Ein Schreiner mit Musikgehör

Samuel Favri (29) ist bereits seit über zehn Jahren Dirigent. Bild: Ayana Germann

Für Musikanten sind es schlechte Zeiten. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie durften sie kaum mehr proben und auftreten. Samuel Favri aus Aeschi bei Spiez BE ist als Musikant und Dirigent doppelt betroffen. Als im März der Lockdown ausgerufen wurde, probte der Kornettist gerade mit der Brass Band Leissigen für das Frühlingskonzert. Auch im Oktober, als die Band die Vorbereitungen für das Winterkonzert aufnahm, war schon nach zwei Proben wieder Schluss. «So macht es keinen Spass, mir fehlt langsam die Motivation zum Üben», sagt der Schreiner, der bei der Sarbach AG in Frutigen arbeitet. Im ersten Lockdown, als keine Gottesdienste stattfanden, stieg er sonntags mit seiner Frau – ebenfalls eine Kornettistin – auf den Kirchturm und gab ein Ständchen für das Dorf. Begonnen hat die musikalische Karriere des heute 29-Jährigen wie bei vielen in der ersten Klas- se mit Blockflötenunterricht. Später stieg er aufs Saxofon um und trat in die Jugendmusik ein. Als diese aufgelöst wurde, wechselte er zur Musikgesellschaft Krattigen, wo er Saxofon und später Waldhorn spielte. Bereits im zweiten Lehrjahr absolvierte er den Vorbereitungskurs für die Dirigentenausbildung und übernahm bald schon die Leitung der Junior-Band in Krattigen.

«Ich war ein sehr junger Dirigent, kaum älter als die Mitglieder der Band», sagt er lachend. Als Dirigent der Jugendmusik Frutigen lernte er seine Frau kennen, mit der er heute eine Wohnung in seinem Elternhaus in Aeschi bewohnt. Die erste grosse Dirigentenstelle trat er als 23-Jähriger beim Musikverein Heiligenschwendi an. Er setzte sich als Neuling gegen zwei gestandene Mitbewerber durch und baute das Blasorchester zu einer Brass Band um. Favri sucht neue Stücke und adaptiert sie für seine Besetzung. Dazu studiert er die Stücke eingehend, liest die Partitur und spielt sich vieles am Klavier vor. «Für die Vorbereitung nehme ich mir sehr viel Zeit. Ich habe ein gutes Musikgehör, kann aber nicht besonders gut Noten lesen», erklärt er. 2019 führte der Musikverein gemeinsam mit der Schule Heiligenschwendi «D’Zäller Wiehnacht» auf. Favri passte das Stück für die Besetzung an und schrieb die gesamte Partitur selbst. Der Erfolg der Aufführung war wertvoll für den Musikverein. «Neben all den anderen Freizeitaktivitäten hat Musik bei den Jungen einen schweren Stand. Dieses Projekt war gute Werbung und hat viel Wohlwollen geschaffen», sagt Favri. Seit letztem Sommer kann er an der Basis ansetzen: Er unterrichtet in der Schule Heiligenschwendi das Wahlfach Musik. «So kann ich auch Kinder ohne Bezug zur Musik erreichen und sie dazu animieren, ein Instrument zu erlernen.» Obwohl das aktive Musizieren im Moment zu kurz kommt, bleibt Musik im Alltag des Schreiners wichtig. Am liebsten hört er Brass Bands oder klassische Werke.

Oft setzt er sich nach Feierabend aufs Sofa und hört bewusst und ohne Ablenkung hin. «Gut ist Musik, wenn sie berührt. Und das hat damit zu tun, was der Musiker reingibt. Wenn jemand mit Leidenschaft und Herz spielt, spürt man das», meint er. Ausserdem bleibt jetzt mehr Zeit für die Flippersammlung, die er mit seinem Vater hat. Er flickt alte Flipperkasten und spielt auch gerne damit, wie er lachend zugibt.

«Gut ist Musik, wenn sie berührt. Wenn jemand mit Leidenschaft und Herz spielt, spürt man das.»

Franziska Gertsch

Veröffentlichung: 25. Februar 2021 / Ausgabe 9/2021

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