Kantenvielfalt. Die Sichtkante ist der vorderste Teil eines Möbels. Das Bedürfnis, diese so schön wie möglich zu gestalten, ist naheliegend. Der Markt bietet heute dafür viele neue Möglichkeiten an: fotorealistische Bilder oder hinterleuchtete Lösungen zum Beispiel.
«Etwas auf die hohe Kante legen» – die Redewendung bezieht sich historisch auf einen Platz im Schlafzimmer wohlhabender Familien. Oben auf dem Baldachin, der schmuckvollen Überdachung von Betten, ist in vergangenen Zeiten Erspartes vor räuberischen Blicken versteckt worden. Die hohe Kante versprach in erlauchten Kreisen demgemäss Reichtum und Ansehen.
Weniger positiv verankert ist eine andere Redewendung: Wer «sich die Kante gibt», dem dürfte das eben Beschriebene ziemlich egal sein, befindet er sich doch in einem Zustand des Rausches. «Sich betrinken» ist denn auch die Übersetzung der oft verwendeten Redensart. «Klare Kante zeigen» dagegen erfordert schon wieder mehr Verstand. Wer Kante zeigt, vertritt seinen Standpunkt und weiss sich klar abzugrenzen.
Zeichnen und Verschliessen
Abgegrenzt wird auch mit Möbelkanten. Sofern man mit seinem Objekt Kontraste setzen will, ist dies heute uneingeschränkt möglich. Das Produktsortiment an Kanten ist so vielfältig, dass hier fast für jeden Geschmack etwas dabei ist. Die uneingeschränkte Auswahl birgt aber immer auch Gefahren. Beliebigkeit kann die Folge sein. Deshalb sei gut beraten, wer sich an die Kante wagt …
In den meisten Fällen geht es beim Anbringen einer Kante darum, die Farbe der Plattenbeschichtung um das Werkstück laufen zu lassen. In diesem Fall muss die Kantenfarbe genau mit derjenigen der Platte übereinstimmen. Dieser Wunsch läuft auf eine präzise Farbangleichung heraus.
Abgleich mit Plattenherstellern
Tobias Borner, Mitinhaber der Firma Provo-kant, weiss, wie das geht. Er ist der Kantenlieferant für die neue Dekorkollektion «Panorama» des Plattenherstellers Kronoswiss. «Ein Privileg, das verpflichtet», meint er, «zuerst wird die Oberflächenfarbe der Musterplatte gemessen. Danach mischen wir das Kunststoffgranulat ab und ergänzen es mit Farbpigmenten.» Schliesslich produziert die Firma Hranipex in Tschechien die gewünschte Rollenware. Diese wird dann durch die Firma Kronospan noch überprüft und abgesegnet. «Damit ist gewährleistet, dass die Kante exakt dem Dekor entspricht», sagt Borner.
Und dieser farbliche Abgleich ist wichtig, denn kleine Farbabweichungen sind aus ästhetischer Sicht besonders störend. Hier gilt dieselbe alte Schreinerweisheit wie bei der Passgenauigkeit von Möbelseiten: Wenn schon nicht bündig, dann gleich richtig daneben: vor- oder zurückstehend. Heisst auf das erwähnte Beispiel bezogen: exakt identischer Farbton oder gleich komplett eine andere Farbe. Dazwischen liegende Nuancen sehen nur misslungen aus!
Kantensuche über Internet
«Auch wir sind spezialisiert darauf, zu bestehenden Dekors die entsprechende Kante zu liefern», erklärt Cyrill Kunz von der Rehau Vertriebs AG sein Fachgebiet. «Der Kunde, in unserem Fall meist ein Schreiner, sucht beispielsweise die passende Kante zu einer Küchenabdeckung. Dafür benutzt er am besten unseren Kanten-Finder im Internet. Dort wählt er den Hersteller sowie die Bezeichnung des Dekors seiner Platte, und die elektronische Suchmaschine gibt ihm daraufhin die Bestellnummer der farblich passenden Kante aus.»
Andere Hersteller und Händler von Kanten bieten ebenso praktische Online-Tools für Schreiner und Planer an.
Trend zu Kleinmengen
Um wiederum neue Kanten an das Dekor einer bestehenden Plattenkollektion von Lieferanten anzupassen, geht Rehau ähnlich vor wie Provo-kant. Mit dem Unterschied, dass der Hersteller von Kunststoffkanten über die bessere Infrastruktur verfügt. «Ein solcher Anpassauftrag ist für unser Designzenter in Rehau in der Nähe von Nürnberg jeweils der Beginn einer Herausforderung», meint Kunz. «Der Ablauf ist stets derselbe: Der Kunde liefert ein A4-Muster des zu kopierenden Dekors. Dieses Muster analysieren unsere Designer genauestens auf Struktur, Farbe, Bedruckung und Glanzgrad.» Genau das sind die vier Faktoren, welche von den Kantenentwicklern beeinflusst werden können. Immer öfter kämen zurzeit die Spezialisten in den Genuss dieser Aufgabe, denn: «Auf dem Markt ist die Tendenz zu individuell angefertigten Kleinmengen spürbar», sagt Kunz. Es gelte, sich an die geänderte Nachfrage anzupassen.
Der grosse Vorteil von Kunststoffkanten sei der Preis, meint Kunz weiter. Dieser läge teilweise zehn Mal tiefer als derjenige von Echtstoffen. Eine veritable Alternative also für all jene, die sich damit abfinden können, dass die gezeigten Materialien nicht echt sind.
Lasertechnologie ermöglicht Nullfuge
Es gibt heute unglaublich viele Möglichkeiten zum Abdecken von Kanten. So sind nicht nur sägerohe Holzoberflächen, sondern auch Schiefer, Mineralwerkstoffe, Alu-Dekore, Leder-Haptiken, Tiger-Optiken oder Glasimitationen mit 3-D-Tiefenwirkung als Kantenbänder erhältlich. Neu gibt es sogar hinterleuchtete Kanten. Eine Licht streuende Schicht verteilt dabei das Licht gleichmässig. Dafür muss aber die Platte vorab genutet werden für eine Leuchtschiene. Wichtig ist hier, dass schon bei der Planung an die Verkabelung gedacht wird. Ein technologischer Schritt revolutioniert zudem gerade den Kantenmarkt: die Lasertechnologie. Die Kantenanbieter sind daran, ihre Kollektionen umzurüsten und mit der Reaktionsschicht zu versehen, die im Kantenleimer mit dem Laserstrahl aktiviert werden kann.
Mit der neuen Technologie ist die Leimfuge fast nicht mehr sichtbar. Man spricht aus diesem Grund auch von einer Nullfuge. Damit erhalten konventionell einfarbig ummantelte Abdeckungen einen Mehrwert. Sie sind kaum noch von massiven Originalmaterialien zu unterscheiden und dementsprechend hochwertiger.
Rein optisch sind Platten mit einer Laserkante gleichwertig wie lackierte oder pulverbeschichtete Oberflächen und stellen dadurch eine valable Alternative dar.
Persönliches Dekor
Für Entwicklung im Kantenbereich sorgt auch die Döllken Kunststoffverarbeitung GmbH. Das als Holzhandlung gegründete Unternehmen gehört heute zur Surteco-Gruppe und ist eines der wichtigsten Hersteller von Kunststoffkanten. Seit ungefähr eineinhalb Jahren führt die Firma individuell bedruckte Produkte im Angebot. «Bereits ab 75 Laufmeter Kante können wir fotorealistische Bilder auf die Kante bringen», sagt Tobias Klein. Pro Rolle müsse noch ein kleiner produktionstechnischer Verlust in Kauf genommen werden, doch bald sei auch diese Technologie optimiert.
Eine so produzierte Kante koste zwar ein Mehrfaches von handelsüblicher Rollenware. Dennoch ist Klein vom Potenzial der individuell bedruckten Kanten überzeugt. «Damit kann eine preiswerte beschichtete Platte deutlich aufgewertet werden», meint er. Als Vorlage für den Druck reicht eine gut aufgelöste Bilddatei in TIF, PDF oder einem ähnlich gängigen Bildformat. «Zudem kann nur bei uns die Kantengrundfarbe gewählt werden. Wir können auch mit Weiss drucken». Da komme das Bild dann so richtig zur Geltung und es entstehe kein ungewünschter Rahmeneffekt um die Kante herum, erklärt Klein weiter.
Der Schreiner kann die bedruckte Kante direkt bei Döllken beziehen oder sich aber an den Kantenhändler seines Vertrauens wenden. Dieser sei bereits bestens informiert über die Möglichkeiten der neuen Technologie.
Glasimitation vom Schreiner
Stufendesignkanten mit V-Nut – so heissen die auffälligen zweigeteilten Kantenbänder. Angebracht an der Schmalfläche der Platte machen sie den Anschein, als seien sie nicht nur die Kante der Trägerplatte, sondern gleichzeitig die Schmalfläche der darauf liegenden Abdeckung. Tönt ein bisschen kompliziert, ist es aber nicht: Stufendesignkanten simulieren in Kombination mit einem glänzenden Dekor eine hochwertige Abdeckung, beispielsweise in Glas. Werden diese appliziert, ist der Schreiner nicht mehr abhängig von Zulieferern. Er produziert dann mit einer funktionierenden Kantenleimmaschine seine eigene Glasabdeckung einfach selbst – in Spanplatte und Kunststoff, versteht sich. Und hat damit die gesamte Wertschöpfung in eigenen Händen!
Eine Weiterentwicklung dieser Kanten sei bereits in der Pipeline und werde voraussichtlich nächstes Jahr Marktreife erlangen, verspricht Cyrill Kunz abschliessend. Man darf also gespannt sein! MW
Veröffentlichung: 22. September 2011 / Ausgabe 38/2011
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