Die andere Welt der Schreinerarbeiten

Mit handwerklichem Gespür und Fantasie sind auch funktionelle Skulpturen im Bereich des Realisierbaren. Bilder: Claudio Bader / Kläusler Acrylstein AG

Mineralwerkstoffe.  Sie gehören zu den Materialien, die auf den ersten Blick nicht zum gängigen Schreinerbild passen. Tatsächlich kann nur der Schreiner das volle Potenzial der Platten ausschöpfen. Dabei eröffnen sich ihm bislang verschlossene Bereiche mit neuen Materialeigenschaften.

Nur wenige Dinge sind in der Natur kubisch geformt, haben rechte Winkel und plane Flächen. Solche Formen entstehen aus der Hand von Menschen und das vor allem deshalb, weil sie einfacher herzustellen und effizienter zu nutzen sind.

Seit jeher bemühen sich aber Handwerker, die Ausstrahlung natürlich gewachsener Formen in ihre Arbeiten einzubringen, was in der Regel grosses Können erfordert und mit Aufwand verbunden ist.

Neue Welt von Produkten

Als vor rund vierzig Jahren Mineralwerkstoffplatten auf den Schweizer Markt kamen, wurden diese vor allem als eine mögliche Variante anstelle von Steinabdeckungen angepriesen. Anders als Steine waren diese Platten absolut dicht und mit den üblichen Schreinerwerkzeugen bearbeitbar. Zudem fühlten sie sich erst noch warm an. Wie bei Steinen musste aber darauf geachtet werden, dass es beim Aneinanderfügen verschiedener Elemente keine Farbdifferenzen gab.

Letzteres hat sich bis heute sehr stark verbessert, und gerade bei weissen Platten gibt es diesbezüglich kaum noch Probleme. Was die Einsatzmöglichkeiten anbelangt, ist mit diesem Werkstoff eine neue Welt für Schreiner, Architekten und Planer aufgegangen, die enorme Möglichkeiten mit verhältnismässig geringem Aufwand bietet. Wer mit den Materialeigenschaften vertraut ist, kann auch Produkte anbieten, die mit Holzwerkstoffen nur schwer oder gar nicht zu realisieren sind. Sehr dünne Mineralwerkstoffplatten im Verbund mit Spanplatten helfen beispielsweise bei Frontelementen mit Türen, den Preis niedrig zu halten, und ermöglichen zusätzlich leichtere Elemente, für die normale Türbänder ausreichen.

Zwei Sorten

Grundsätzlich lassen sich Mineralwerkstoffe in acrylgebundene und polyestergebundene Werkstoffe unterscheiden. Erstere bestehen zu etwa einem Drittel aus Acrylharz und zu zwei Dritteln aus natürlichen Materialien mit dem Hauptbestandteil Aluminiumhydroxid (ATH), das aus Bauxit (Aluminiumerz) gewonnen wird. Übrigens ist Aluminiumhydroxid auch ein Bestandteil von Zahnpasten.

Das verwendete Acrylharz garantiert die UV-Beständigkeit des Materials und ermöglicht eine sehr gute thermische Verformbarkeit. Diese Produkte sind im Innen- wie im Aussenbereich einsetzbar.

Platten mit Polyesterharz brauchen UV-Stabilisatoren, um ihre Beständigkeit zu verbessern. Auch in der Verformbarkeit sind sie etwas weniger gut, dafür sind die Grundmaterialien billiger und die Herstellung ist einfacher. Sie werden vor allem im Innenbereich eingesetzt.

Von Wärme und Hitze

René Studer ist Geschäftsführer der Studer Handels AG in Dübendorf ZH und war einer der Ersten, die Mineralwerkstoffe in der Schweiz angeboten haben. Sein Handelsprodukt «Staron» ist acrylgebunden und kommt wie die ähnlich aufgebauten Produkte «Corian» und «Hi-Macs» bei Hausfassaden zum Einsatz. Neben der guten Witterungsbeständigkeit ist hier die Verformbarkeit ein grosser Vorteil.

Bei einer durchgängigen Erwärmung auf 150 bis 160 °C, etwa in einem Heiztisch oder allenfalls auch in einer entsprechenden Furnierpresse, lassen sich die Platten in einer Vakuumpresse verformen. Laut dem Hersteller von «Staron» hinterlassen brennende Zigaretten keine Spuren. Auch ist das Material schlagfest und säurebeständig. Was die Hitzebeständigkeit anbelangt, wollte René Studer es aber noch genauer wissen: «Ich habe eine gusseiserne Pfanne so lange erhitzt, bis sie angefangen hat, rot zu glühen, und habe sie dann auf eine Mineralwerkstoffplatte gestellt», sagt er und präsentiert ein weisses Musterstück. Die lose Platte hat sich etwas gewölbt, und bei genauer Betrachtung kann ein ganz leicht hellerer Ring ausgemacht werden.

Notwendige Bewegungsfreiheit

Je nach Materialstärke und zusätzlichen Inhaltsstoffen ist aber der Biegeradius beschränkt. Im Handel erhältliche Waschbecken werden daher mit Stahlstempeln in grossen Pressen hergestellt. Die Firma Hasenkopf im deutschen Mehring bietet auch die Möglichkeit von gegossenen Produkten an. Mineralwerkstoffe reagieren in starkem Masse auf Wärme, indem sie sich ausdehnen. Ein gewisser Bewegungsspielraum muss also konstruktiv gegeben sein.

Es gibt wenige Problemzonen bei der Anwendung, aber diese sollten beachtet werden. «Wenn ein Keramikkochfeld bündig in eine Arbeitsplatte aus diesem Material eingelassen ist und eine Pfanne während des Kochens zur Hälfte über diese Platte gezogen wird, kann es zu Spannungsrissen an der Ausschnittkante kommen», erklärt René Studer. Dieses Phänomen ist auch bei HPL-Platten bekannt und kann auch bei Steinabdeckungen zu Problemen führen. Besser wäre dort ein leichter Höhenversatz oder ein Induktionskochfeld.

Gestaltendes Licht

Positiv ist auch eine weitere Materialeigenschaft: Sandra Glauser von der Kläusler Acrylstein AG in Fällanden ZH weist darauf hin, dass die Lichtdurchlässigkeit der verschiedenen Platten für Beschriftungen, aber auch als Beleuchtungselement genutzt werden kann. Sie unterstreicht das mit Fotos einer Bankfiliale in Mendrisio TI. Mit den Bildern aus dem Casino im österreichischen Zell am See zeigt die Firma Hasenkopf, was mit Strukturfräsungen, partieller Lackierung und Hinterleuchtung möglich ist. Absolut diskret und nur bei eingeschalteter Hinterleuchtung sichtbar ist ein Beispiel der Studer Handels AG. Wenn ein Signet in die Rückseite einer Platte gefräst wird, leuchtet nur dieses. Ohne Licht ist dafür nichts sicht- oder spürbar.

ab

Veröffentlichung: 01. September 2016 / Ausgabe 35/2016

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