Das Fenster und das Raumgefühl

Forschung.  In Immobilieninseraten werden Objekte oft als «hell» und «offen» angepriesen. Lassen sich also Immobilien mit möglichst grossen Fenstern am besten vermarkten? Die Hochschule Luzern hat dazu eine Studie durchgeführt, mit überraschendem Ergebnis.

Fenster spielen bei der Raumbelichtung eine zentrale Rolle. Dass grosse Fenster heller wirken als kleine, ist allgemein bekannt. Weitestgehend unbekannt ist hingegen, welchen Einfluss Fenstereigenschaften wie Rahmenprofil, Rahmenmaterial, Fensterposition und Fensterformat auf die Helligkeitswirkung haben. Mehr noch: Können weitere Wirkungen in der Wahrnehmung der Benutzer, wie zum Beispiel «frei» und «geborgen», auf spezifische Fenstereigenschaften zurückgeführt werden? Welches ungenutzte Wahrnehmungspotenzial steckt im Bauteil Fenster? Welchen Beitrag kann es zum ökonomischen und ökologischen Erfolg von Wohnimmobilien leisten? Diesen Fragen ist Dominic Haag-Walthert, Professor für Innenarchitektur an der Hochschule Luzern (HSLU), nachgegangen.

Umfragen statt Messwerte

Visuelle Qualitäten eines Raumes wie Lichtmenge, Lichtfarbe oder Blendung können mit den entsprechenden physikalischen Instrumenten gemessen werden. Dies sagt aber nichts darüber aus, wie der Raum vom Betrachter empfunden wird. Um Informationen über die Wirkung eines Raumes oder von Raumelementen zu erhalten, muss man die Nutzer direkt befragen.

Dominic Haag-Walthert befragte in der Studie über ein digitales Umfragetool 71 Personen in einem ersten Schritt zu den Aspekten des Fensterrahmens. Total 56 Probanden schlossen die Untersuchung ab. Der Frauen- und Männeranteil lag bei je 50 %. Den Testpersonen wurden 3D-Visualisierungen vorgelegt, die sie in ihrer Wirkung beurteilen mussten. Im Gegensatz zu einer Versuchsanordnung im realen Raum konnten dadurch gleichbleibende Lichtbedingungen garantiert werden. Der Raum war gegen Süden ausgerichtet und mit direkter Sonneneinstrahlung versehen, damit die Körperlichkeit des Rahmens mit der Laibung gut sichtbar wurde. Das digitale Bild wurde auf Augenhöhe des Betrachters aufgenommen, mit einem Blickwinkel von 45° auf das Objekt. Die Innenwände des Raumes waren neutral weiss angelegt und als Aussicht wurde eine ortsübliche Landschaft mit grossem Naturanteil gewählt.

Aussenliegende Fenster wirken wärmer

Gesamthaft wurden sechs verschiedene Farbvarianten des Fensterrahmens und der Laibung untersucht: Von deckend Weiss über eine helle und dunkle Holzfarbe bis hin zu einem metallischen Grau und einem deckenden Schwarz (siehe Bild auf Seite 30) . Erweitert wurde die Auswahl durch eine ungewöhnliche Variante mit satter, rotglänzender Laibungsfarbe. Jede der Farbvarianten war in zwei Laibungspositionen dargestellt, wand-innenbündig und wand-aussenbündig. Folgende drei Erkenntnisse gehen aus der Untersuchung hervor:

  • Rahmenfarben mit Rot/Braun-Anteilen bewirken den «wärmsten» Raumeindruck (Fenster 3a/3b sowie 4a/4b und 6a)
  • Je dunkler die Farbe eines Fensterrah- mens, desto «härter» wirkt der Raum (Ausnahme Weiss). Und dies unabhängig von der Rahmen- und Futterbreite be- ziehungsweise -tiefe.
  • Fenster in einer aussenfassadebündigen Position wirken «wärmer» als innen- bündig positionierte Fenster. Dies unabhängig ihres Farbtons (Ausnahme Schwarz).

Diese Erkenntnisse sind doch erstaunlich, da auch eine formale Eigenschaft des Fensterrahmens – die Laibungsposition – und nicht nur eine Farb- oder Oberflächeneigenschaft zu einer Veränderung der Wärmewirkung führt. Den Grund dafür können die Experten zu diesem Zeitpunkt nur vermuten und er ist Teil einer weitergehenden Untersuchung.

Eine mögliche Erklärung wäre, dass eine massivere Innenfassade, erzeugt durch die innenliegende Fensterlaibung, die grössere Wärmeempfindung bewirkt. Es wird auch vermutet, dass die zusätzliche Reflexionsfläche des Sonnenlichts auf der Laibung die grössere Wärmewirkung unterstützt.

Position und Format des Fensters

In der zweiten Versuchsanordnung fokussierten sich die Forscher auf das Fensterformat und die Fensterposition im Raum. Diese Befragung schlossen 47 Teilnehmer ab.

Die digitalen Visualisierungen zeigen einen nach Süden ausgerichteten Raum unter gleichbleibenden, diffusen Lichtbedingungen. Der Augpunkt befindet sich diesmal in nahezu frontaler Position zum Untersuchungsobjekt auf Augenhöhe beim Betreten des Raumes. Die Fensteröffnungsgrösse wurde gemäss den gesetzlichen Vorschriften auf 10 % der Bodenfläche des 15 m2 grossen Raumes festgelegt.

Die Experten untersuchten decken- und bodenbündig, links, rechts oder mittig positionierte Fenster. Ebenfalls getestet wurden unterschiedliche Fensterformate: Ein Format mit den Kantenlängen im goldenen Schnitt, eines mit langgezogenem Querformat von Wand zu Wand sowie eines mit Hochformat vom Boden bis zur Decke (siehe Bilder auf Seite 28) .

Stehend heller, oben geborgener

Die Resultate zeigen, dass stehende Fenster eine klar «hellere» Wirkung entfalten, egal in welcher Wandposition sie sich befinden. Dagegen wirken liegende Fenster signifikant «dunkler» (die Abbildungen sind online) . Das Bandfenster schneidet also bezüglich der Helligkeit klar schlechter ab als ein aufrechtes Fenster mit gleicher Fensterfläche.

Je ungleicher die Kantenlängen einer Öffnung, desto grösser wird der Gegensatz von «frei/geborgen» zwischen liegendem und stehendem Fenster.

Über die Ursachen können die Experten zum jetzigen Zeitpunkt wiederum nur spekulieren: Sie vermuteten, dass die Annäherung des Fensters an ein Türformat beim stehenden Fenster einen Raumausgang erkennen lässt und damit der «freiere» Raumeindruck entsteht.

Interessantes offenbart auch der Vergleich der oberen und unteren Fensterpositionen: Obwohl sie in der Tendenz gleich hell wirken, schneidet das an der oberen Raumkante positionierte Fenster «geborgener» ab und dies bei allen Fensterformaten. Man geht davon aus, dass der stärkere visuelle Abschluss auf der Höhe des Körpermittelpunktes des Betrachters die grössere «geborgene» Raumwahrnehmung entstehen lässt.

Wissensfortschritt und Fazit

Gemäss der vorliegenden Untersuchung erzielen also primär hochformatige Fenster eine «offene» und «helle» Raumwahrnehmung. Ein noch besseres Resultat ist messbar, wenn diese in der Wandmitte positioniert sind und ihre Massverhältnisse möglichst nah an einem Türformat liegen.

Das Fenster weist dabei immer die gleich grosse Öffnungsfläche auf, und damit die annähernd gleichen Wärmeverluste und

-lasten. Eine hellere Wirkung je nach Format und Position kann also einen energetischen Gewinn bedeuten, denn durch die bessere wahrnehmungszentrierte Nutzung des Tageslichts lässt sich auch mit kleineren Fensterflächen ein angenehmes Raumgefühl erzielen.

Ein zweiter energetischer Gewinn liegt in der Beeinflussung der Raumwirkung durch das Fensterrahmenmaterial und die Laibungsposition: Räume mit innenliegenden Fensterlaibungen wirken wärmer als solche mit bündiger Innenfassade. Die Rahmenfarbe im Rot/Braun-Bereich unterstützt die höhere Temperaturempfindung und ist somit ein Potenzial zur Einsparung von Heizkosten. Wie gross diese Gewinne effektiv ausfallen, wollen die Forscher ebenfalls in einer Folgestudie eruieren. In der spezifischen Gestaltung der Innenraumwirkung liegt also noch grosses Potenzial.

www.hslu.ch

Zur Person

Autor Dominic Haag-Walthert ist Pro- fessor für Innenarchitektur an der Hochschule Luzern (HSLU) und Inhaber des Architekturbüros Haag Wagner in Luzern/Zürich.

www.haagwagner.ch

dhw

Veröffentlichung: 27. August 2015 / Ausgabe 34/2015

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