Da wird was draus


Dem Neuen verpflichtet: An der Sicam in Pordenone herrscht Workshop-Stimmung. Bild: Christian Härtel


Dem Neuen verpflichtet: An der Sicam in Pordenone herrscht Workshop-Stimmung. Bild: Christian Härtel
Messe. Neue Beschläge und Materialien für Schreiner gibt es jedes Jahr an der Sicam im italienischen Pordenone zu entdecken. Ein Messebesuch lohnt sich deshalb, weil so manche Innovation schon bei der nächsten Möbelmesse in Mailand auftaucht.
Zugegeben, die kleine italienische Stadt Pordenone ist nicht gerade der Nabel der Welt. Einmal im Jahr jedoch, im Oktober, wird der Ort zum Treffpunkt der Möbelwelt. Auch diesen Oktober waren vor allem die Entscheider vor Ort, um mit den 612 Ausstellern aus 34 Ländern die Neuheiten zu sichten und eine Zusammenarbeit für die kommende Materialisierung und Technik von Möbeln und Bauteilen auszuloten. Darunter finden sich so manche Prototypen und Nullserien. Denn die Sicam ist zudem ein wichtiger Ort der Begegnung für die Möbelbranche auf der Suche nach Partnern.
Und mit Pordenone findet die Messe in der so wichtigen Region Friaul-Julisch Venetien statt. Zusammen mit der Lombardei bildet die Region das Herz der italienischen Möbelwirtschaft. Überwiegend wird in den beiden Regionen das hochwertige Interieur für die Welt entworfen und produziert. Laut der Unternehmensberatung Bain & Company soll Italien nach wie vor der grösste Exporteur von Möbeln in der oberen Preisklasse sein. Früher einmal, bevor Deutschland sich vorübergehend knapp an die Spitze geschoben hatte, um schliesslich von China auf der Standspur stehen gelassen zu werden, war Italien auch über viele Jahre unangefochten Exportweltmeister bei den Möbeln insgesamt. Doch diese Zeiten sind vorbei.
«Bei steigender Tendenz ist China mit einem Anteil von 35 Prozent derzeit weltweit der grösste Möbelexporteur, gefolgt von Deutschland mit stabilen 8 Prozent, Italien und Polen mit jeweils 7 Prozent. Seit Jahren auf Wachstumskurs ist Vietnam mit derzeit 6 Prozent Marktanteil. Diese fünf grössten exportierenden Länder erreichen zusammen zwei Drittel am weltweiten Möbelexport», heisst es von der Messe Sicam.
Was bei den nackten Zahlen aber oft nicht beachtet wird: Die italienischen Produzenten sind unangefochten stilprägend für das globale Möbeldesign. Inzwischen wächst auch der Absatz der gesamten Branche wieder, wenngleich nur langsam. Konstant ist dagegen die Spitzenstellung im Designsegment. «Mit einem Anteil von 30 Prozent ist Italien der Spitzenreiter im oberen Marktsegment», teilt die Messe mit.
Wie das zusammenhängt, lässt sich am Beispiel Lateinamerikas zeigen: Auf dem überwiegend spanischsprachigen Kontinent gibt es – von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie etwa der argentinischen Metropole Buenos Aires – kaum eigene entscheidende Impulse im Möbeldesign. An den Kiosken werden Hochglanzmagazine für das Wohnen aus Spanien verkauft. Spanien wiederum orientiert sich traditionell stark am italienischen Design und auch dort sind die Meinungsführer auf Italien ausgerichtet. Und so läuft die Wirkungskette von der norditalienischen Provinz Pordenone mit den Komponenten über die Möbelmesse in Mailand bis in die Millionenstädte Lateinamerikas und anderer Regionen rund um den Globus. Dabei gehört Spanien selbst, übrigens wie auch die Schweiz, zu den wichtigsten Zielmärkten der italienischen Hersteller von Möbeln.
Diese Spitzenstellung der italienischen Kreativen bedingt immer neue Materialisierungen und Beschläge, die Extravagantes sowie Überraschendes ermöglichen. Und auch die Zulieferindustrie sowie viele kleinere Unternehmen der Metallbranche sind in der Region des Clusters Möbelbau in Norditalien beheimatet.
Der Fokus an der Sicam liegt deshalb auf dem designorientierten und gehobenen Bereich. Das wird in Pordenone gezeigt, bevor im darauffolgenden Jahr diese Neuheiten in den ersten Entwürfen für Möbel an der Messe in Mailand auftauchen. Dann staunt nicht nur die Fachwelt. Die Hochglanzmagazine und Blogger berichten mit einer Truppenstärke von 6000 Journalisten aus der lombardischen Metropole über den Nabel des globalen Möbeldesigns.
Die Messebesucher schieben eifrig hin und her, drehen und rütteln an dem wie von Geisterhand geführten Ausziehelement. Zwischendurch gehen die Betrachter auf Tauchstation. Sehen kann man beim Blick unter die Platte jedoch kaum etwas. Dennoch lässt sich mit dem neuen Beschlag «Sestante» die Aufdoppelung einer Abdeckung zweidimensional ausziehen und gleichzeitig x-beliebig fächerhaft drehen. Bei begrenztem Raum schafft der Beschlag so ein Gefühl von räumlicher Grosszügigkeit mit Überraschungseffekt. Das Ganze ist aber nur eine Neuheit von Atim aus Mailand. Das Unternehmen hat gleich mehrere neue Beschläge für die Wandlungsfähigkeit von Möbeln gezeigt, darunter auch erstaunlich lange Ausziehtischbeschläge, die bei Nichtgebrauch komplett hinter dem Schubkastendoppel verschwinden. Ausgezogen bietet dieser im Handumdrehen einen gebrauchsfähigen Tisch. Dort, wo er bei der normalen Küchenarbeit stören würde. Dazu sind die Standbeine auch mit integriert, die sich zum Verstauen einklappen lassen.
Hautematerial nennt sich die Werkstoffmanufaktur unweit der Schweizer Grenze nördlich von Sondrio. Diese empfiehlt sich als Partner für Materialisierungen in besonderen Holzvarianten. Darunter findet sich auch die immer beliebter werdende angekohlte Oberfläche. Doch damit nicht genug bietet Hautematerial durch kontrolliertes Feuer und weitere Bearbeitungen neben verkohlter Oberfläche von Altholz in Tanne drei Stufen angekohlten Holzes. Dabei tritt die typische Rissbildung durch die Feuereinwirkung ganz unterschiedlich zutage – vom normalen Bild bis zu einem Bild mit unterschiedlichen Strukturen. Bei dieser feinen Oberfläche wirkt das Holz wie ein Brandbild in Miniaturausgabe. Ebenfalls eine Besonderheit sind die in Epoxidharz gegossenen Hirnholzplatten. Je nach Farbgebung sind die unterschiedlich breiten Fugen auch hinterleuchtbar.
Check Up aus dem venetischen Codognè entwickelt nach eigenen Angaben integriertes und kundenspezifisches elektronisches Design. Darunter auch Geräte für den Möbelsektor – vor allem Luftverbesserer. Der kleine «Aircub» soll die Luft durch einen ionisierenden und ozonisierenden Prozess von gesundheitsschädlichen Stoffen wie VOC, Bakterien, Viren, Schimmelpilzen und allergenen Substanzen reinigen. Das Gerät, etwa für die Montage im Schrankinneren, verströmt zudem leicht parfümierte Luft. Das Ganze lässt sich mit dem Smartphone steuern, mithilfe dessen man die Luftqualität überwachen kann. Besonders raffiniert kommt die Funktionsweise von «Itair» daher. Was wie eine in ein Möbel integrierte Topfpflanze aussieht, hat dieselbe Funktion und Steuerungsmöglichkeit. Jedoch enthält der elektronische Blumentopf keinen Dufterzeuger, sondern eine Zwangslüftung im Wurzelbereich, mithilfe derer sich die natürliche Reinigungsarbeit der Grünpflanze exponentiell verstärken soll. Das System funktioniert laut Hersteller mit 21 verschiedenen Pflanzenarten.
Der Hersteller von Möbelkomponenten Fiam präsentierte eine besondere Kompetenz: die Ummantelung von Aluminiumprofilen mit Furnier. Dadurch sind Konstruktionen und Verbindungen möglich, die aus Holz oder Holzwerkstoffen nur schwer zu realisieren wären. Neben der eigenen Kollektion des Tochterunternehmens agiert der Zulieferer auch als Partner für andere Möbelproduzenten.
Der renommierte Beschlaghersteller Salice hat sich zum Komplettlieferanten für Zubehör und Beschläge von Kleiderschränken aufgeschwungen. Neben den funktionalen Beschlägen wie Auszügen, Stangen und Liften, bietet Salice nun auch die passenden Bügel, Einschübe und Aufbewahrungsboxen in edler Ausführung an. Das Sortiment ist umfänglich und beinhaltet auch Kleidersäcke aus Baumwollgewebe, Hosen- und Schuhträger bis hin zu Trägern für Uhren und Schmuck. Die Komponenten sind aus einem Guss, was dem Anspruch einer gehobenen Ausstattung gerade bei begehbaren Kleiderschränken entspricht. Bei den Neuheiten im Bereich der funktionalen Beschläge fielen vor allem die deutlich an Laufruhe und Geschmeidigkeit verbesserten «Mover» und «Mover Flat» auf. Mit den senkrechten Schiebetürbeschlägen kann die Tür in jeder Position angehalten werden. Dazu sind weder doppelte Seitenwände nach Gegengewichte vonnöten. «Mover Flat» verschliesst offene Regalflächen von unten nach oben laufend und ist im geöffneten Zustand kaum sichtbar. Die maximale Breite der Tür beträgt stolze 2400 Millimeter.
Als ein Star für die Messebesucher entpuppte sich der Seilklappenbeschlag «Kiaro» von Italiana Ferramenta. Im Gegen- satz zu den Modellen anderer Hersteller ist «Kiaro» dieser im Inneren des Korpusses nur durch eine auffallend unauffällige, weil schmale Abdeckung zu sehen. Links wie rechts verwendbar, soll der Beschlag auch für schwere Möbelklappen einsetzbar sein. Ermöglicht wird die Schlankheit, weil die Technik mit Dämpfer in einem dünnen Gehäuse hinter der Rückwand am Korpus untergebracht ist. Deshalb läuft die Führung bis an die Rückwand, wo das Seil mittels Bohrung und Hülse durch die Rückwand durchgeführt wird. Die Einstellung des Öffnungswinkels erfolgt von innen. Optional soll «Kiaro» auch mit einer integrierten LED-Beleuchtung erhältlich sein.
Neue Designs für das kommende Jahr zeigte der Hersteller keramischer, mit spezieller Sintertechnik hergestellten «Neolith»-Platten. Eine Besonderheit: Die Produkte das spanischen Unternehmens sind durchgängig gleich im Erscheinungsbild, sodass die Keramik auch an der Kante mit identischer Optik punktet. Die Platten werden bis zu einer Grösse von 3200 × 1500 Millimetern und einer Stärke von 12 Millimetern hergestellt. Einsatzgebiete sind Küchen- und Bademöbelabdeckungen, Waschtische, Wannen- oder Duscheneinfassungen und Bodenbeläge oder Wandverkleidungen im Innen- und Aussenbereich. Neue, interessante Designs sind neben Beton- und Metallvarianten auch die Terrazzo-Nachbildung «Venice Midnight» sowie die Steindesigns «Mont Blanc» oder «Mar de Plata».
Man sieht nichts, und trotzdem bewegt sich die Schiebetür. Der Beschlag dazu heisst «Magic 2» und kommt vom italienischen Hersteller Terno Scorrevoli. Der mit einem Dämpfer ausgestattete Beschlag eignet sich standardmässig für Schiebetüren bis 40 Kilogramm Gewicht, bis zu 80 Kilogramm sind möglich. Die unsichtbare Führung ist eine Mischung aus hängender und stehender Konstruktion. Die Schiene wird am Türblatt befestigt, während der Laufwagen an der Wand montiert wird.
Der japanische Beschlaghersteller Sugatsune setzt seinen Fokus auf Nischenlösungen und Besonderheiten. Dazu gehört etwa ein Dämpfungsbeschlag für Thekenklappen, der ein immer wieder auftretendes Problem in der Gastronomie zuverlässig löst. Ein Herunterfallen der Theken- klappe für einen Durchgang erfolgt so ohne Geräusch. Besonders tragfähige Topfbänder, von welchen drei Stück auch für schwere Möbeltüren ausreichend sind, gehören ebenfalls mit zum Programm. Besonders ist auch der Türdämpfer, mithilfe dessen ein Zuschlagen einer Zimmertür nicht mehr möglich ist. Der Beschlag für stumpf einschlagende Türen wird oben am Türblatt weitestgehend verdeckt eingelassen. Ein Stück der Kante muss jedoch durchgefräst werden, damit der auskragende Dämpferarm seinen Dienst verrichten kann. Dieser stösst beim Schliessen der Tür an einen Zapfen im Rahmen und verhindert so ein Zuknallen. Stattdessen schliesst die Tür selbsttätig und sanft dank des integrierten Selbsteinzugsmechanismus. In der Schweiz hat das Unternehmen derzeit keinen Vertriebspartner. In Deutschland werden die Produkte über Häfele vertrieben.
Das Labeling der Produkte ist je nach Unternehmen ein wichtiger Erfolgsfaktor. An jeder Schublade taucht der Hersteller mit seinem Label auf. Schreiner nutzen diese Form nur selten. Ein Dienstleister für die Produktion solcher selbstklebenden Kennzeichnungen ist Seriart G2. Die Labels können aus Metall, Kunststoff und Verbundmaterialien sein. Insgesamt bietet Seriart G2 vier verschiedene Materialien für das Labeling an. Drei davon sind flexibel, sodass diese auch auf gewölbten Flächen angebracht werden können. Gegenüber den Einflüssen von Licht und Witterung sind diese laut Hersteller beständig. Zu den Kunden des italienischen Dienstleisters gehören auch bekannte Unternehmen der Branche wie Electrolux, Valcucine oder Franke.
Veröffentlichung: 08. November 2018 / Ausgabe 45/2018
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