Jakob Röthlisberger ist Jahr für Jahr in den Wäldern von Europa unterwegs und sucht die edelsten, schönsten und einzigartigsten Stämme. Der gelernte Zimmermann ist Sortimentsverantwortlicher und Massivholzeinkäufer für die Girsberger AG in Bützberg BE. Der sogenannte «Baumflüsterer» ist bekannt dafür, dass er die Bäume nicht nur nach messbaren Attributen bestimmt und aussucht, sondern seinen ganz eigenen Zugang zu den holzigen Riesen hat. Im Interview auf den kommenden Seiten gibt er der Schreinerzeitung einen einmaligen Einblick in seine Arbeit, seine Beziehung zum Werkstoff Holz und seine Verbindung zu den Bäumen.
- Schreinerzeitung: Herr Röthlisberger, Sie sind gelernter Zimmermann, waren viele Jahre selbstständig und sind nun seit Jahrzehnten im Holzhandel unterwegs. Wenn Sie zurückblicken: Was hat Sie ursprünglich an Holz so fasziniert, dass Sie Ihr Berufsleben diesem Werkstoff gewidmet haben?
- Jakob Röthlisberger: Das wurde mir sozusagen in die Wiege gelegt. Ich bin am Waldrand aufgewachsen. Meine Mutter hat mir bereits in jungen Jahren sehr viel vom Wald gezeigt, und ihre Familie hat mir auch die Wertschätzung für den Werkstoff mitgegeben. Mein Grossvater war ebenfalls Zimmermann und hat mir alles über die Möglichkeiten mit Holz und die Wirkung von Grössenverhältnissen und Raumformen auf den Menschen beigebracht. So kam es, dass ich mit sechs Jahren beschloss, dass ich mit Holz arbeiten und Zimmermann werden wollte.
- In der Holzbranche sind Sie als «Baumflüsterer» bekannt. Was bedeutet dieser Spitzname, und wie haben Sie ihn erhalten?
- Ich persönlich habe mich nie als «Baumflüsterer» gesehen. Als ich aber die ersten Referate hielt, hat sich dieser Spitzname irgendwie etabliert, und nun sehe ich ihn auch als eine Art Wertschätzung für den Werkstoff Holz und meine Arbeit.
- Worin liegt dieses besondere Gespür, das Sie für Bäume und Holz haben?
- Wie erwähnt war ich von klein auf im Wald und auch beim Holzen dabei. Ich sehe es wie bei einem Hirten: Dieser kennt alle seine Schafe und ihre Eigenschaften auch ganz genau, obwohl die Tiere für Fremde alle gleich aussehen. Nur wenn ich den Wald und die Bäume pflege, verstehe ich, was im Baum vorgeht, und dieses Wissen kann ich dann auch bei der Ernte und dem Aufsägen verwenden. Heute sehe ich bereits im Wald, dass dieser Baum beispielsweise mal als Eckpfosten eingesetzt werden kann.
- Woran erkennen Sie, ob ein Baum das Potenzial für ein hochwertiges Möbelstück oder eine besondere Anwendung hat?
- Wenn ich durch den Wald gehe, sehe ich den Boden, das Klima und die Witterungseinflüsse, die auf die Bäume einwirken. Auch der richtige Zeitpunkt der Ernte ist entscheidend für die spätere Holzqualität. So kann ich bereits im Wald die Qualität einschätzen und die bestmöglichen Stämme finden. Anschliessend spielen natürlich die korrekte Lagerung, Trocknung und Produktion eine entscheidende Rolle, um das bestmögliche Massivholz zu erhalten.
- Können Sie beschreiben, wie sich der Standort und das Klima in den Eigenschaften des Holzes widerspiegeln?
- Da gibt es zahlreiche Einflussfaktoren, die sehr individuell zusammenspielen. Wir haben hier viel Mischwald, weshalb die Schweiz nicht optimal für Laubhölzer ist. Zudem liegen die Region Basel und die Westschweiz in einem Kanal zwischen den Savoyer Voralpen und dem Jurabogen, welcher die starken Windgeschwindigkeiten verursacht und das Wetter von Frankreich hereinträgt. Jeder Baum auf der nördlichen Halbkugel richtet seine Äste nach Süden, der Sonne entgegen, und bildet Flügeläste, um den Wind abzufangen. So entsteht beim Laubbaum Zugholz und beim Nadelbaum Druckholz. Deshalb findet man am Äquator theoretisch das holzmittigste Holz. Auch die Bodenbeschaffenheit ist ein zentraler Faktor für das Wachstum und die spätere Optik des Holzes. So sind beispielsweise Eichen, die in Gebieten mit sandigem Boden wachsen, heller und feinjähriger und solche in lehmreichen Böden dunkler und grobjähriger. Hier können fünf Kilometer mehr oder weniger bereits viel ausmachen.
- Was gibt es bezogen auf diese wachstumsbedingten Eigenschaften bei der Weiterverarbeitung zu beachten?
Beispielsweise ist es beim Einschnitt bezogen auf das Druck- und Zugholz wichtig, dass dieses im Holzstück verbleibt und nicht an- oder herausgeschnitten wird. Ansonsten verzieht sich das Holz stark. Besonders der Arbeitsschritt des Einschnittes ist sehr individuell und muss für jeden Stamm einzeln angeschaut werden.
- Gibt es einen Wald in Europa, der Sie besonders geprägt hat, oder haben Sie vielleicht sogar einen «Lieblingswald»?
- Das kommt auf die jeweilige Holzart an. Hier habe ich für jeden Baum eigene Präferenzen. Beispielsweise liebe ich die Eichen aus der französischen Forêt de Tronçais. Diese sind quasi ein eigener Phänotyp, mit hoher Stammlänge und vielen Ästen, was mir persönlich sehr gefällt. Ich mag es, wenn nicht alles regelmässig ist und seinen eigenen Charakter hat.
- Heutzutage wird oftmals mit fertig verleimten oder zugeschnittenen Massivholzplatten gearbeitet, und man sieht nicht, wie das Holz im Wald gewachsen ist. Was entgeht Ihnen dabei?
- Ich sehe ein grosses Problem darin, dass sich die Industrie vom Rohprodukt zu weit entfernt. Wir denken und arbeiten in Kollektionen und Sortimenten, obwohl Holz eigentlich ein individueller Werkstoff ist. Dadurch verliert auch das Werkstück des Schreiners an Charakter und Einzigartigkeit. Auch aus gestalterischer Sicht fehlt, dass Handwerker vom Stamm ausgehen. Der Handwerker wird vom Design her zu einer Form gezwungen, obwohl eigentlich der Stamm die Form vorgeben sollte. Holz wird immer mehr zum reinen Material, und dadurch wird es vergleich- und auch ersetzbar.
- Welche besonderen Herausforderungen bringt Massivholz mit sich, die man als Schreiner unbedingt im Blick behalten sollte?
- Der Schreiner soll seinen eigenen Stil entwickeln. So kann er beispielsweise die Herzseite des Holzes nach aussen stellen und zeigen, anstatt diese immer zu verstecken. Diese Holzseite hat tendenziell mehr Risse, Löcher und Äste, was wiederum für Charakter sorgt. Zudem sollte man einen Baum nicht auf den Kopf stellen. Holz sollte immer mit der Wurzel nach unten verbaut werden. Räume und Möbelstücke mit auf dem Kopf stehendem Holz wirken unterbewusst nicht stimmig. Bei industrieller Fertigware ist es jedoch kaum mehr möglich, das Holz richtig zu drehen.
- Gibt es Holzarten, die Ihrer Meinung nach unterschätzt werden, aber Potenzial für den Schreiner haben?
- Da gibt es einige spannende Holzarten, die je nach Einsatzzweck interessant sind. So sehe ich beispielsweise die Birke oder auch die Esche als Holz mit Potenzial. Die Esche könnte auch als Eichenersatz eingesetzt werden. Eine weitere Holzart, die sehr beliebt ist, ist die Schwarznuss, die europäische Version des amerikanischen Nussbaums, welche aber leider übernutzt wird. Weiter spielt die Ulme eine spannende Rolle, die bedauerlicherweise durch das Ulmensterben fast ausgerottet wurde und sich nun langsam wieder erholt.
- Sehen Sie auch einen Trend weg vom Eichenholz?
Die Eiche ist natürlich ein toller traditioneller Baum, der für Kontinuität steht. Die Holzart ist nirgends perfekt, aber überall gut. Sie ist beispielsweise nicht so elastisch wie die Esche, aber elastischer als andere Hölzer. Vor allem die langstämmigen französischen Eichen sorgten massgeblich dafür, dass Frankreich die besten Schiffe hatte und zur Seemacht wurde. Wenn sich eine neue Holzart etablieren möchte, muss dies über die Bodenindustrie geschehen. Diese gibt die Trends vor, und wenn der Boden in einem Raum feststeht, wird der Rest darauf abgestimmt. Ich könnte mir aber durchaus vorstellen, dass Holzarten wie die Kirsche, welche für Eleganz steht, oder die Birke, die für Jugend und Neues steht, in Zukunft vermehrt eingesetzt werden.
- Der Markt für Massivholz verändert sich spürbar. Welche Entwicklungen und Trends beobachten Sie aktuell, und was gilt es bezüglich der Nachhaltigkeit zu beachten?
- Die Einzelstammnutzung ist in meinen Augen die beste und nachhaltigste Art und Weise, den Wald zu ernten. Bäume binden dadurch bis zu dreimal mehr CO2. Heutzutage wird bei den Forstformen vermehrt auf die wirtschaftlichen Aspekte geschaut, und der Respekt vor dem Wald und dem Baum geht verloren. Auch das Beachten des richtigen Fällzeitpunktes ist wichtig. Neben Mondholz und dem Fällen in der Winterzeit zeigen uns die Bäume, wenn sie bereit zum Ernten sind. Bei der Eiche soll man beispielsweise warten, bis die Eicheln fallen, und bei der Weisstanne, bis die Tannenzapfen verblüht sind.
- Gibt es ein Holz, mit dem Sie selbst am liebsten arbeiten oder das Ihnen persönlich am meisten bedeutet?
- Als gelernter Zimmermann mache ich Räume, und hier arbeite ich sehr gerne mit der Arve als Raumholz. Mein liebstes Holz ist aber der europäische Nussbaum. Der Nussbaum und auch die Kastanie sicherten unseren Vorfahren das Überleben in den Alpen, da ihre Früchte essbar und getrocknet lagerbar sind.
- Hat sich Ihr Blick auf Wälder und Bäume im Laufe der Jahre verändert?
- Ich war schon immer in Wäldern unterwegs und mit ihnen verbunden. Zuerst in unseren heimischen Mischwäldern und später weltweit, auch in Syrien und Amerika. Mich prägte, dass die Menschen überall, wo ich hinkam, den Wald mit Respekt und Ehrfurcht bewirtschaften. Man hört immer wieder Räubergeschichten, beispielsweise aus den Tropen. Dabei handelt es sich jedoch meist um Grosskonzerne, welche die Flächen anders nutzen möchten, und nicht um die einheimische Holz- und Forstindustrie.
- Welchen Rat würden Sie einer jungen Schreinerin oder einem Holzgestalter geben, der den Werkstoff Massivholz wirklich verstehen möchte?
Sie sollten für sich persönlich versuchen, den Respekt vor dem Wald, dem Baum und dem Werkstoff Holz pflegen. Der Baum ist ein Lebewesen, aus welchem wir unseren Werkstoff Holz ernten und zu dem wir Sorge haben sollten. Der Baum ist resilient und hat eine symbolische Kraft. Ein stehender Baum bedeutet Leben, ein liegender Baum steht für den Tod, und es liegt an uns, ihn für sein zweites Leben bestmöglich in Szene zu setzen.
www.girsbergerholz.com
Noah Gautschi