«Chrummhölzler» ein Leben lang

Der 93-jährige Jakob Gretener zeigt stolz seine Wagnerei, in der er noch bis vor Kurzem täglich tätig war. Bild: Caroline Schneider

Wenn Jakob Gretener aus seinem fast jahrhundertelangen Leben erzählt, glänzen seine Augen unter den buschigen Augenbrauen, während sich in seinem Gesicht ein verschmitztes Lächeln ausbreitet.

«Du musst Freude haben an den Dingen, die du tust», sagt er. Und doppelt gleich nach: «Abwechslungsreich muss das Leben sein.» Abwechslungsreich war es, das Leben des 93-Jährigen. Als Wagner und Landwirt hat er nicht nur zwei Berufe gleichzeitig ausgeübt, sondern war daneben auch in verschiedenen Vereinen und Gremien tätig. Lange war er aktives Mitglied bei der Feuerwehr, sass im Bürgerrat, amtete als Präsident des Kirchenchors, unterstützte den Schützenverein und spielte als junger Mann Theater. In der Gretener-Dynastie gab es schon immer «Hölzige». Jakobs Vater besass eine Wagnerei und betrieb Rundholzhandel. Jakobs älterer Bruder trat in die Fussstapfen seines Vaters und erlernte das Metier des Wagners. Er selber hingegen wollte Bauer werden. «Ich liebe Tiere über alles.»

Nach der Schulzeit arbeitete er drei Jahre bei Verwandten auf dem Bauernhof, bevor er in Zug die Landwirtschaftsschule absolvierte. Danach arbeitete er zehn Jahre lang mit seinem älteren Bruder in der Wagnerei. Da dieser ledig blieb, übergab der Vater den Betrieb dem Jüngeren. «Ich stellte vor allem Arbeitsgeräte für die umliegenden Bauernhöfe her: Holzwagen, Brückenwagen, Abschlussgitter für Kuhställe, Räder oder Holzsilos. Das war ein lukratives Geschäft nebst der Bauerei.» Jakob Gretener aus Niederwil bei Cham ZG war weitherum bekannt als «Wagner-Köbi».

«Du musst Freude haben an den Dingen, die du tust. Abwechslungsreich muss das Leben sein.»

Später kamen die Traktoren und die Anhänger auf den Markt und erleichterten den Landwirten die Arbeit. «Diese Entwicklung habe ich vorausgesehen», sagt Gretener. «Sie hat uns ‹Chrummhölzlern› die Arbeit genommen. Es ging alles bachab. Die Nachfrage nach den traditionellen Arbeitsgeräten ging zurück.» Jakob Gretener hielt Schritt mit den Veränderungen und konzentrierte sich stärker auf die Schreinerarbeiten. Bis zu seinem 90. Geburtstag verbrachte er die meiste Zeit in seiner Werkstatt. «Die Leute brachten mir ihre Stühle, Holzbänke, Holzwagen oder Stielwaren zur Reparatur.» In der Werkstatt ist die Zeit stehen geblieben. Es sieht noch genauso aus wie anno dazumal. All die alten Geräte und Maschinen sind einwandfrei und funktionstüchtig. «Ich würde gerne noch einmal ein Leiterwägeli machen», sagt der Rentner. «Er war schon immer ein Umtriebiger», sagt seine Tochter, die neben ihm auf der Holzbank sitzt.

«Am liebsten habe ich mit dem ‹Mueti› getanzt», sagt Gretener. Er schwelgt einen Moment lang in seinen Erinnerungen: «Ja, ich hatte eine Wunderfrau. Seit ihrem Tod bedanke ich mich jeden Tag bei ihr für ihre Liebe und Güte.»

Auf der Suche nach einer Frau hatte er als junger Mann nichts dem Zufall überlassen. «Ich habe für mich ein ‹10-Punkte-Programm› aufgestellt. Unter anderem sollte sie gross und schön sein, einfach und lieb, und sie musste arbeitsam sein.» Das Universum hatte seine Wünsche erhört. Seine Frau war schön und, wie von ihm gewünscht, acht Zentimeter grösser als er.

«Ich wollte mit meiner grösseren Frau den Stammbaum verbessern.» Sein «Wunder-Mueti» stellte sieben Kinder auf die Welt und hielt ihm den Rücken stets frei für seine beiden Berufe. «Etwas Besseres als meine Frau hätte ich mir in meinem ganzen Leben nicht erträumen können.» Wagner-Köbi blickt auf ein reiches, farbiges Leben zurück. Seine 7 Kinder haben ihm 19 Enkelkinder geschenkt, und unterdessen ist er zweifacher Urgrossvater geworden.

cs

Veröffentlichung: 28. Juni 2018 / Ausgabe 26/2018

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