Beständigkeit aus einem Guss

Ob gegossen oder thermisch verformt: Für geschwungene Formen bieten sich die Mineralwerkstoffe an. Illustration: Meyer AG

Mineralwerkstoffe.  Bei Acryl oder Polyester denkt jeder sofort an Kunststoff. Deshalb haben Mineralwerkstoffe keinen leichten Stand, wenn beim Bauen Ökologie und Nachhaltigkeit gefragt ist. Es gibt aber durchaus Argumente, die für die Materialgruppe sprechen.

Corian ist immer Mineralwerkstoff, aber Mineralwerkstoff ist schon lange nicht mehr immer nur Corian. Trotzdem verwenden auch heute noch viele diesen Markennamen im alltäglichen Sprachgebrauch, meinen damit aber die Mineralwerkstoffe allgemein. Das mag daran liegen, dass Corian der erste Werkstoff dieser Art war. Bereits 1967 wurde er vom US-amerikanischen Konzern DuPont entwickelt und patentiert. Bis in die 90er-Jahre mussten konkurrierende Hersteller andere Verfahren und Bestandteile für ihre Produkte finden. Anstelle von Acryl wurde als Bindemittel beispielsweise auch Polyester verwendet. Als das Patent von DuPont auslief, veränderte sich auch der Markt, und andere Unternehmen stellten acrylgebundene Mineralwerkstoffe her. Heute ist der Grossteil der Produkte auf dem Markt Acryl-gebunden.

Nachhaltigkeit

Ob nun Acryl oder Polyester als Bindemittel dient, eines haben die beiden Inhaltsstoffe gemeinsam, sie gehören zu den synthetisch hergestellten Polymeren in der chemischen Gruppe der Kunststoffe. Als solche bestehen sie zum Teil aus erdölbasierten Grundstoffen. Zudem kommen bei der Produktion stark umweltbelastende Chemikalien zum Einsatz oder fallen als Nebenprodukt an, was der Idee eines nachhaltigen Produktes widerspricht. Demnach haben Mineralwerkstoffe in der Hinsicht nicht den besten Ruf. Mirsat Redzepi, Geschäftsführer der Studer Handels AG in Höri ZH, bestätigt: «Wenn bei einem Projekt nachhaltige Werkstoffe gefragt sind, werden die Mineralstoffe wohl gar nicht erst in Betracht gezogen.» Redzepi, dessen Unternehmen die Produkte «Staron» und «Arlian» vertreibt, ist aber überzeugt, dass man die Mineralwerkstoffe nicht nur auf Bindemittel reduzieren sollte. Denn das Material besteht nur ungefähr zu einem Drittel aus Acryl beziehungsweise Polyester. Der Hauptbestandteil der Mineralwerkstoffe ist indes Aluminiumhydroxid (ATH), auch Aluminiumtrihydrat genannt. ATH ist ein Mineral, welches aus dem Aluminiumerz Bauxit gewonnen wird. Es ist das weltweit bedeutendste mineralische Brandschutzmittel und findet ebenso Verwendung in der Medizin, beispielsweise zur Neutralisierung der Magensäure bei Sodbrennen.

Garantiert langlebig

«Die Herstellung von Mineralwerkstoffen braucht vergleichsweise wenig Energie», sagt Redzepi. «Das wichtigste Argument für den Werkstoff ist jedoch seine Langlebigkeit.» Dieser Meinung ist auch Marcus Diggelmann, Inhaber und Geschäftsführer der Syba Engineering GmbH. Das Unternehmen in Rudolfstetten AG vertreibt den Mineralwerkstoff «Kerrock». Der Hersteller Kolpa gibt eine 10-jährige Garantie auf alle Kerrock-Produkte, vorausgesetzt, diese wurden fachgerecht verarbeitet und montiert. Andere Hersteller nennen ähnliche Zahlen. Bei der LX Hausys Europe GmbH und ihrem Produkt «HIMACS» sind es sogar 15 Jahre Garantie. Diese Zahlen sagen aber nicht viel über die wirkliche Dauerhaftigkeit des Materials aus. «Es kann sein, dass sich nach dieser Zeit mal eine Leimfuge löst. Der Werkstoff an sich hält aber viel länger und muss keinesfalls nach 10 oder 15 Jahren entsorgt werden», sagt Diggelmann. Ein weiterer Vorteil der Mineralwerkstoffe ist ihre Reparaturfähigkeit. Kleine Hicke oder Kratzer in der Oberfläche können jederzeit herausgeschliffen werden. Da das Material keinen Oberflächenschutz mit Öl oder Lack benötigt, hält sich der Arbeitsaufwand dabei in Grenzen. Aber auch grössere Beschädigungen können oftmals nahezu unsichtbar repariert werden. Dazu bieten die meisten Hersteller einen Zwei-Komponenten-Klebstoff an, der exakt auf ihren Werkstoff abgestimmt ist.

Zweites Leben

Auch wenn die Preise in den letzten Jahren etwas gesunken sind, ist Mineralwerkstoff weiterhin ein teures Produkt. Deshalb macht es nebst den ökologischen Aspekten auch ökonomisch Sinn, die Lebensdauer des Materials auszuschöpfen. Hier können auch die Schreinereien als verarbeitende Betriebe Einfluss nehmen. Viele Produkte können problemlos wiederverwendet werden. Da Mineralwerkstoffe selten mit anderen Materialien gemischt oder verunreinigt werden, können sie nach dem Erstverbrauch einfach demontiert und erneut verarbeitet werden. «Aus demontiertem Material, aber auch aus Resten und Abschnitten aus der Produktion, fertigen wir Schneidebretter, Seifenschalen, Möbelgriffe oder auch WC-Papier-Halter», sagt Mirsat Redzepi. So erhält der alte Waschtisch oder der ausgediente Empfangskorpus ein zweites Leben. Eine Möglichkeit, die laut Redzepi bisher wohl nicht so oft genutzt wird. Auch Marcus Diggelmann ist überzeugt, bei einer Demontage landet das Gros der Mineralwerkstoffe im Bauschutt. «Vielleicht scheuen die Betriebe den Aufwand für den Rücktransport, oder die Möglichkeit geht im stressigen Arbeitsalltag schlicht vergessen», wie Diggelmann sagt. Aber auch ein Waschbecken könne aus der Abdeckung herausgetrennt und an einem neuen Ort wieder verbaut werden.

Herstellung

Von Recycling spricht man erst, wenn der Rohstoff zuvor als Abfall eingestuft wurde. Ansonsten handelt es sich um Wiederverwendung. Während die Wiederverwendung von Mineralwerkstoffen problemlos möglich ist, sieht es beim Recycling etwas anders aus. Schaut man sich den Herstellungsprozess an, wird klar, warum. Bei der Produktion wird das Aluminiumhydroxid zuerst in grossen Tanks mit der Komponente A des Bindemittels gemischt. Wie bei einem Zwei-Komponenten-Klebstoff wird danach die Komponente B hinzugefügt, und die Masse wird auf ein Stahlfliessband oder in eine Metallform gegossen. Bei der Herstellung findet demnach eine chemische Reaktion statt. Deshalb kann das fertige Material nicht einfach wieder eingeschmolzen und neu verarbeitet werden.

Crunchies

Dennoch gibt es inzwischen einige Hersteller, die Platten mit Recyclinganteilen anbieten. Dazu wird altes Material zerkleinert und zu Partikeln von 1 bis 5 Millimetern Durchmesser verarbeitet. Diese sogenannten «Crunchies» können dann bei der Herstellung einer neuen Platte eingegossen werden. Mit diesem Verfahren können bis zu 20 % an Altpartikeln wiederverwendet werden. Dieser Herstellungsprozess ist allerdings keine neue Erfindung, denn bestimmte Dekore wurden schon lange auf diese Art und Weise hergestellt. Bei den Farbtupfern in gesprenkelten Dekoren handelt es sich in der Regel um eingegossene Crunchies.

Neue Wege und Formate

Bis vor einigen Jahren wurden die Mineralwerkstoffe hauptsächlich in den USA oder Asien hergestellt. Inzwischen gibt es aber auch europäische Hersteller, was die Transportwege in die Schweiz deutlich verkürzt. So wird «Varicor» beispielsweise im Elsass in Frankreich hergestellt, die Produktionsstätten von «Kerrock» stehen in Slowenien, und «Getacore» wird in Deutschland produziert. Auch bei den Formaten findet eine Angleichung an den europäischen Markt statt. Das gängige Mineralwerkstoffformat 3680 × 760 Millimeter hat seinen Ursprung im amerikanischen Möbelbau. Daraus konnte mit wenig Verschnitt die Kante, Arbeitsplatte und Aufbordung einer Küche hergestellt werden. Hierzulande kommt Mineralwerkstoff aber häufig auch im Bad zum Einsatz, beispielsweise als Wandverkleidung in einer Dusche. Dafür ist das Standardformat unpraktisch, da in der Länge viel Verschnitt anfällt und die 760 Millimeter in der Breite oftmals zu wenig sind. Viele Hersteller bieten mittlerweile verschnittoptimierte Plattenformate an. So können die Platten individuell passend zum Projekt bestellt werden. Damit fallen weniger Reste an, und der Verschnittfaktor wird kleiner, was wiederum den Kunden freut.

Die Tabelle auf der folgenden Doppelseite zeigt die verfügbaren Plattenformate der verschiedenen Mineralwerkstoffe sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Produkte.

Sven Bürki

Veröffentlichung: 30. November 2023 / Ausgabe 48/2023

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