Das Unmögliche ist der Massstab

Lastwagenmodelle sind die grosse Leiden-schaft von Alexander Demme (58). Bereits 3500 Exemplare hat der gelernte Schreiner gebaut. Bild: Sabine Schaller

Alexander Demme sitzt an einem Tisch in seinem Keller. Er greift nach dem Skalpell und schaut durch ein Vergrösserungsglas. Die eingebaute Lampe erhellt die Arbeitsfläche. Vorsichtig setzt er das Seziermesser an. Mit chirurgischer Genauigkeit schneidet er ein Wattestäbchen in zwei Teile. Die Plastikröhrchen spielen buchstäblich eine tragende Rolle. Der Berner verwendet sie als Achsen in seinen Lastwagenmodellen. Bereits über 3500 Laster, meist im Massstab 1:87 und mit schwerer Ladung im Schlepptau, hat er in Modellform gebracht. In Reih und Glied stehen sie in beleuchteten Vitrinen in seiner Werkstatt. Das Interesse an den Mehrtönnern wurde ihm in die Wiege gelegt. «Mein Vater hat als Chauffeur von Schwertransporten gearbeitet», sagt Demme. Als Junge hat er ihn oft begleitet. Das Feuer ist übergesprungen und Alexander hat vom Lager der Eisenbahnmodellbauer ins Lager der Lastwagenmodellbauer gewechselt. Sein grosser Traum, auch beruflich in die Fussstapfen seines Vater zu treten, sollte sich vorläufig aber nicht erfüllen. «Mein Vater bestand darauf, dass ich einen richtigen Beruf erlerne.» Demme machte eine Schreinerlehre. Doch seine Freizeit gehörte den Lastwagen.

Das erste Produkt aus dem Werkraum war ein umgebautes Matchbox-Modell. Die Kabine hatte er aus Karton hergestellt und für die Beschriftung verwendete er Abreibebuchstaben. «Damals gab es schlicht nichts anderes», sagt er. Das war vor ungefähr vierzig Jahren. Seither hat der 58-Jährige seine Techniken verfeinert und professionalisiert – mit Erfolg, wie die Pokale in der Vitrine belegen. Einen vorgefertigten Bauplan benötigt er nicht. Seine Vorlage ist das Original. Über 100 000 Fotos hat er in Schubladen nach Transportunternehmen fein säuberlich archiviert. «Ich bin ein Ordnungstier, in dieser Hinsicht bin ich eine typische Jungfrau», sagt er und lacht.

Seine Motive fahren ihm zufällig vor die Linse oder er spürt sie auf – meist nach Mitternacht, wenn die Transportfirmen die verkehrsarmen Morgenstunden nutzen, um die schwere Fracht an ihren Bestimmungsort zu bringen. Bekleidet mit Helm, Warnweste und festem Schuhwerk legt er sich am Auhafen in Basel auf die Lauer. «Der Rheinhafen ist eine Drehscheibe. Sämtliche Lieferungen für die Schweiz werden hier verladen.» Woher aber weiss er, wann die Kolosse anzutreffen sind? «Das erfahre ich durch das Buschtelefon», sagt er mit einem Grinsen. Die Schweizer Schwertransportfans sind eine eingeschworene Truppe, die regelmässig Neuigkeiten austauscht. «Das ist wie bei den Indianern: Wenn einer Rauchzeichen gibt, gehst du hin und schaust dir die Sache an.» Bei Demme ist fast alles Handarbeit. Teile aus handelsüblichen Bausätzen, wie zum Beispiel ein Chassis oder eine Führerkabine, verwendet er nur, wenn auch die Details mit dem Original übereinstimmen. Ist das nicht der Fall, schneidet, sägt und fräst er die Komponenten aus Kunststoffplatten, bevor sie zusammengebaut werden und in der Mini-Lackiererei seines Hobbyraums ein neues Farbkleid erhalten.

Demme hat den Kopf voller Ideen und immer versucht er das Unmögliche. «Als Modellbauer muss man ein bisschen verrückt sein», sagt er mit einem breiten Lachen. Beflügelt von der Herausforderung träumt er von grossen Projekten, etwa vom Bau einer ganzen Hafenanlage mit Lastwagen, Kränen, Frachtern, Containern. Nichts ist unmöglich – davon ist der ehemalige Schreiner, der heute für die Müllabfuhr Köniz am Steuer eines Lastwagens sitzt, überzeugt.

«Das ist wie bei den Indianern: Wenn einer Rauchzeichen gibt, gehst du hin und schaust dir die Sache an.»

sas

Veröffentlichung: 27. November 2014 / Ausgabe 48/2014

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