Auf dem Weg zum Holzmeister

Marc Meier (39) vor einem Kumiko, das er für das Frauenfelder Street Art Festival kreierte. Bild: Manuela Ziegler

Leute. Die Holzleisten für die traditionelle japanische Kumiko-Technik sind bestechend filigran. Dreiecke und Blüten ergeben ein regelmässiges Muster auf dem Wandbild. «Die Leisten sind maximal drei Millimeter dick und zwölf Millimeter breit», sagt Marc Meier. Weit über 5000 Teile sind im Wandbild von einem auf zwei Meter Grösse enthalten.

Meier steht am Unteren Graben in Frauenfeld neben einem seiner Kunstwerke, das er für das Street Art Festival in der Stadt anfertigt hat. Seit er vor fünf Jahren auf YouTube auf die Kumiko-Technik aufmerksam wurde, lässt sie ihn nicht mehr los. «Holz fasziniert mich schon mein ganzes Leben», erklärt der 39-jährige Kunsthandwerker. Er erläutert die meistverwendeten Hölzer, wie heimische Linde und Nussbaum, und die Exoten wie Amaranth und das orangefarbene Padouk. Das purpurfarbene Amaranth verfärbt sich unter Tageslicht ins Dunkelrot.

«Die zwei klassischen Designs des Kumiko ergeben über 200 Muster. Die Japaner sagen, es dauert zehn Jahre, bis man das Handwerk beherrscht.»

«Kumiko besteht aus zwei klassischen Designs, die je nach Anordnung über 200 gängige Muster ergeben», erklärt Meier weiter. Im Prinzip werden die Holzleisten in verschiedenen Winkeln überblattet und passgenau ineinandergesteckt. Der Kumiko-Experte fertigt eigene Muster aus traditionellen Formen mithilfe einer Software an. Mit einem Fachbuch hat er sich auf dem Gebiet sattelfest gemacht. In der offenen Schreinerwerkstatt Werkraum in Frauenfeld unterstützte ihn Bernhard Berchtold, der diesen Ort ins Leben rief. Inzwischen fand Meier zum Verein Co-Labor, einer Gemeinschaftswerkstätte im Kulturzentrum Eisenwerk, wo der Rundgang nun hinführt. «Das Co-Labor ist meine grosse Liebe», sagt der junge Mann. Hier nutzt er nicht nur die Maschinen, er wartet sie, hält die Schreinerwerkstatt in Ordnung, und er hilft anderen Mitgliedern.

Für Kumikos richtet er die gekauften Holzbretter fachgerecht auf 90 Grad ab, sägt sie an der Bandsäge 15 Millimeter breit und schiebt sie für exakte Breite durch den Dickenhobel. Für die Profildicke hobelte er früher die zugesägten Blätter mit dem Handhobel auf exakt drei Millimeter. Eine sehr zeitaufwendige Arbeit. Seit zwei Monaten hat er eine Trommelschleifmaschine, die das nun in 15 Minuten erledigt. «Die Japaner sagen, es dauert zehn Jahre, bis man das Handwerk beherrscht», erzählt Meier. Er zeigt einige seiner Anfangsstücke mit winzigen Lücken in den Winkeln. «Ich bin überglücklich, wenn das Muster exakt vor mir liegt», bekennt der Fachmann. Doch er sieht noch immer Luft nach oben. Kumiko bedeute nicht nur handwerkliche Perfektion, sondern symbolisiere unter anderem Glück und guten Geist. Beides kann der angelernte Schreiner gut gebrauchen, der nach dem Schulabschluss mit einer zweijährigen Anlehre gestartet war. «Das war eine richtig gute Zeit.» Doch leider hat er im Schreinergewerbe keinen Einstieg finden können und seither im Einzelhandel, im Gerüstbau und im Sicherheitsdienst gearbeitet. Sein beruflicher Weg führte den im Kanton Zürich Gebürtigen nach Frauenfeld, bis ihn ein Unfall aus der Bahn geworfen hat.

Inzwischen arbeitet er wieder im Minijob für das Materiallager OffCut und fertigt Kumikos als Lampen, Tischplatten und Wandbilder, die in seinem privaten Umfeld sehr gut ankommen. «Mein grösster Wunsch wäre es, wieder in einer Schreinerei in Teilzeit zu arbeiten.» Daneben möchte er seine Leidenschaft für Kumiko weiter perfektionieren.

 

Manuela Ziegler

Veröffentlichung: 22. September 2025 / Ausgabe 38/2025

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