Das Haus auf dem Hügel

Mittels sanfter Renovierung ergeben alte und neue Elemente ein harmonisches Bild. Bild: Wagner +  Boss GmbH

Ökologie.  Am Rande des Emmentals, im beschaulichen Alchenstorf, stand auf einem grünen Hügel ein Bauernhaus. Nun ist es ein Mehrfamilienhaus. Sechs Wohnungen sind darin unter- gebracht. Die mehr oder weniger sanfte Renovierung geschah nicht nur aus Idealismus.

Man hätte das Haus durchaus auch abbrechen und neu bauen können. Doch dann hätten die Bauvorschriften eine derartige, dreistöckige, Bauhöhe verunmöglicht. Auch die Gebäudelänge hätte nicht wie geplant ausgeführt werden können. Das weiss Christoph Wagner zu erzählen. Seine Firma, die Wagner + Boss GmbH, ist in diesem Projekt nicht nur planende und ausführende Zimmerei, sondern auch Bauherrin. Es ist dies für die in Thunstetten BE beheimatete Firma das grösste Projekt der Firmengeschichte, deshalb findet es auch Eingang ins Palmares auf der Firmen-Website.

Durch Vorlieben getrieben

Doch die Bauvorschriften waren nicht der einzige Grund, die gegen einen Abbruch des altehrwürdigen Gebäudes und für einen Umbau sprachen. Der lokal verankerte Baustil sowie die Vorlieben von Wagner + Boss für derartige Bauten sind weitere Gründe. Auch Ökologie spielt eine Rolle. Das Oberaargauer Unternehmen hat in der Vergangenheit nämlich manch ähnliches Projekt erfolgreich bewältigt, manch neue «Boutique»-Wohnung in einem bestehenden Gerüst aus währschaften Balken aufblühen lassen. Der rote Faden ist bei den diversen Bauten jeweils ersichtlich: Die Macher lassen bewusst das eine oder andere stehen und setzen das Holz aus dem Rückbau an anderen Orten des Umbaus wieder ein. Zum Teil konstruktiv, meist aber einfach dekorativ. Dieses Vorgehen ist nicht nur bezeichnend, es ergibt auch Sinn in Bezug auf die Ökologie.

Bestehendes behalten

Im Fall des Bauernhauses auf dem Hügel wurde im Parterre eine gelbliche Backsteinmauer belassen, die ähnlich an manchen Häusern aus der Region zu bewundern ist. Ebenso liessen die Erbauer den Betonkern stehen, der sich durch die Länge des Gebäudes hindurchzieht. Auch die Querstreben aus Beton wichen nichts Neuem, sondern wurden sorgsam umbaut. Nicht zuletzt steht die ganze Gebäudestruktur aus Balken noch da, wo sie schon eine halbe Ewigkeit gestanden hat. Sie bildet das Gerüst für ein modernes Innen- und Aussenleben. Beides schmeichelt dem Auge und hat auch in technischer Hinsicht einiges zu bieten.

Neues schaffen

Die hinterlüftete Fassade schliesst mit einer Aussenschalung aus unbehandelten, 21 mm dicken Douglasien-Brettern ab. Das Holz hierfür stammt von der Sägerei Ammon und Cie AG aus dem unweit gelegenen Huttwil, ist also aus Schweizer Herkunft und hat nur kurze Transportwege hinter sich. Die südseitig gelegene Flanke des Satteldachs wurde mit Sonnenkollektoren ausgestattet. Diese füllen die Konturen des Daches vollständig aus, sind dadurch schön integriert und sorgen dafür, dass das Haus fast energieautark funktionieren kann. Auch die Dachfenster sind vollständig integriert, sie passen sich den Solarmodulen an, haben exakt die Grösse eines einzelnen Moduls. Für ihre Fertigung war die Wenger Fenster AG aus Wimmis bei Thun BE verantwortlich. Es ist unter anderem eine ihrer Spezialitäten, solche Dachfenster in Solaranlagen einzubetten, sodass von aussen nur schwach ersichtlich ist, wo sich Glas und Rahmen befinden.

Integrierte Dachfenster

Die Wenger Fenster AG unterteilt ihre Dachfenster in zwei grundsätzliche Typen: Dachfenster individuell und Dachfenster Solar. Bei den «solaren» Dachfenstern wiederum gibt es etliche Typen, die jeweils auf gängige Solarmodule abgestimmt sind. So führt das Unternehmen beispielsweise ein Fenster im Köcher, das mit dem «Sunskin roof» von Eternit funktioniert. In vorliegendem Fall waren es die «MegaSlate»-Solarmodule von der Firma 3S aus Thun, die ergänzt werden mussten. Ein Modul, beziehungsweise ein Feld misst hier 1300 × 875 mm, der unten liegende Klappflügel hat ein Lichtmass von 940 × 565 mm. Die Dreifachverglasung besteht aus unterschiedlichen Scheiben. Auf der Innenseite setzen die Fenstermacher ein VSG ein, in der Mittellage sowie als Aussenglas ein ESG. Ein elektrisch bedienbares Wabenplissee rundet das Dachfenster auf der Innenseite ab.

Holz-Beton-Decke

Die Geschossdecken sind als Brettstapeldecke beziehungsweise als Holz-Beton-Verbunddecke ausgeführt. Dafür kam das relativ neue «Shark»-System von der Sidler Holz AG aus dem aargauischen Oberlunkhofen zum Einsatz, das gemeinsam mit der ETH Zürich entwickelt worden ist. Die 8 m überspannende Brettstapeldecke besteht aus 16 cm hohen Fichtenholzlamellen, die in der Breite verdübelt und in der Länge teilweise mittels Keilzinken zusammengefügt worden sind. Sie wurden in tonnenschweren Elementen auf die Baustelle geliefert. Jedes Element erhielt an seiner Oberseite bereits die für das System typischen Mikrokerven eingefräst. Mikrokerven, das sind eine Art Haifischzähne mit leichtem Hinterschnitt – auf den Zehntelmillimeter genau. An ihnen kann sich der Beton «festkrallen», nachdem er auf dem Bau darauf gegossen wird. Die Neuheit an den Mikrokerven: Die Fügung von Holz und Beton geschieht schraubenlos, erspart damit Arbeit und Material. Und im Vergleich zu einer konventionellen Schubkerve ist die 4 mm tiefe Mikrokerve auch einfacher herzustellen.

Attraktiver Innenausbau

Zwei Wohnungen sind bereits fertiggestellt, vier weitere werden zu Beginn des nächsten Jahres folgen. Die zwei innen ausgebauten Wohnungen sind grosszügig gehalten. Bei der einen Wohnung dominiert die Eiche. Sie bedeckt nicht nur den Boden, sondern gleich auch die Front der Kücheninsel. Hier wurde das Parkett von der Waagrechten in die Senkrechte geführt. Küchenrückwand und Schränke sind in sanftes Grün getüncht. Die Brettstapeldecke ist in Sichtqualität ausgeführt. Das bedeutet, dass hier das massive, verdübelte Schweizer Fichtenholz sichtbar wird. Im Moment ist das Holz der Decke noch heller als das entlang der Aussenwände verlaufende Fachwerk. Doch bald wird es wohl nachdunkeln und eine Farbe annehmen, die derjenigen des Fachwerks gleicht.

Bei der zweiten fertiggestellten Wohnung hat man viel des vom Rückbau anfallenden Altholzes wieder eingesetzt. Die Brettstapeldecke ist hier in Industriequalität ausgeführt, um dann von einer Altholzschalung bedeckt zu werden. Altholzbalken zieren in regelmässigen Abständen die Decke und verleihen ihr einen geschichtsträchtigen Schein. Ebenso haben Wagner + Boss bei der Küche eine Holzumrahmung geschaffen, eine Bar, die den Stil des gesamten Innenausbaus aufnimmt und verkörpert.

Ökologische Gesichtspunkte

Nebst der Tatsache, dass die Erbauer etliche Bausubstanz bestehen liessen und Abbruchholz wieder verwendeten, verhilft auch das verbaute Schweizer Holz zu einer besseren Ökobilanz des umgebauten Gebäudes. Zudem ist es eine Philosophie von Wagner + Boss, wenn immer möglich mit rohen Materialien zu arbeiten. So sind die Wangen der Treppen beispielsweise mit rohem Stahl ausgeführt. Die Treppentritte bestehen aus geöltem Eichenholz. Die Aussenschalung ist wie oben beschrieben naturbelassen. Natürlich gibt es Bauvorgaben, um die man nicht umhinkommt. So ist bei der Dämmung aus brandschutztechnischen Gründen Steinwolle verbaut worden, obwohl man in der Regel mit Holzfaserplatten dämmt. Und die Leichtbauwände für die Zimmereinteilung beplankten die Macher mit Gipsfaserplatten. Doch die Ökologie eines Bauwerks wird am Ende so gut sein, wie die verbauten Materialien bei ihrem Rückbau wiederum getrennt rezykliert werden können. Und das dürfte bei diesem hochwertigen Gebäude noch lange nicht der Fall sein.

www.wagnerboss.chwww.wenger-fenster.chwww.sidlerholz.ch

Ökologische Baustoffe

Es ist nicht einfach, die Ökologie von Baustoffen zu messen, weil hier viele Faktoren eine Rolle spielen. Entscheidend ist die Dauer, während der ein Stoff im Einsatz steht. Je länger die Lebensdauer eines Materials, desto besser die Ökobilanz. Aber auch die Trennbarkeit der einzelnen Materialien ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Können einzelne Materialien beim Rückbau wieder gut getrennt werden, so ist die Chance auf ein Recycling gross, zumal der Rückbau ja erst in einigen Jahren stattfinden wird, und man annehmen darf, dass bis dahin die Technologien des Recyclings höher entwickelt sein werden. Um Baustoffe ganz konkret in Bezug auf ihre graue Energie bewerten zu können, hat die Schweizer Baumuster-Centrale in Zürich eine Ausstellung konzipiert. Sie heisst «Positionen zur Nachhaltigkeit: vom Material zum Bauwerk und zurück» und gibt einen Überblick über die umweltrelevanten Eigenschaften von häufig verwendeten Baustoffen innerhalb ihres gesamten Lebenszyklus und darüber hinaus. Ein optimierter Materialeinsatz, das Wiederverwenden von Bauteilen und das Rezyklieren von Baustoffen seien die drei Grundpfeiler, auf denen das Bauwesen von morgen stehe, ist in einer Mitteilung zur Ausstellung zu lesen.

Die Ausstellung versucht ganz konkret die graue Energie sowie die grauen Emissionen pro m2 Baustoff aufzuzeigen. Die Ausstellung «Positionen zur Nachhaltigkeit: vom Material zum Bauwerk und zurück» in der Schweizer Baumuster-Centrale in Zürich dauert noch bis am 24. Februar 2023.

www.baumuster.ch

Michael Wyss, mw

Veröffentlichung: 22. Dezember 2022 / Ausgabe 51-52/2022

Artikel zum Thema

29. Februar 2024

Grosses Kino unterm Dach

Typisch britisch.  Den Dachausbau einer Villa in Burgdorf BE hat die Schreinerei Werthmüller ganz nach dem persönlichen Geschmack des Bauherrn umgesetzt. Das Heimkino und die Bibliothek sind geprägt durch britische Stilelemente, allen voran die Ölfarbe auf profilierten Flächen.

mehr
18. Januar 2024

Optische Entfaltung

Ladenbau.  Unweit vom Zürcher Paradeplatz erstrahlt das frisch renovierte Optikerfachgeschäft Zwicker zum 175-Jahr-Jubiläum in neuem Glanz. Der sanfte Umbau aus Schreinerhand im denkmalgeschützten Gebäude verbindet dabei geschickt Tradition mit einer Weltneuheit.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Umbauen