Die Chance des Lebens

Ousmane Diassy (35) hat ein klares Ziel: Er will Werkstattchef werden. Bild: Kurt Koch

WestAfrika.  In Senegal herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit. Ousmane Diassy will den schwierigen Umständen trotzen, Werkstattchef werden und nicht als Bettler auf der Strasse landen. Er lässt sich im Schreineratelier Kayadj, das von einem Schweizer geführt wird, zum Schreiner ausbilden.

In Senegal gibt es drei übliche Varianten, um als Junger den Schreinerberuf zu erlernen: Man wird durch den Vater ausgebildet, man arbeitet bei einem Kleinstunternehmer als Apprenti (französisch für Lernender) ohne Vertrag, Lohn, Rechte und zeitliche Begrenzung oder man besucht für drei Jahre eine staatliche Lehrwerkstatt. Ousmane Diassy hat eine vierte und damit wohl auch die beste Variante entdeckt. Er lässt sich im Schreineratelier Kayadj in Albadar durch den ausgewanderten Schweizer Schreiner Kurt Koch die Kunst der hochwertigen Holzverarbeitung beibringen.

Schweizer Know-how

«Ka Yadj» bedeutet in der Sprache einer senegalesischen Volksgruppe «das Holz». Das gleichnamige Schreineratelier wurde vor wenigen Jahren durch Kurt Koch ins Leben gerufen, um den einheimischen Jugendlichen Schweizer Fachwissen zu vermitteln und die Region mit seriell hergestellten Schreinerprodukten zu versorgen. Ousmane ist im November 2013 zum Betrieb gestossen. «Ich habe als Apprenti in einem Kleinstbetrieb gearbeitet und musste eines Tages im Schreineratelier das Dach decken. Kurt Koch gab mir dabei die Instruktionen, da mein Chef meistens abwesend war. Nach getaner Arbeit fragte mich der Schweizer, ob ich mich bei ihm ausbilden lassen wolle», erzählt Ousmane. Der junge Mann aus einem kleinen Fischerdorf im Süden Senegals meldete sich daraufhin beim Schreineratelier an und wurde nach einer Aufnahmeprüfung als Lernender eingestellt. Das ist ein grosses Glück, denn er kann sich ein profundes theoretisches und praktisches Fachwissen in der Holzverarbeitung aneignen und dabei noch Geld verdienen.

In den üblichen Schreinerbetrieben werden sehr einfache Arbeiten verrichtet, und das Fachwissen ist eher gering. Beispielsweise wissen viele nicht, wie Holz schwindet und quellt, so findet man kaum eine Tür im Land, die nicht klemmt. Zudem werden Maschinenschutzvorrichtungen oft vernachlässigt. Als Lohn erhalten die Apprentis meistens nur Brot und Reis.

Strukturierte Ausbildung

Im Schreineratelier wird Disziplin verlangt. Die Arbeit beginnt morgens um 7 Uhr mit der Tagesplanung. Anschliessend wird gearbeitet bis am Abend. Wenn die Lernenden irgendwo anstehen, schiebt Kurt Koch einen Theorieblock ein. «Wir halten den Theorieunterricht sehr punktuell und flexibel», sagt der Schweizer. «Am Mittwochnachmittag und Samstagmorgen erhalten die Auszubildenden Mathematik- und Geometrieunterricht.» Ousmane gefällt das. «Ich habe bereits viele nützliche Dinge gelernt. Beispielsweise kann ich mittlerweile technische Pläne lesen und mit Maschinen arbeiten», erzählt er stolz. Er hat bereits Wandtafelzirkel für Schulen produziert und an Küchen mitgearbeitet. Ousmane ist sehr motiviert und weiss, dass er mit der Ausbildung im Schreineratelier die Chance seines Lebens in den Händen hält.

Stellenwert der Familie

«Durch meine Arbeit kann ich meine grosse Familie unterstützen», sagt Ousmane glücklich. Damit steigt sein Stellenwert in der Familienhierarchie. Wer Geld einbringt, hat in den eigenen Reihen mehr Einfluss.Die Familie hat im westafrikanischen Land eine sehr grosse Bedeutung. Das Familienoberhaupt bestimmt über das Privatleben der einzelnen Familienmitglieder. So kann nicht jedermann frei entscheiden, welchen Beruf er erlernen oder wen er heiraten will. Das alles geschieht jeweils in Absprache mit dem Familienoberhaupt. Knaben haben von Geburt an einen höheren Stellenwert als Mädchen. Diese müssen, sobald sie auf den eigenen Füssen stehen können, im Haushalt mithelfen. Die Jungs werden im Vergleich dazu kaum gefordert, sondern als künftige Familienherrscher behandelt.

Daher finden sich nur wenige junge Männer, die arbeiten wollen. Viele sitzen von morgens bis abends am Strassenrand und verplempern die Zeit. Das gefällt Ousmane Diassy nicht. «Ich will Werkstattleiter werden, aktiv bleiben und meine Kenntnisse weitergeben. Ich will nicht als Bettler herumhängen und die Zeit totschlagen.» ms

www.afrique-lien.org

Veröffentlichung: 02. April 2015 / Ausgabe 14/2015

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