Das Gute wächst so nah


436 Mio. Bäume stehen im Schweizer Wald. Pro Einwohner sind das fast 64 Bäume. Bild: Alessandro Della Bella (Lignum)
436 Mio. Bäume stehen im Schweizer Wald. Pro Einwohner sind das fast 64 Bäume. Bild: Alessandro Della Bella (Lignum)
Schweizer Holz. In den hiesigen Wäldern steht ein gewaltiger Holzvorrat, jedes Jahr wachsen zehn Millionen Kubikmeter dazu. Genutzt wird aber nur ein Teil davon. Woran das liegt und welche Holzprodukte überhaupt aus Schweizer Holz erhältlich sind, zeigt ein Ausflug ins Gehölz.
Durch die aussergewöhnliche Lage der letzten Wochen haben viele von uns den Wald auf ganz neue Weise entdeckt. Er ist in der Corona-Krise einer der wenigen Erholungsräume, die noch geblieben sind. In dieser grünen Oase wächst, worauf unsere Gesellschaft gebaut ist. Denn das Holz zählt zu den ältesten von den Menschen genutzten Werkstoffen überhaupt. Bereits in der Altsteinzeit wurde es als Bau- und Werkzeugmaterial intensiv genutzt. Seit diesen ersten Annäherungen sind über 2,5 Millionen Jahre vergangen, und ein Ende der Holznutzung ist nicht absehbar.
Betrachtet man die gesamte Landesfläche, so sind 32 Prozent davon mit Wald bedeckt. Das entspricht 1,31 Millionen Hektaren. In dieser grünen Lunge steht ein gewaltiger Vorrat an Holz. 427 Millionen Kubikmeter, um genau zu sein. Aufgeteilt in 67 Prozent Nadelholz und 33 Prozent Laubholz.
Erwin Rebmann kennt den Wald bestens. Der mittlerweile pensionierte Regionalförster war lange Jahre Geschäftsführer der Lignum Holzkette St. Gallen, der regionalen Vertretung von Lignum Schweiz. «Die Fichte ist nach der Tanne das wichtigste Nadelholz in unseren Wäldern. Bei den Laubhölzern ist die Buche mit 18 Prozent am stärksten vertreten. Ihr folgen Esche, Ahorn, Eiche und Kastanie.» Doch der Wald befindet sich im Umbauprozess: «Klima, Ökologie und Naturereignisse führen dazu, dass der Anteil der Fichte zugunsten des Laubholzes abnimmt. In Zukunft müssen wir also damit rechnen, dass mehr Laubholz auf den Markt kommt», erklärt Rebmann. Auch andere Faktoren verändern die Baumbestände. Infolge der Ulmenwelke, einer Pilzkrankheit, seien die Ulmen in der Schweiz fast verschwunden. Ein ähnliches Schicksal drohe derzeit der Esche: «Es wäre deshalb sinnvoll, die Esche in nächster Zeit vermehrt zu verbauen», rät Rebmann weiter.
Nicht nur die Esche, sondern der ganze Schweizer Holzvorrat will vermehrt genutzt werden. Denn neben den aktuellen Beständen wachsen jedes Jahr 10 Millionen Kubikmeter neues Holz heran. Die Berner Fachhochschule in Biel BE errechnete den jährlichen Holzverbrauch der Schweiz. Dieser liegt, inklusive Import-Holz, bei fast 11 Millionen Kubikmetern. Eine Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) zeigt, dass in der Schweiz jährlich 7 bis 9 Millionen Kubikmeter Holz geerntet werden könnten, ohne die Nachhaltigkeit der Wälder zu gefährden. Die Studie sagt aber auch, dass im Jahr 2018 nur 5,2 Millionen Kubikmeter Holz geschlagen wurden. Also einiges weniger, als möglich wäre. Warum brauchen wir nicht, was vor unserer Tür in rauen Mengen vorhanden ist? Laut Michael Gautschi, Direktor von Holzindustrie Schweiz, der Dachorganisation der Schweizer Säger und verwandter Holzindustrie-Betriebe, gibt es verschiedene Gründe dafür: «Nicht alles Holz, das nachwächst, kann auch geerntet werden. Das liegt zum Beispiel daran, dass wir in der Schweiz viele unzugängliche Lagen haben. Das Gelände ist zu steil, nicht erschlossen, und es lohnt sich schlicht nicht, eine Seilwinde anzubringen, um das Holz abführen zu können.» Auch aus ökologischen Gründen kann die Waldbewirtschaftung eingeschränkt sein wie in Auenwäldern, an den Ufern von Gewässern oder an den Waldrändern. Zudem gebe es viel Holz, dessen Qualität nicht interessant für die Ernte sei: «Infolge der geringen Rentabilität der Forstwirtschaft werden die Pflegerückstände im Schweizer Wald immer grösser, die Bäume werden immer älter, und die Holzqualität nimmt ab. Die Sturm- und Käferschäden nehmen zu. Das Holzangebot ist aus diesen Gründen für hochwertige Anwendungen limitiert und nimmt tendenziell weiter ab. Andererseits nimmt die Nachfrage nach ökologischen Baustoffen stetig zu. Das ist ein Widerspruch», bilanziert Gautschi.
Es spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle: «Die Schweiz muss sich mit den Holzpreisen auf einem globalen Markt behaupten, was alleine schon mit der anhaltenden Frankenstärke schwierig ist. Dazu kommen die höheren Ernte-, Transport- und Lohnkosten, die bei der Konkurrenz aus Deutschland, Österreich und aus den nordischen Ländern weniger ins Gewicht fallen», sagt Gautschi. Es sei darum ein grosses Anliegen, die Produktionskosten attraktiv zu halten. Über den Preis werde zwar viel entschieden, es gebe aber noch andere Argumente, die für den Kauf von Schweizer Holz sprechen, sagt Gautschi. Zu diesen Softfaktoren zählen die kürzeren Transportwege, die regionale und lückenlos nachvollziehbare Wertschöpfungskette und der Erhalt von Arbeitsplätzen in der Schweiz. Solche Faktoren scheinen wieder mehr Gewicht zu bekommen. Gautschi beobachtet, dass die Einschnitt- und Absatzmengen von Schweizer Holz, die in den letzten Jahren rückläufig waren, sich mittlerweile stabilisiert haben.
Bund, Kantone und Gemeinden haben ebenfalls ein Interesse daran, das Holz aus den eigenen Wäldern zu fördern, schliesslich gehören ihnen 71 Prozent der gesamten Waldfläche. 2009 rief er den Aktionsplan Holz ins Leben. Der Plan sieht vor, dass Holz aus Schweizer Wäldern nachhaltig bereitgestellt, ressourceneffizient verarbeitet und verwendet wird. Gesteuert wird der Plan vom Bafu. Ein Begleitausschuss aus Vertretern der Wald- und Holzwirtschaft, der Kantone, der Naturschutzorganisationen und der Immobilienbranche berät dabei das Bafu in strategischen Fragen. Jährlich stehen rund vier Millionen Franken für Projekte zur Verfügung, die sich mit dem Rohstoff Holz und seiner Verwertung auseinandersetzen. Bekanntes Beispiel sind die Woodvetia-Holzstatuen, die in der ganzen Schweiz zu sehen waren.
Um generell mehr Transparenz in den Holzmarkt zu bringen, hat 2012 das Eidgenössische Büro für Konsumentenfragen (BFK) in der Schweiz die Verordnung über die Deklaration von Holz und Holzprodukten eingeführt. Sie schreibt vor, dass alle Produkte aus Holz mit der Holzart und der Holzherkunft bezeichnet werden müssen. Das gilt für Rund- und Rohhölzer, für Holzwerkstoffe und für bestimmte Holzprodukte aus Massivholz. Alle Personen, die Holz und Holzprodukte an Konsumenten abgeben, sind seither verpflichtet, diese Angaben zu machen. Damit sollen die Konsumenten für Schweizer Holz sensibilisiert und die Transparenz erhöht werden.
Wem das nicht genügt, kann zudem auf das Label Schweizer Holz achten. Das rote Siegel für Holz ist mit dem Schweizer Pass zu vergleichen. Es ist ganz klar geregelt, wer den Stempel tragen darf und wer nicht. Das Label wird seit 2009 von Lignum, der Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, vergeben. Es garantiert die Herkunft des Holzes aus hiesigen und liechtensteinischen Wäldern. Ist das Produkt aus verschiedenen Hölzern zusammengesetzt, müssen mindestens 80 Prozent aus der Schweiz stammen. Eine Ausnahme bilden dabei Span- und Faserplatten sowie Pellets. Bei diesen Produkten muss der Anteil an Schweizer Holz bei 60 Prozent liegen. Das restliche Holz, das in diesen Produkten enthalten ist, muss aus Ländern mit vergleichbaren Produktionsbedingungen stammen.
Unternehmen, die Schweizer Holz verarbeiten oder damit handeln, können sich mit dem ganzen Betrieb oder auch nur mit gewissen Produktelinien für das Label zertifizieren lassen. Die Brühwiler Sägewerk AG und die Brühwiler Fensterholz AG tragen dieses Siegel bereits seit einigen Jahren. Das Familienunternehmen unter der Leitung von Maria Brühwiler hat sich auf Nadelholz spezialisiert. Im Sägewerk in Wiezikon TG verarbeitet es pro Jahr im Schnitt 15'000 Festmeter Nadelrundholz aus heimischen Wäldern zu Produkten für die Baubranche und die Verpackungsindustrie. Zusätzlich kauft es pro Jahr rund 10'000 Kubikmeter Schnittware aus dem Ausland für die Brühwiler Fensterholz AG ein. Schon auf der Website ist klar ersichtlich, welche Produkte aus Schweizer Holz stammen.
Maria Brühwiler glaubt an ein grösseres Potenzial von Schweizer Holz, obwohl es je nach Produkt etwa 20 bis 30 Prozent teurer als Importholz sei. Allerdings können Schweizer Fichten und Tannen bei gewissen Qualitätsansprüchen nicht mithalten: «Viele Kunden wünschen sich für ihre Fassade oder für ein Innentäfer ein feinjähriges Nadelholz mit einem regelmässigen Astbild. Solche Bäume wachsen aber fast nicht in unseren Wäldern. Wer solches Holz will, muss es in Skandinavien suchen. Dort können die Bäume in den weiten Ebenen höher und gerader wachsen und bilden wegen der langen Winter eine feinere Maserung.» Natürlich finde man auch in der Schweiz solche Stämme, aber für grössere Aufträge werde es dann schnell mal eng. Sie appelliert ganz generell an die Kunden, häufiger nach Schweizer Holz zu fragen, denn wenn die Nachfrage steige, könne auch das Angebot weiter ausgebaut werden.
Dieser Meinung ist auch Ulrich Bernegger. Er vertreibt mit seiner Firma Hobau Parkett in Salez SG Parkett, Türen, Möbel, Wand- und Deckenverkleidungen und setzt sich mit viel Herzblut für den Schweizer Rohstoff ein. «Es fehlen noch die guten Verkäufer, die dem Endkunden aufzeigen, dass nahezu alle Projekte mit Schweizer Holz machbar sind», sagt er. Nur wer verstehe, wie wichtig der Wald sei, könne sich für dessen Werkstoff richtig einsetzen.
Der Holzwerkstoffanbieter Herzog-Elmiger AG aus Kriens LU hat kürzlich entschieden, neu dem Label Schweizer Holz beizutreten. «Wir finden das eine gute Sache und würden auch gerne unser Portfolio mit Schweizer Holz vergrössern», sagt Roman Odermatt, Leiter Marketing und strategischer Einkauf bei der Herzog-Elmiger AG. Allerdings gingen dem Beitritt zähe Verhandlungen voraus. Der Werkstoffhandel sei zu wenig in das Label integriert, sagt Odermatt. Er erklärt es an einem Beispiel: «Wir haben in unserem Sortiment Furnier von bester Qualität, das aus Schweizer Holz stammt. Laut Reglement des Labels Schweizer Holz dürften wir dieses Furnier aber nicht mit dem roten Stempel versehen, weil es in Süddeutschland gemessert wird.» In der Schweiz gebe es kein Furnierhersteller mehr, man sei zu diesem Schritt gezwungen. Bei Herzog-Elmiger wünschte man sich da, wo Schweizer Produzenten fehlen, eine liberalere Sichtweise.
Auch bei den Werkstoffplatten gestaltet sich die Situation nicht ganz einfach. Die Schweiz hat in den letzten Jahrzehnten viele Produzenten ans europäische Ausland verloren. Der letzte grosse ist Swiss Krono in Menznau LU, die Span- und MDF-Platten aus Schweizer Holz herstellt und damit das Label tragen darf. Silvia Furlan, Präsidentin des Fachverbands Holzwerkstoffe Schweiz (HWS), kennt die Werkstoffhandelsbranche gut. Sie weiss, dass den vielen Familienunternehmen, die im Holzhandel tätig sind, das Schweizer Holz sehr am Herzen liegt. «Allerdings sieht die Realität so aus, dass die Nachfrage im Markt mit Schweizer Holz alleine nicht bedient werden kann», sagt Furlan. Es sei aber erfreulich, zu sehen, dass Schweizer Holz zunehmend in der Holzbaubranche nachgefragt werde.
Zum Label Schweizer Holz sagt sie: «Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass ein Label seine Zeit braucht, bis es beim Endverbraucher ankommt. Viele Kampagnen waren nötig, bis das 1993 gegründete FSC-Zertifikat, das Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft auszeichnet, bekannt wurde. Heute ist es den meisten ein Begriff und hat seinen festen Platz in der Gesellschaft.»
Gut Ding will also Weile haben. So bleibt zu hoffen, dass die vielen Waldspaziergänge der letzten Wochen eine nachhaltige Wirkung auf die Schweizerinnen und Schweizer haben werden. Denn nicht nur wir Menschen wollen jung und fit bleiben, auch dem Wald tut eine Verjüngungskur gut.
www.fensterholzag.ch
www.hobau-parkett.ch
www.herzog-elmiger.ch
www.konsum.admin.ch
www.lignum.ch
www.holz-bois-legno.ch
www.holz-bois.ch
www.hwsschweiz.ch
Veröffentlichung: 07. Mai 2020 / Ausgabe 19/2020
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