Der Traum von der Arbeit mit Holz

Erwin Berger (70) hat sich nach seiner Pension eine Werk-statt eingerichtet und schnitzt Dekorationsobjekte aus Holz. Bild: Caroline Schneider

Im Herzen war er immer ein Hölziger, doch diese Leidenschaft lebt Erwin Berger erst seit seiner Pension aus. Und so stehen sie nun in Reih und Glied da und starren den Besucher mit ihren grossen Augen an – die «Erwin’schen Eulen», geschnitzt aus verschiedenen Hölzern. «Made in Boswil, alles handgemacht», sagt der Aargauer. Der 70-Jährige hat sich auf seine Pension hin seinen Traum verwirklicht. «1964, nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit, wollte ich Schreiner werden.» Doch sein damaliger Werklehrer animierte ihn dazu, Hochbauzeichner zu lernen. «Damals gehorchte man seinem Lehrer», sagt Berger. So gründete er nach der Lehre sein eigenes Architekturbüro. Der Traum des Schreiners schlummerte weitere 45 Jahre vor sich hin.

Berger engagierte sich nebst seinem Beruf in der Politik, wurde Kantonsrat, später Gemeindepräsident. Als er das Geschäft seinem Sohn übertrug, übernahm er das Amt des Zivilschutzkommandanten. Doch die Pension rückte unweigerlich näher und damit viel Zeit, die es auszufüllen galt. Es war seine Frau, die ihn mit Fragen auf seine bevorstehende Pension aufmerksam machte. «Wenn du nicht in ein Loch fallen willst, such dir ein Hobby, bei dem du glücklich wirst», ermunterte sie ihn. Berger horchte in sich hinein und erinnerte sich an seinen Jugendtraum und seine Faszination für den Werkstoff Holz. In einer Nacht lieferte ihm ein Traum die Steilvorlage. «Ich träumte von einer Motorsäge», erzählt der 70-Jährige. Daraufhin kaufte er sich kurzerhand das Werkzeug, von dem er geträumt hatte, und machte die ersten Holzskulpturen in seinem eigenen Wald.

Von seinen Objekten schnitze er zuerst mit dem Küchenmesser Muster aus einer Karotte. «Ich zeichne nichts vor, sondern schnitze alles aus dem Kopf.» Berger perfektionierte seine Holzschnitzereien schnell. «Mein Vorstellungsvermögen als Architekt kam mir bei den Schnitzereien sehr zugute.» Die Inspiration für seine Objekte holt er sich aus dem Alltag. Er beobachtet genau oder schaut sich Bilder in der endlosen Welt von Google an. «Wenn ich ein Objekt sehe, nehme ich es als Basis und versuche, daraus etwas Neues zu kreieren.» So hat er einen Hackklotz in eine Schnapsbar umfunktioniert. Von aussen betrachtend, käme man nie auf die Idee, dass sich im Birnen-Hackklotz ein elegantes Schnapsbuffet verbirgt. Berger schiebt den Deckel zur Seite. Zum Vorschein kommen sieben im Kreis angeordnete Schnapsgläser. Den Hackklotz nehme er mit an die Weihnachtsmärkte. Da verbrauche er schon mal bis zu drei Liter Schnaps, sagt er und schmunzelt. Er holt ein weiteres Schnapsbuffet hervor. Dieses Mal ist es als Vogelhäuschen getarnt. Berger hat sich auf Dekorationen spezialisiert. Der Renner seien Eulen, aber auch Laternchen – jetzt, wo die Weihnachtszeit näherrücke.

Der Künstler arbeitet nur mit einheimischen Hölzern. «Exotisches Holz ist für mich tabu. Am liebsten arbeite ich mit Holz aus meinem eigenen Wald.» Würde er die Stunden aufrechnen, müsste er seine Produkte viel teurer verkaufen oder auf Massenproduktion umsteigen. Doch das sagt ihm nicht zu. «Ich liebe die Abwechslung. Deshalb mache ich gerne Einzelanfertigungen. Ich bin glücklich, wenn ich meinen Kunden eine Freude bereiten kann. Das ist meine grösste Motivation.» Wie würde er sich heute entscheiden, wenn er wieder vor der Berufswahl stünde? Berger schweigt einen Moment und schmunzelt. «Wahrscheinlich würde ich meinem Werklehrer widersprechen und ihn vor die Tatsache stellen, dass ich Schreiner werde.»

«Wahrscheinlich würde ich meinem Werklehrer widersprechen und ihn vor die Tatsache stellen, dass ich Schreiner werde.»

CS

Veröffentlichung: 03. Oktober 2019 / Ausgabe 40/2019

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