Ein Schreiner, der hoch hinaus geht

Leo Bircher (heute 73) begeisterte das Publikum mit spektakulären Balancenummern, wie hier in den 1980ern mit Hochrad und Tür. Bild: PD

Achtzigerjahre. Sportanlage Sihlhölzli Zürich. Die Reporterin rennt neben dem Zwei-Meter-Einrad her und hält dem trampelnden Leo Bircher ein Mikrofon vor die Nase. «Warum machen Sie das?», ruft sie nach oben.

«Na gut. Mich erfreuen Balancenummern», erhält sie zur Antwort. «Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet eine Tür auf dem Kopf zu balancieren?», will sie wissen. «Ach so. Ich habe immer Ideen. Ich bin Schreiner. Die Tür habe ich selber gemacht und fahre mit ihr jetzt fast 9 Kilometer auf dem Einrad», erklärt er. Beim Absteigen vom hohen Rad holpert es. Dieses Mal verletzt er sich nicht. Die Reporterin atmet auf. Der Abstieg verlief auch schon unsanfter, und er brach sich bei der Landung einen Arm. Gebrochen hat er nicht nur die Arme, sondern auch Weltrekorde. 2 Stunden, 1 Minute und 17 Sekunden trägt er einen Besen auf der Nase; 3 Stunden und 1 Minute ein offenes Zeitungsblatt auf der Zahnbürste. 100 gefüllte Gläser balanciert er auf einer Glasplatte auf dem Kopf über eine 2 Meter hohe Bockleiter. Einen Stuhl hält er 35 Minuten auf seiner Stirn im Lot. Das Fernsehen reisst sich um seine Auftritte. Er trifft Stars wie Roy Black, Udo Jürgens, Thomas Gottschalk, Kurt und Paola Felix. Bircher ist einer von ihnen. Bis zu 50 Auftritte macht er pro Jahr. Auf Kreuzfahrtschiffen geht es bis nach Brasilien. Im Alter von 36 Jahren stellt er einen Rekord im Limbo auf, indem er unter einem 29,7 Zentimeter hohen Holzstab hindurchtanzt. 1994 der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. So beharrlich er seine artistische Seite vorantrieb, so beharrlich blieb er dem Schreinerberuf treu. Vor 8 Jahren erreichte er das Pensionsalter nach 45 Jahren bei der Blattmann und Odermatt AG in Oberägeri ZG. Hier hatte er bei Firmenfesten auch erste Auftritte. «Dank des Wohlwollens meiner Chefs konnte ich berufsbegleitend auftreten», sagt er und fügt hinzu, dass er die verpasste Arbeitszeit immer nacharbeitete. Inzwischen ist er 73 Jahre alt. Die Zeit der Auftritte in der grossen, weiten Welt, die Zeit der Tänzerinnen und des Balancierens ist vorbei. «Meine Muskelkraft hat nachgelassen», sagt er, und fügt hinzu, dass er dankbar für alles sei, was er erleben durfte. In be- scheidenen und arbeitsreichen Verhältnissen, als einer von 8 Geschwistern, als «Sennebueb vo dr Chäserei Bodä» aufgewachsen, schaffte er es mit Geschick und Glück ganz nach oben. «Das ist ein Geschenk», sagt er. Und wenn Leo Bircher einen runden Geburtstag mit Hunderten von Freunden, Bekannten und viel Tamtam feiert, gehen die Einnahmen immer an die Stiftung «Denk an mich» für Menschen mit Behinderungen.

«Ich habe immer Ideen. Ich bin Schreiner. Die Tür habe ich selber gemacht und fahre mit ihr jetzt 9 Kilometer auf dem Einrad.»

Bald wird der Mann aus Emmetten NW seinen 75. feiern. Wieder mit zahlreichen Gästen. Die Biografie «Leo Bircher: Ein Leben in Balance» des Autors Christian Hug wird diese Feier krönen. Die Einnahmen gehen wieder an «Denk an mich».

Beatrix Bächtold

Veröffentlichung: 16. Oktober 2023 / Ausgabe 41/2023

Artikel zum Thema

16. Mai 2024

Auch für guten Speck brauchts Holz

mehr
13. Mai 2024

Ein Nautiker für alle Fälle

Leute. Eigentlich hat Tom Hofer einen Beruf im Winter und einen im Sommer. Winters arbeitet der gelernte Schreiner als Abteilungsleiter der Schreiner und Zimmerleute in der Werft der BLS Schifffahrt AG in Thun BE.

mehr

weitere Artikel zum Thema:

Leute