Der Traum vom perfekten Christbaum

Im Advent wird Schreiner Christian Strub (21) jeweils vorübergehend zum Christbaumverkäufer. Bild: Franziska Hidber

Die Vorfreude wächst. Es ist Dezember, und Christian Strub hat bald eine ganze Woche Ferien – wie immer kurz vor Weihnachten. Und wie immer wird er in dieser Zeit weder die Skipiste hinunterwedeln noch an einem warmen Strand liegen. Der Schreiner macht etwas ganz anderes: Er tauscht seinen Arbeitsplatz als Monteur bei der Schreinerei Warger in Amriswil TG gegen einen Christbaumstand in Winterthur-Wülflingen ZH: Tannenbäume statt Küchen, vorweihnachtliches Getümmel statt durchgeplanter Arbeitsalltag. Angefangen hatte es vor vier Jahren: «Als der Landwirt und Christbaumzüchter zwei Dörfer weiter für seine insgesamt 15 Stände Leute suchte, meldete ich mich für zwei Samstage.» Er lacht, wenn er an seinen ersten Tag zurückdenkt: «Ich dachte, so am Stand zu stehen sei ja keine grosse Sache, easy. Dass man den ganzen Tag und bei jedem Wetter draussen auf den Beinen ist und schon einmal ins Schwitzen kommt, wenn gleich vier Autos anhalten und alle Leute gleichzeitig einen Christbaum wollen, hatte ich nicht bedacht.» Gefallen hat es ihm trotzdem. «Man hat viel Kontakt zu verschiedenen Leuten, kann mit den Kollegen ein paar Worte ‹schnorre› und erlebt Szenen wie im Kino.» Bereits zum dritten Mal investiert der Schreiner aus Lömmenschwil SG heuer eine Ferienwoche für seinen «Zweitjob», wiederum in Wülflingen, wo ihn inzwischen die Stammkunden erkennen und gleich ein paar Worte wechseln.

Er freue sich auf die Abwechslung zum Berufsalltag, darauf, die Standkollegen der vergangenen Jahre wieder zu treffen oder den freundlichen Besitzer des Standplatzes, der ihnen ein kleines Häuschen zum Aufwärmen zur Verfügung stellt. Strubs Tag beginnt schon am Vorabend – dann holt er mit seinem Standpartner «d’Bömm» in Engelburg SG ab, zu 90 Prozent Nordmanntannen. Manchmal hat er eine Bestellung der Leute in der Tasche: «Es gibt Kundinnen und Kunden, die kommen drei-, viermal an den Stand und schauen sich die Tannen an, ohne fündig zu werden. Einige geben mir dann ihren Wunsch mit.» Die grösste Herausforderung bestehe darin, in der Dunkelheit unter den bereits geschlagenen und eingepackten Bäumen die richtige Auswahl zu treffen. Am nächsten Morgen wird ab 8.30 Uhr abgeladen und ausgepackt, die künftigen Christbäume werden in Ständer gestellt, und oft sind dann schon die ersten Kunden vor Ort. «Das Verhalten der Leute zu beobachten, ist interessant», findet der Christbaumverkäufer, «da erlebst du alles.» Er erzählt von handfesten Ehestreitereien. «Einmal geriet sich ein Paar so in die Wolle, dass die Frau wütend davonstapfte, und er stand da wie bestellt und nicht abgeholt.» Das Schönste sei die Begeisterung der Kinder: «Die purzeln richtig aus dem Auto und stieben sofort Richtung Bäume.»

Der intensivste Tag sei erfahrungsgemäss am letzten oder vorletzten Samstag vor Weihnachten, je nachdem, auf welchen Wochentag Heiligabend falle. «An solchen Tagen können wir froh sein, wenn die Zeit für die Mittagspause reicht.» Nach seinem zehntägigen Einsatz am Stand werde er zwar hundemüde, aber glücklich sein, das weiss er jetzt schon.

Und sein eigener Christbaum? Er grinst: «Ich bin wohl der heikelste Baumkäufer, den es gibt», gibt er umumwunden zu und zählt seine Kriterien auf: «Nicht zu dicht, nicht zu locker, die Äste an der Wandseite kürzer, aber es soll schon etwas dran sein.» Trotz aller Leidenschaft für seinen Ferienjob, einen Wechsel in den Verkauf schliesst er aus. So sehr, wie er sich jetzt auf den Christbaumstand freut, so gerne kehrt er danach wieder zu seinen Küchen zurück.

«Das Verhalten der Leute zu beobachten, ist interessant. Da erlebst du alles.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 03. Dezember 2020 / Ausgabe 49/2020

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