Der Skistar ohne Rampenlicht

Roland Schneider (49) gewann an der Gehör-losen-Olympiade 2007 in Salt Lake City (USA) einmal Gold und zweimal Silber für die Schweiz. Bild: Franziska Hidber

Skipisten sind Roland Schneiders Passion, Skifahren ist seine Disziplin. Der Mann, der hier unbeachtet am Rand der Piste beim Skilift Horn im innerhodischen Schwende steht, gehört zu den erfolgreichsten Skifahrern der Schweiz: Er hat unter anderem den Gesamt-Europacup gewonnen. Hand aufs Herz: Haben Sie den Namen noch nie gehört? Da sind Sie nicht allein. Denn Schneider fuhr im Ski-Alpin-Nationalkader des Schweizerischen Gehörlosen-Sportverbandes. Man kennt ihn unter den Gehörlosen, und natürlich in seiner Heimat, aber nicht in der breiten Öffentlichkeit. Ihm kommt das ganz gelegen: «Ich stehe nicht gern im Rampenlicht.» Dabei war er Stammgast bei den Ehrungen der erfolgreichen Sportler in Appenzell. Hier hat er seine Wurzeln, hier hat seine Leidenschaft begonnen. Aufgewachsen ist er quasi neben dem Skilift Sollegg in Appenzell, wo er mit seinen Geschwistern den Hang hinunterflitzte. «Das gefiel mir besser, als unter die Leute zu gehen.» Doch ein richtiges Skitraining blieb damals ein Traum. Denn anders als hörende Gleichaltrige musste Schneider erst die Sprache lernen – zunächst an der Sprachheilschule St.Gallen, während der Sekundarschule im Internat in Zürich, wo er sich fern seiner geliebten Hügel und Berge über die Schulbücher beugte. «Für das Training oder Rennen frei zu bekommen, war schwierig», erinnert er sich, «deshalb begann meine Karriere spät.»Spät heisst in seinem Fall: Mit der Schreinerlehre, für die er nach Appenzell zurückkehrte. Nun waren die weissen, lockenden Hänge wieder ganz nah und das begeisterte Mitglied des Skiclubs Oberegg konnte seiner Lieblingsdisziplin frönen: der Abfahrt. Schneider liebt es bis heute steil, schnell und risikoreich. Dass er gehörlos ist, empfindet er auf der Piste kaum als Hindernis. Eine Einschränkung räumt er ein: «Ich höre nicht, wie sich die Skier auf dem Schnee und in den Kurven verhalten; und auch keinen Fahrtwind. Wir Gehörlosen müssen das mit dem ganzen Körper erspüren.» An seine über 20 Jahre im Schweizer Nationalkader denkt er mit Freude und Stolz zurück. Besonders an die «Königsdisziplin» Abfahrt in Salt Lake City im Jahr 2007, als er an der Winterolympiade für Gehörlose Gold holte – trotz starker Konkurrenz und einiger Bedenken: «Es hatte in diesem Winter wenig Schnee, wir konnten kaum trainieren. Und doch hatte ich meinen lang gehegten Traum vom Abfahrtssieg geschafft, mit nur einer Hundertstelsekunde Vorsprung. Der Druck war hoch – und ich danach erleichtert.» Von Salt Lake City kehrte Schneider gleich mit drei Medaillen nach Hause: Zusätzlich zum Abfahrtsgold holte er zweimal Silber – einmal im Super G, einmal in der Kombination. «Damit habe ich wirklich nicht gerechnet», sagt er heute, wo das Skifahren wieder ein Hobby ist – genau wie Mountainbiken oder Bergtouren.In seiner Freizeit präsidiert der 49-Jährige ausserdem den Gehörlosen-Club St.Gallen. «Seiner» Schreinerfirma ist er bald dreissig Jahre treu; er mag die Abwechslung, stösst aber manchmal in der Kommunikation an Grenzen. «Ich muss darum kämpfen, dass die Leute Hochdeutsch sprechen, damit ich von den Lippen lesen kann», sagt der Vater zweier Söhne. Hätte er einen Wunsch frei, dann diesen: Dass die Gebärdensprache zur fünften Landessprache wird.Franziska Hidber

«Ich höre nicht, wie sich die Skier auf dem Schnee und in den Kurven verhalten. Wir Gehörlosen müssen das mit dem Körper erspüren.»

Veröffentlichung: 07. Januar 2021 / Ausgabe 1-2/2021

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