Die Welt von der Rolle

Erzeugen gewaltig Stimmung: Foto-tapeten von Rebelwalls sind mit etwa50 Franken/m2 recht hochpreisige Papiertapeten. Bild: Rebelwalls

Tapeten.  Mit ihnen lässt sich die ganze Welt mit all ihren Facetten in die eigenen vier Wände holen. Mehr Hinweise braucht es eigentlich nicht, um zu erklären, warum sich die dekorativen Rollen inzwischen wieder grosser Beliebtheit erfreuen und manchmal auch auf Möbeln landen.

Man könnte meinen, bei der Schreinerzeitung gehe es drunter und drüber. Ein Bericht über Tapeten – doch wohl ein Unding! Den Rollen am Ende gar eine eigene Materialität zuzusprechen – sicher ein Regelverstoss. Die Tapete galt lange Zeit als nahezu ausgestorben, und das nicht nur in der Schweiz. Doch inzwischen schmückt sie wieder eine veritable Anzahl von Quadratmetern der Wände landauf und landab.

«Tapeten sind seit etwa fünf Jahren stark im Trend in der Schweiz», sagt Branca Good, Gründerin und Inhaberin der Good Interiors GmbH in Glattbrugg ZH, welche für Beratung und Coaching «für spürbar schöne Räume» steht. Bei wem dieser Umstand ein Stirnrunzeln hervorruft, dem muss gesagt werden: «Es handelt sich um hochwertige Materialien mit dekorativer Wirkung. Funktionstapeten werden selten eingesetzt», erklärt die Expertin. Im Gegensatz zu manch anderen Ländern bleiben hierzulande Raufaser und Artverwandte also weiterhin tabu. Heutige Tapeten sind wie ihre historischen Vorbilder äusserst wirkmächtig, haben optische Tiefe, oft haptische Reize und lassen sich so ohne viel Fantasie, aber mit etwas gutem Willen durchaus als eigenständiges Material begreifen.

«Tapeten sind ein enorm effektvolles Werkzeug für die Raumgestaltung. Mit ihnen kann ich jede Wirkung in einen Raum zaubern», erklärt Good. Inzwischen setzt die Gestalterin praktisch in jedem Projekt wenigstens eine Tapete ein.

Zu früheren Zeiten war der Einsatz von Tapeten für schöne Räume lange Zeit unentbehrlich. Auch Gestalter Le Corbusier hat welche entworfen. Bekannt sind die farbigen Tapeten mit Punktraster. Diese Punkte sorgen für eine subtile Reflexion des Lichtes. Die Entwürfe von Le Corbusier werden heute wieder hergestellt.

Nur noch Muster sind von der einstigen Tapetenfabrik Salbura AG in Basel vorhanden. 1900 gegründet, brachte Gründer Traugott Engeli die damals revolutionäre Idee der abwaschbaren Tapete auf den Markt. Die Geschichte der Tapete reicht in der Schweiz aber noch weiter zurück, wie ein besonderes Fundstück zeigt. Seit etwa 1795 schmückte eine Tapete den Salon eines Bauernhofes im Jura. Vor der Zerstörung gerettet, wird der eher in einem Schloss denn auf einem Bauernhof zu erwartende Wandschmuck aktuell im Château de Prangins VD vom Schweizerischen Nationalmuseum ausgestellt. Die Tapete wurde urspünglich direkt auf die Holzvertäfelung aufgebracht. Eine Trennung ist ohne die Zerstörung der Tapete nicht mehr möglich.

Tapeten als hochpreisige Angelegenheit

Damals wie heute sind hochwertige Tapeten durchaus eine exklusive Angelegenheit. «Tapeten auf Möbel zu ziehen, ist ein aufwendiges und nicht ganz einfaches Unterfangen. Da muss alles sitzen», weiss der technische Leiter Erich Mettler von der Ideen-Schreinerei Odermatt AG in Adligenswil LU. Allerdings freut sich Mettler auch immer über solch besondere Arbeiten wie das Aufwerten des Schrankes für ein Projekt von Branca Good.

Auch wenn Schreinerinnen und Schreiner mit vielen Aspekten vertraut seien. Möbel mit Tapeten zu belegen, sei doch etwas anderes, so Mettler. Dass es einen Gegenzug in gleicher Art und Stärke braucht, lässt sich leicht herleiten. «Im Idealfall ist der aus dem gleichen Material. Aber Tapeten können sehr hochpreisig sein, weshalb es auch hier zu anderen Lösungen mit einfarbigen, aber gleichartigen Tapeten kommt», so Mettler.

Will man Kunststoffoberflächen tapezieren, müssen diese angeschliffen werden, um einen guten Halt zu bekommen. Und: Der Kleister wird generell auf das Werkstück aufgetragen und nicht auf die Tapete.

Bei Odermatt hat man Erfahrung mit solchen Arbeiten. Zum Einsatz kommen dabei meist Texil- oder Vinyltapeten. «Anspruchsvoll ist vor allem die Kante. Wird sie lackiert, muss das vor dem Belegen mit der Tapete geschehen», sagt Mettler. Alltäglich sind solche Arbeiten nicht. Kein Wunder: «Man muss die Leute etwas hinführen. Kaum jemand weiss, dass man Schränke tapezieren kann», sagt Petra Babst, zuständig für Farbberatung und das Marketing bei der Odermatt AG. Kunden, die dekorativen und farbigen Lösungen gegenüber grundsätzlich offen seien, würden sich dafür aber meist interessieren.

Interessantes Feld für Schreiner

Herauszufinden, was sich Kunden tatsächlich wünschen, ist auch für Branca Good zentral. «Die Leute haben oft Mühe, zu formulieren, was sie wirklich möchten. Ihre wahren Bedürfnisse sind meist etwas verborgen. Durch die richtigen Fragen kann ich diese ans Licht bringen», erklärt die Raumflüsterin, wie sie sich selbst nennt. Zuerst hört sie jedoch zu, den Räumen, versteht sich. Denn die erzählen denen, die zuhören können, sehr viel über sich. «Das ist nichts Esoterisches, vielmehr eine Sensibilität. Das gibt es auch in anderen Bereichen wie in der Medizin oder bei der Arbeit mit Tieren. Bei mir sind es eben nebst den Menschen auch die Räume, die ihre Bedürfnisse und Wünsche äussern», sagt Good.

Die Erfahrung gibt ihr recht. «Wenn es mir gelingt, die Menschen auf dieser Ebene abzuholen, fühlen sie sich zutiefst verstanden, und es entsteht ein Vertrauensverhältnis», so die Expertin. Mutmasslich sind es oft weniger intensive Kundenbeziehungen, die zu der Vielzahl von weissen Kunststoffoberflächen führen. Die sind unauffällig, damit macht man nichts falsch, aber sie sind auch wenig gewinnbringend, abgesehen von ihrer Funktion und dem niedrigen Preis.

Schreiner wie Erich Mettler bereitet das Experimentieren mit Tapeten und anderen Materialien für Möbel viel Freude und sieht seine Kolleginnen und Kollegen dafür gut aufgestellt. Mithilfe von Tapeten kann so zum Schmuckstück werden, was vorher langweilig weiss in Kunststoff war. Und davon gibt es genügend, weshalb die Tapete durchaus weiter Fläche gutmachen kann.

www.goodinteriors.chwww.odermatt.swiss

Tapetenarten

Reichlich Auswahl bei der Rollenware

Struktur, Farbe, Beschichtung, Trägermaterial oder Machart sind nur einige Kriterien, nach denen sich Tapeten sortieren lassen. Wichtige Gruppen:

Vliestapeten

Bestehen aus einseitig imprägniertem Vliesträgermaterial aus Zellstoff und Textilfasern mit Bindemittel. Werden trocken ins Kleisterbett gelegt. Arbeitet nur wenig und ist luft- und dampfdurchlässig. In allen möglichen Designs verfügbar, haben Vliestapeten einen gewichtigen Anteil am Markt.

Papiertapeten

Je höher das Papiergewicht, desto höher die Qualität. Das Papier kann bedruckt, geprägt, geknittert, gerafft oder einfach glatt sein. Festere Qualitäten werden aus zwei Schichten (Duplex) zusammengefügt. Auch die Fototapete mit verschiedenen Druckverfahren gehört dazu. Papiertapeten werden eingekleistert, zusammengelegt, und eine Weichzeit wird eingehalten. Die dann gedehnte Bahn zieht sich beim Trocknen wieder zusammen.

Textiltapeten

Älteste, teure und heute seltene Tapete, da Stoffeffekte meist mit anderen Methoden nachgebildet werden. Textiltapeten bestehen aus einem Träger (Vlies oder Papier) und einem aufgebrachten Gewebe aus Wolle, Leinen, Seide oder auch anderen Materialien wie Gräser oder Blätter.

Vinyl- und Kunststofftapeten

Aus PVC auf einer Papier- oder Vliesträgerschicht. Häufig auch mit 3D- Prägestruktur durch aufgeschäumten Kunststoff. Scheuerbeständig und abwaschbar, aber wenig atmungs- aktiv und deshalb schimmelanfällig.

Metalleffektbeläge

Bestehen aus dünner Aluminiumfolie, auf Vlies- oder Papierträger kaschiert. Effekte werden durch das Aufbringen farbiger Lasuren, das Ätzen und Oxidieren erzielt.

Christian härtel, CH

Veröffentlichung: 31. August 2023 / Ausgabe 35/2023

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