbeiten. «Dabei kommt es auch massgeblich auf das Können und Wissen der Flechter an. Qualität zu erkennen, ist für den Laien jedoch schwierig. Der sieht nur, ob etwas gefällig ist oder nicht. Aber wie komplex ein Geflecht aufgebaut ist, etwa ob mehrere Materialstärken miteinander verflochten wurden, das fällt meist nicht auf.»

Im Grunde ist es ähnlich wie bei Schreinerarbeiten. Dort sieht der Laie oft nicht, welches Handwerkskönnen darin steckt, wie aufwendig oder schwierig eine Arbeit ist. Und so ist es auch bei der Flechtkunst.

Diese ist wohl noch entscheidender als das Material und dessen Herkunft selbst. Was nicht heissen soll, dass es beim Rattan keine Güteunterschiede gibt. «Es geht darum, diese zu erkennen und den jeweils möglichen Einsatzzweck festzulegen, wiederum analog zum Holz», sagt Johannes Wild, Geschäftsführer des Premiumherstellers Kenneth Cobonpue Europa.

Auch in der Schweiz eine Nische

Schreiner verarbeiten Rattan schon lange, nämlich seit rund 250 Jahren. Meist in Form von zu Streifen gespaltenen Stängeln, auch als «Stuhlflechtrohr» oder «Wickelrohr» bekannt. Dieses wird zu Geflechten für Sitz- und Rückenpartien von Stühlen verwendet. Unterschieden wird dabei zwischen von Hand eingezogenen Geflechten in Rahmen mit Bohrungen einerseits und eingepressten Geflechten in einen Rahmen mit Nut andererseits.

Beim handeingezogenen Geflecht wird jeder Rattanstrang einzeln von Hand verflochten. Das Maschinengeflecht zum Einpressen entsteht auf einer Art Webstuhl und kommt in Form von Rollenware zum weiteren Zuschnitt auf den Markt. Bei beiden wird das Material aus der Sprossoberfläche des Rattans gewonnen, indem diese durch eine einfache messerbestückte maschinelle Vorrichtung gezogen wird.

Bedeutung gering

Heute sind es vor allem skandinavische Möbelhersteller, die noch in nennenswertem Umfang mit der Flechttechnik arbeiten. Zwar hat die Präsenz von edlen Stücken mit Rattan zuletzt wieder zugelegt, wie ein Blick in die Lifestyle- und Home- Magazine zeigt, doch auch in der Schweiz ist die Bedeutung von Rattan, auch Peddigrohr oder Rotang genannt, nach wie vor gering und eher rückläufig. Dies belegen die amtlichen Zahlen der Aussenhandelsstatistik der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV). Danach wurden im letzten Jahr Geflechte, Matten und ähnliche Rattanmaterialien im Wert von gerade hunderttausend Schweizer Franken importiert. Zum Vergleich: Für Korbwaren aus Rattan lag das Volumen bei über drei Millionen Franken.

Neben Reparaturen von Stühlen in einigen kleinen Flechtereien in der Schweiz wird das sogenannte und typische Achteckgeflecht, auch Wiener- oder Joncgeflecht genannt, vor allem bei Designklassikern eingesetzt wie etwa bis heute bei einigen Modellen aus der Stuhlfabrik Horgenglarus. Ganz anders sind die Dimensionen beim Weltmöbelproduzenten Ikea. In mehr als hundert Produkten des Sortiments verwendet das schwedische Unternehmen Rattan.

Woher das Rattan kommt

Seit vielen Jahren ist Indonesien das mit Abstand wichtigste Erzeugerland von Rattan. Bis zu 80 % der weltweiten Produktion stammen vom Inselstaat. Daneben sind auch Myanmar und Vietnam wichtige Produzenten. Rattan wächst aber in vielen Ländern in Äquatornähe. Nicht nur in Asien, sondern auch in Afrika, Indien und Australien. Weltweit sollen 700 Mio. Menschen mit dem Rohstoff ihr Auskommen finden. Sei es als Händler oder bei der Erzeugung.

Der weltweite Materialwert des unbearbeiteten und als Halbfabrikat gehandelten Rattans soll sich jährlich auf rund 65 Mio. US-Dollar belaufen. Zu den Mengen an geerntetem Rattan gibt es ebenfalls lediglich Schätzungen. Diese liegen bei rund 440 Mio. Tonnen pro Jahr.

Die wichtigsten Abnehmer des Werkstoffes sind China, Hongkong und Singapur. Aber die drei dienen zuallerst als Handelszentren. Das Rattan wird umsortiert und geringfügig bearbeitet, um dann in die ganze Welt exportiert zu werden. Und so landet es auch über die drei Akteure in Europa. Es gab schon Jahre, in denen China in der offiziellen Statistik als Hauptlieferant für Rattan auftauchte.

Der Markt für das Material ist dabei alles andere als stabil. Die Zahlen schwanken und verlagern sich deutlich von Jahr zu Jahr. Nur eines bleibt konstant: Den Akteuren in den tatsächlichen Erzeugerländern bleibt nur ein bescheidener Anteil an der Wertschöpfung. Etwa den Familien, die das dornenbestückte Holz mit Macheten in der täglichen Hitze für ein paar Rappen Verdienst am Tag ernten.

Auch Probleme mit Übernutzung der Bestände treten immer wieder auf. Denn Rattan braucht als Kletterpflanze die Bäume zum Wachsen. So ist es zwar möglich, Kulturen im Wald anzulegen, Plantagen dagegen funktionieren mit Rattan nicht. Fällt der Wald, dann fällt auch das Rattan. Oft reissen die Palmen im Zuge der Baumfällung mit der Wurzel aus. Dann kann die Pflanze nicht nachwachsen.

Es besteht also eine enge Verbindung zwischen dem Schutz des Waldes und einer so möglichen nachhaltigen Bewirtschaftung von Rattan. Drei bis fünf Jahre braucht die Pflanze, bis sie geerntet werden kann.

Erste Zertifizierungen sind umgesetzt

Im letzten Jahr vermeldete der WWF International, dass auf dem indonesischen Teil der Insel Borneo (Kalimantan) ein Distrikt als zweiter Standort überhaupt für die Produktion von FSC-zertifiziertem Rattan ausgezeichnet wurde. Ikea hat das Projekt finanziell unterstützt.

Dass es so wenige zertifizierte Flächen gibt, hat Gründe. «Die Zertifizierung auf den Philippinen ist, wie in vielen anderen Schwellenländern auch, eine schwierige Sache», sagt Wild. «Viele durchaus gut gemeinte Bestimmungen führen vor Ort nicht wirklich zu guten Ergebnissen.» Zu stark seien regionale Besonderheiten und zu vielfältig die Einflüsse der Akteure, als dass Regelwerke einfach angewendet werden können. «Jene, welche die Regeln aufstellen, verstehen die Verhältnisse vor Ort oft nicht», sagt Wild. Das Unternehmen setzt deshalb weniger auf ein Label als auf Glaubwürdigkeit.

«Wir sind kein europäisches Unternehmen, sondern ein philippinisches. Wir investieren viel in den Arbeitsschutz und eine faire Behandlung vor Ort bezüglich Bedingungen und auch Entlöhnung von der Ernte bis zum Produkt», sagt Wild. Man verwende auch kein Holz von den Philippinen für die Möbel, sondern importiere dieses aus anderen Ländern. «Denn die Ausfuhr von Holz ist im Grundsatz gesetzeswidrig, Ausnahmen gibt es für zertifizierte Flächen. Aber auch dieser Sachverhalt ist kompliziert.»

Erster plattenförmiger Werkstoff

Das noch junge Allgäuer Unternehmen Out for Space GmbH hat aus den Stängeln der Rattanpalmen den Werkstoff «Karuun» entwickelt. Dem Team ist es gelungen, die Kapillarstränge des Rattans, mit deren Hilfe die Pflanze den Wassertransport über die weiten Strecken von bis zu 150 oder 200 Metern bewerkstelligt, für die Injektion von Flüssigkeiten zu nutzen. So lässt sich das Rattan beispielsweise durchfärben.

Durch den Einsatz dickerer Rattanstäbe, deren Durchmesser nach Angaben des Unternehmens bis zu zehn Zentimeter erreichen können, stellen die Jungunternehmer auch Furniere in verschiedenen Dicken sowie massive Rattanmaterialien her und verwenden diese in eigenen Produkten.

Wie beim natürlichen Rattan auch, lassen sich die so hergestellten Furniere, Platten und Stangen mittels Hitze und Dampf mit relativ geringem Energieaufwand dreidimensional verformen.

Eigenschaften verbessern

Mit dem patentierten Injektionsverfahren werden aber nicht nur Farben eingebracht, sondern auch die Eigenschaften des Werkstoffes verbessert. Daraus resultieren unter anderem eine höhere Steifigkeit und Stabilität des Rattans. Wegen der typisch linearen Faserstruktur sind auf den Flächen der platten- und stabförmigen Werkstoffe keine Stossfugen sichtbar. Anders als bei der Variante mit Hirnholzfurnier, das dafür aufgrund der sichtbaren Kapillarstränge lichtdurchlässig ist.

Der Witterung ausgesetzt, ist natürliches Rattan nur begrenzt haltbar. Geschützt unter Dach und entsprechende regelmässige Pflege vorausgesetzt, können Möbel aus Rattan jedoch viele Jahrzehnte ihren Dienst erbringen. «Wie lange Rattanmöbel halten, hängt stark vom Einsatzbereich und der Pflege ab», sagt Wild.

Das Unternehmen experimentiert seit geraumer Zeit mit Verfahren, um das Material haltbarer zu machen. Grundsätzlich ist jedoch der natürliche Werkstoff, der Witterung ausgesetzt, schutzbedürftig.

Zweischneidiges Schwert

Um wetterfestere Möbel für den Aussenbereich realisieren zu können, gibt es seit längerer Zeit künstliche Rattanwerkstoffe, das sogenannte Polyrattan. Entscheidender Vorteil der aus Polyethylen hergestellten Werkstoffe ist das Fehlen der Wasseraufnahme. Während Naturfasern lackiert oder imprägniert werden müssen, damit diese vor Nässe geschützt sind, perlen Flüssigkeiten von den Kunstfasern einfach ab.

Was wenig bekannt ist: Hinsichtlich der Beanspruchung durch UV-Strahlen stellt sich die Lage anders dar. Hier schweigen die meisten Möbelhändler und auch die Produzenten. Denn weltweit gibt es nur ganz wenige Hersteller, die eine UV-Beständigkeit ihrer Polyrattan-Variante belegen können. Die Folge: Viele vor allem preisgünstige Polyrattanmöbel halten bei Weitem nicht so lange, wie versprochen wird.

Für Johannes Wild stellt das Kunststoffgeflecht deshalb ein zweischneidiges Schwert dar. Einerseits seien die hochwertigen Varianten von Polyrattan für den Aussenbereich besser geeignet als jedes natürliche Material. Andererseits würden oft preisgünstige und minderwertige Qualitäten der Kunststoffe verwendet, wodurch die Haltbarkeit deutlich herabgesetzt werde. «Ich finde, wenn schon Kunststoff, dann sollte er auch die bestmögliche Materialqualität aufweisen und vor allem entsprechend hochwertig verarbeitet sein.»

www.kennethcobonpue.com
www.sika-design.comwww.outforspace.comwww.karuun.comwww.materialarchiv.ch

Schweizer Flechter

Regelmässig ineinander verwoben

Die Flechter gibt es noch, auch wenn sie ein Nischendasein fristen. Wer professionelle Unterstützung in diesem Bereich benötigt, findet diese in der Schweiz zum Beispiel unter folgenden Internetadressen:

www.flechtatelier.chwww.brühlgut.chwww.arbeitsheim.chwww.flechtereien.ch

ch

Veröffentlichung: 30. August 2018 / Ausgabe 35/2018

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