Die erste Wächterin

Als Wächterin im Schweizerischen Nationalpark gehören auch Tierbeobachtungen zu Claudia Gerbers (33) neuen Aufgaben. Bilder: PD

Leute. Ja, es sei genauso, wie erhofft, respektive so, wie sie es erwartet habe. Wenn Claudia Gerber über ihre neue Arbeit spricht, tut sie dies ebenso freudvoll wie unaufgeregt. Denn nein, grosses Aufsehen machen über sich und über das, was sie erreicht hat, ist gar nicht ihr Ding.

Claudia Gerber weiss, was sie kann, und sie weiss, dass sie es sich verdient hat, hier zu sein. Hier, das heisst in Gerbers Fall im Engadin, genauer gesagt im Schweizerischen Nationalpark, dem neuen Arbeitsplatz der 33-jährigen Bauerntochter aus dem Unterland. Seit diesem Sommer ist Gerber Teil des achtköpfigen Teams von Nationalparkwächtern und nun eben auch Nationalparkwächterinnen. Dass sie die erste Wächterin überhaupt in der über 100-jährigen Geschichte des Nationalparks ist, ist ein Fakt. Einer aber auch, der sie selbst weit weniger interessiert als die Öffentlichkeit. «Natürlich war es zu erwarten, dass manche dies als etwas Besonderes empfinden, weil es bislang noch keine Nationalparkwächterin gegeben hat», sagt sie. Für sie selbst sei es einfach ein Privileg, diesen Job ausüben zu können, täglich mitten in der Natur zu sein und sich für diese und für die Sache einzusetzen. Dass Gerber nun jeden Morgen die Arbeitskleidung der Nationalparkwächterin anziehen und in die Rolle der Ansprechpartnerin, der Tierbeobachterin, der Schlichterin, der Wissenschaftlerin, der Forscherin oder der Handwerkerin schlüpfen kann, kommt nicht von ungefähr. Eigentlich ist die Vita der Wahl-Engadinerin wie eine Blaupause für die perfekte Nationalparkwächterin-Bewerbung.

«Natürlich war zu erwarten, dass manche dies als etwas Besonderes empfinden, weil es noch keine Wächterin im Nationalpark gegeben hat.»

Nach einem Umweltingenieurwesen-Studium in Wädenswil zog es Gerber vor rund zehn Jahren ins Engadin, wo sie Rätoromanisch lernte, das Bündner Jagdpatent erlangte und sich zur Schreinerin ausbilden liess. Danach folgten Jahre mit handwerklicher Arbeit in einer Schreinerei während der Wintermonate und wissenschaftlicher Mitwirkung an Projekten der Vogelwarte Sempach und des Naturparks Biosfera Val Müstair im Sommer. Arbeiten in tollen Teams, an die sie gerne zurückdenkt, und Kontakte, die sie weiterhin pflegt. Und nun also ist sie seit Juni 2025 die erste «Guardiana», wie es auf ihrer Jacke neben dem Namensschild auf Rätoromanisch heisst. Ob sie stolz auf all das sei, wird gefragt. «Ich bin einfach glücklich und dankbar, dass ich mit meinem akademischen und handwerklichen Hintergrund eine ganz gute Basis habe, die mir geholfen hat, hierherzukommen», sagt sie. «Ich fühle mich im Engadin voll und ganz angekommen», sagt sie.

Es scheint fast so, als hätte das Engadin auf sie als erste Nationalparkwächterin gewartet. Was nun aber nicht mehr weiter warten kann, ist die Arbeit an diesem Tag. Es steht eine Aufsichts- und Informationstour auf dem Ofenpass an. Gefolgt von Unterhaltsarbeiten an den Tierfotofallen. Zudem habe sie noch Pikettdienst, verrät Gerber. «Es wird also bestimmt wieder ein spannender und herrlich abwechslungsreicher Tag werden», sagt sie, verabschiedet sich und macht sich in ihrer «Guardiana»-Uniform auf in Richtung ihres neuen, weitläufigen, wilden und schönen Natur-Büros.

 

Franco Brunner

Veröffentlichung: 08. September 2025 / Ausgabe 36/2025

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