Der Anfang war ziemlich «gruusig»

Florian Tschudi (23) präpariert in seiner Freizeit Tierschädel – so wie diesen eines europäischen Elchs.Bild: PD

Wer in seiner Stube eine Vitrine hat, stellt darin meist Gegenstände wie Gläser, Pokale, kleine Kunstwerke oder Tongeschirr aus. Bei Florian Tschudi ist nichts von alledem zu sehen, dabei hat er gleich zwei Vitrinen. Und beide sind sie gut bestückt – mit Tierschädeln in allen Grössen, angefangen bei fragilen Miniaturen – «das ist von einem Müüsli» – bis zum Labrador und Fuchs. Auf dem Couchtisch thront wuchtig der Schädel samt Hörnern eines südafrikanischen Wasserbüffels, auf dem Holzschrank ein Elch. Tschudi hat alle diese Schädel nicht etwa gekauft oder gesammelt, er hat sie selber präpariert. «Schädelpräparator ist inzwischen zu meinem Nebenberuf geworden», sagt der ausgebildete Schreiner, der gerade den Militärdienst absolviert und sich beinahe freut, «mal nichts» machen zu müssen. Denn sonst macht er einiges, und das nach Feierabend und an den Wochenenden. Der 23-Jährige präpariert nicht nur, er betreibt auch einen eigenen Online-Shop – «mit einer Kundenzufriedenheit von 100 Prozent» – eine Werkstatt und eine kleine Ausstellung. Das Interesse an seinen Werken sei gross, erzählt er an einem nebligen Wintertag bei einer Tasse Tee in seiner modernen Wohnung im sanktgallischen Linthgebiet. So gross wie seine aussergewöhnliche Leidenschaft. Woher kommt sie? Tschudi hat weder eine morbide Ader noch stammt er aus einer Jägerdynastie. Er schüttelt den Kopf und lacht: «Ich kam schon als kleiner Bub ständig mit einem Tierknochen in der Hand aus dem Wald und habe alle meine Fundstücke gesammelt. Das machte ausser mir niemand in der Familie.»

Seine Faszination beschränkte sich nicht auf Schädel. Mindestens so interessiert zeigte er sich an lebenden Tieren, besonders Hirsche hatten es ihm angetan: «Ich beobachtete sie fürs Leben gern im Tierpark und fand ihre Geweihe wunderschön. Ein eigenes Geweih zu besitzen, stand damals zuoberst auf meiner Wunschliste.» Immer häufiger war er im Nachbardorf bei der Damhirschzucht anzutreffen, freundete sich mit der Züchterfamilie an, fütterte die Hirsche – und kurz darauf ging sein Wunsch in Erfüllung: Er erhielt erst ein Geweih und später, als Jugendlicher, einen ganzen Kopf. «Den transportierte ich auf dem Velo nach Hause», erzählt er. Nun hatte er einen Hirschkopf, aber keine Ahnung, was damit zu tun ist. Sein Nachbar, ein Jäger, sprang in die Bresche. Nach seiner Anleitung entfernte Tschudi das Fell, kochte den Schädel aus und bleichte ihn mit Wasserstoffperoxid, das seine Mutter für ihn besorgt hatte – er war noch nicht volljährig. «Ehrlich gesagt, fand ich es schon ziemlich ‹gruusig›», blickt er auf seine erste Erfahrung zurück. «Beim Auskochen roch der Schädel grässlich.» Noch mehr Überwindung habe es ihn gekostet, das Fell wegzuschneiden: «Da sind Augen, die dich anstarren.» Doch er zog die Prozedur durch und freute sich über seinen ersten präparierten Schädel, seine Trophäe. Heute ist er längst zum Experten geworden – im autodidaktischen Alleingang.

Worte wie «entfetten» oder «entbluten» kommen ihm leicht über die Lippen. Dass seine Freundin sich deswegen nicht für sein aussergewöhnliches Hobby erwärmen kann, versteht er gut. Was findet er selber das Schönste daran? «Die Rückmeldungen von begeisterten Kunden. Es ist ein gutes Gefühl, wenn sie wunschlos glücklich sind.» Auf seiner Wunschliste steht nun ein eigenes «Lädeli» zuoberst. «Vielleicht nach dem Militär», sagt er und legt den Elchschädel behutsam auf den Holzschrank zurück.

«Ich kam schon als kleiner Bub ständig mit einem Tierknochen in der Hand aus dem Wald und habe alle meine Fundstücke gesammelt.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 17. Februar 2022 / Ausgabe 7/2022

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