Dem Blues verschrieben

Schreiner August Schmid (60) in seinem «Rüümli» im Kellergeschoss, wo er täglich in die Saiten greift: «Ich kann nicht sein ohne Musik.» Bild: Franziska Hidber

Federt August Schmid die Kellertreppe hinunter, kann es gefährlich werden. Gefährlich lange. Gut möglich, dass er erst um zwei Uhr in der Früh wieder auftaucht – erschöpft, ausgepowert, aber zufrieden. Denn im Kellergeschoss seines Eigenheimes in Frauenfeld TG hat er sich sein «Rüümli» eingerichtet, und das hat mit Fitness nichts und mit Musik sehr viel zu tun. Da hängen die «Klampfen», wie «Guscht» seine Gitarren liebevoll nennt, an der Wand, da stehen Boxen, da ist ein Verstärker, ein Notenständer, Notenblätter. Die isolierte Decke weist darauf hin, dass es hier nicht nur gefährlich lange, sondern gefährlich laut werden kann. «Eine Stunde pro Tag spiele ich mindestens», sagt der 60-Jährige, greift sich seine rote 66er Epiphone Broadway und legt los. Die Auftritte sind seit der Pandemie seltener geworden. «Früher konnten es über 60 im Jahr sein. Es war eine schöne Zeit, die mir viel gebracht hat», blickt er zurück und bringt die Saiten zum Schwingen. Früher, das war die Zeit, als er in Bands mitspielte, vom Thurgau jede Woche ins Sarganserland zum Proben fuhr, oft Wochenende für Wochenende auf einer Bühne stand. «Damals war die Musik quasi mein zweiter Job. Eine Zeit lang spielte ich mit dem Gedanken, damit den Lebensunterhalt zu verdienen.» Doch davon träumt der Oberflächenspezialist nicht mehr, zu gut kennt er die Gnadenlosigkeit des Musikbusiness. Heute tritt er vorwiegend an privaten Anlässen wie Geburtstagen oder Firmenfeiern auf, meistens solo mit Gitarre und «Schnorregiige».

Mögen sich die Auftritte auch reduziert haben, das Spielen ist ihm so wichtig wie eh und je: «Musik zu machen, ist mein grosses Bedürfnis, ich kann nicht ohne.» Dabei spielte Musik in seinem Leben zunächst gar keine Rolle. Als Bub besass er kein Instrument, besuchte keine Musikstunde. Doch dann, eines Tages, als Jugendlicher, stand er plötzlich vor einer Gitarre, die an einer Wand lehnte. Er nahm sie in die Hand, es fühlte sich gut und richtig an, und da durchfuhr es ihn wie ein Blitz: Ich werde Gitarrist. Er lacht, als er diese Szene erzählt: «Ich wusste es, ohne einen einzigen Ton gespielt zu haben.» Man könnte es nun als jugendlichen Leichtsinn abtun oder als Bieridee, doch es war nichts von alledem, und das hat mit seinem zweiten einschneidenden Erlebnis zu tun. Es sind Sommerferien, August Schmid ist am Bodensee unterwegs, in seinem Portemonnaie knistern ein Zwanziger- und ein Zehnernötli, damit will sich der Schreinerlehrling eine Pedalotour gönnen. Aus einem Plattenladen klingt Musik, der junge Mann bleibt wie angewurzelt stehen. Es ist Blues, das Stück «The Hoochie Coochie Man», und Schmid weiss: Das ist es, das will ich. Er steuert in den Laden, kauft die Langspielplatte und ist selig. «Fürs Pedalofahren hat das Geld nachher nicht mehr gereicht», erinnert er sich vergnügt.

Die Platte wird zur Offenbarung. Er lernt Stück für Stück. Ohne Lehrer, alles autodidaktisch. Setzt die Nadel auf, hört, spielt, hebt sie ab, setzt sie wieder auf. Passage um Passage erarbeitet er sich. Gitarrenunterricht hat er bis heute nie besucht, dafür die Jazzschule St. Gallen, da war er 24. «Ich dachte, jetzt will ich es mal richtig machen, alles besser kapieren.» Was er kapierte, kam einer Bestätigung gleich: «Blues ist meine Musik, nicht Jazz. Blues ist ehrlich, authentisch, hat nichts Elitäres.» Das gefällt ihm. Spielt er in seinem «Rüümli», wie gerade jetzt, sei das nicht nur Entspannung, sondern oft auch Frust: «Manchmal läuft es einfach nicht, es ist ein Geknorz, oder ich bin nicht zufrieden damit, wie es klingt.» Manchmal aber passiere das Gegenteil: «Wenn es läuft, schwebe ich.» – Mitunter bis zwei Uhr in der Früh.

«Musik zu machen, ist mein grosses Bedürfnis, ich kann nicht ohne.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 16. Dezember 2021 / Ausgabe 51-52/2021

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