Aus gutem Holz geschnitzt

Nadine Bircher (25) geniesst den Wechsel zwischen «millimeterlä» als Schreinerin und den kreativen Freiheiten als Holzbildhauerin. Bild: Fränzi Hurni

Leute. Als kleines Mädchen war Nadine Bircher gerne bei ihrem Grossvater und hat ihm beim «Schnätzen», seinem Hobby, zugeschaut. Er hat lebensgrosse Figuren aus Holz geschnitzt.

Unterdessen ist der Grossvater verstorben, seine Werkzeuge sind bei Nadine im Atelier, und er wäre sicher stolz auf seine Enkelin, die sein Handwerk und die Begeisterung dafür weiterleben lässt. Die Freude an Holz liegt in der Familie, denn Grossvater und Vater führten eine eigene Zimmerei. Zusammen mit ihrer Kreativität waren das für Nadine Bircher ideale Voraussetzungen für die vierjährige Ausbildung zur Holzbildhauerin EFZ in Brienz im Berner Oberland. Sie war mit Sandra Kunz, Nora Engels und Maria Blaser zwischen 2016 und 2020 in der ersten reinen Frauenklasse an der Schule für Holzbildhauerei. Während der Ausbildung hat sie in einem kleinen Zimmer in Brienz gewohnt. Die Ausbildung ist sehr vielseitig, und am Ende haben die Lernenden nicht nur die fachlichen und technischen Kompetenzen, sondern werden auch zur Selbstständigkeit im Beruf hin begleitet.

Nach dem Abschluss war Birchers «hölziger» Wissensdurst noch nicht gestillt, und so hängte sie eine verkürzte dreijährige Schreinerlehre bei der Bieri AG im Simmental an. Bei ihrem Ausbildungsplatz war ihr vor allem wichtig, dass sie mit Massivholz arbeiten konnte. «Die Schreinerlehre hat mir geholfen, genauer zu arbeiten, zu ‹millimeterlä›», sagt Bircher. Für sie die ideale Ergänzung zu den kreativen Freiheiten als Holzbildhauerin. Unterdessen hat die 25-Jährige zwei abgeschlossene Ausbildungen in der Tasche und arbeitet zu 70 Prozent bei der Ruprecht Möbeldesign GmbH in Frutigen BE als Schreinerin. Daneben hat sie sich mit zwei Freundinnen selbstständig gemacht, ihr Zuhause umgebaut und sich darin eine eigene Werkstatt eingerichtet. Die Macherin geniesst es, dass sie und ihr Freund etwas ausserhalb von Frutigen leben und es niemanden stört, wenn sie zu fast jeder Tages- und Nachtzeit mit der Motorsäge aus einem Stück Holz ein Kunstwerk anfertigt. Mit Gina Sommer und Lea Willener ist sie Inhaberin des «Holzab», eines Ateliers für Holzbildhauerei mitten in Thun. «Niemand hat auf uns gewartet», ist sich Bircher bewusst, und deshalb sei es wichtig, dass sie sich und ihre Arbeit auch ausserhalb ihrer privaten Werkstatt zeigen könne. Gute Möglichkeiten seien Ausstellungen, wie aktuell bis Ende Juni in der Schlossgalerie in Belp. Die sympathische Allrounderin geniesst die Abwechslung zwischen ihren beiden Berufen und die Vielfalt zwischen der Selbstständigkeit und dem Angestelltsein. Wenn die Meissel im Rechen sind und die Motorsäge verstummt ist, kümmert sich die Powerfrau um den grossen Garten und die Hühner oder lädt Freunde zum Essen ein. Mit ihrem Freund geht sie auch regelmässig nach Italien zum Motocross fahren.

«Es wird einem nichts geschenkt im Leben; wichtig ist, an sich zu glauben, sich treu zu bleiben – und auch mal beissen zu können.»

Bircher hat schon viel erreicht und Leidenschaften und Können auf mehrere Standbeine verteilt. «Es wird einem nichts geschenkt im Leben; wichtig ist, an sich zu glauben, sich treu zu bleiben – und auch mal beissen zu können», sagt sie. Ihre Einstellung ist geprägt von Dankbarkeit: «Es ist ein Geben und Nehmen, zwischen Eltern, Freunden, Kunden, Arbeitgebern – nichts ist selbstverständlich.» Sich etwas zutrauen und Träume verwirklichen liegt in der Familie: Ihre Eltern haben sich einen Lebenstraum erfüllt und führen ein Restaurant in Aeschi bei Spiez. Und ihre jüngere Schwester hat nach der Ausbildung zur Köchin nun ebenfalls eine Schreinerlehre angefangen.

 

Fränzi Hurni

Veröffentlichung: 23. Juni 2025 / Ausgabe 25/2025

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