«Eine einzigartige Erfahrung»

Für Prisco Egli (r.) war die Arbeit in Indonesien von gegenseitigem Respekt geprägt. Bild: PD

Weltmeisterliches Training. Prisco Egli, Weltmeister in der Kategorie Massivholzschreinerei, hat in Südostasien die indonesische Nationalmannschaft für die World-Skills-Ausscheidung trainiert. Dabei erlebte er mehr als eine Überraschung.

Und dann fehlte diese eine Schraube. «Kein Problem», meinte der Fahrer, «die finden wir.» Sie kurvten kreuz und quer durch Jakarta, von einem Fachgeschäft zum nächsten, aber die Schraube war und war nicht aufzutreiben. «Am Schluss habe ich sie bestellt – in Deutschland», erzählt Prisco Egli und lacht. Er sitzt im Aufenthaltsraum in der Schreinerei seines Vaters in Niederstetten SG, einem kleinen Weiler zwischen Wil und Uzwil. Hier arbeitet er neben seinem Bachelorstudium in Holztechnik zu 50 Prozent als Schreiner.

Mit seinem Kopf aber ist er immer wieder in Indonesien, dort, wo er sein Studienpraktikum absolviert hat. Vor ihm auf dem Tisch steht sein aufgeklapptes Notebook mit den Fotos – Erinnerungen an elf bewegte Monate. Sie zeigen ihn im weissen Hemd an einer Sitzung – «da verstand ich noch kaum ein Wort indonesisch», erzählt er – oder am Messestand der deutschen Non-Profit-Organisation Fairventures Worldwide, für die er das einheimische Leichtholz promotete. Es folgen Fotos von Prisco Egli im Regenwald in Borneo mit lokalen Bauern bei der Aufforstung und schliesslich in der PIKA, einem Schreiner-Schulungsbetrieb in Semarang, wo er die indonesische Nationalmannschaft für die bevorstehende Weltmeisterschaftsselektion trainierte.

Man sieht sechs junge Indonesier, die ihm an den Lippen und an den Händen hängen; aufmerksam, interessiert. «Das war eine einzigartige Erfahrung», sagt der 27-Jährige und schwärmt von den Kandidaten und ihrer grossen Motivation. Überhaupt seien die Indonesier «ein tolles Volk». Zwar könne man sich nicht immer darauf verlassen, wenn sie «ja, das klappt schon», rufen – wie bei besagter Schraube. Aber sonst habe er noch selten so viele offene, gastfreundliche und herzliche Menschen getroffen.

Tipps und Tricks für Berufskollegen

Das Training hat der zweifache Schweizermeister und Gewinner der Berufsweltmeisterschaften 2013 in Leipizig der Kategorie Massivholzschreinerei auf eigenen Wunsch geleitet. Sein Vorgesetzter bei Fairventures Worldwide unterstützte Eglis Engagement und schenkte ihm eine Woche Arbeitszeit.

So kam es, dass der Ostschweizer Schreiner- Weltmeister seine Kollegen in Südostasien mit Tricks und Tipps versorgte und sie bei der Vorbereitung auf die Selektion begleitete. Zwar brachte er bereits reichlich Erfahrung als Experte an den Swiss Skills, auf kantonaler und regionaler Ebene mit. Doch Indonesien war eine andere Nummer – Neuland punkto Ausbildung, Sprache, Werkzeug, ein Schritt ins Ungewisse. Ein Abenteuer, das zur Herausforderung hätte werden können und sich stattdessen über die ganze Zeitdauer hinweg verblüffend einfach gestaltete.

Die Chemie zwischen ihm und den Schreinern habe auf Anhieb gestimmt, sagt Egli, und darüber freut er sich bis heute: «Sie akzeptierten mich nicht nur, ich spürte einen grossen Respekt vor mir und meinem Weltmeistertitel.» Der Respekt sei gegenseitig gewesen. Denn Egli staunte über das hohe Niveau der Arbeit und den einfachen Maschinenpark. Was ihm besonders wichtig war: «Ich wollte nicht als Oberlehrer oder Besserwisser einfahren, sondern die Kandidaten dabei unterstützen, ihr Potenzial auszuschöpfen.»

Zunächst habe er einfach geschaut, wie die indonesischen Anwärter arbeiten. Dabei seien ihm zwei Dinge aufgefallen: «Sie konzentrierten sich total auf saubere Verbindungen, darin sind sie Weltklasse. Aus gutem Grund, schliesslich gibt es dafür viele Punkte. Handkehrum arbeiteten sie beim Verleimen überraschend schludrig. Beim Finish gab es also Luft nach oben.» Hier habe er angesetzt, erklärt, demonstriert, Feedback gegeben. Auf Indonesisch, auf Englisch und mit Händen und Füssen. Mindestens so interessiert wie seine Mannschaft seien die Experten gewesen, und selbst Maschinenvertreter hätten seine Ausführungen interessiert verfolgt. «Das Interesse war mega gross, so erzählt man einfach gerne», schwärmt Egli. Neben der Praxis gab er auch Theorie weiter.

In seiner Schulung machte er die jungen Berufsleute mit dem Ablauf an den World Skills vertraut, gab Tipps für eine effiziente Planung und erzählte von seinen eigenen Erfahrungen an der Weltmeisterschaft. «Seit den World Skills weiss ich, wie es ist, wenn man eine Aufgabe auf die Minute genau planen und sie dazu noch mit anderem Werkzeug als gewohnt lösen muss.»

Brüderlicher Support

Auch Egli selbst hatte einst hart trainiert für die Weltmeisterschaft. Und bis heute ist er froh um den Support seines älteren Bruders Luzio. Als Luzio 2009 von den World Skills in Kanada die Bronzemedaille nach Hause brachte, gab es für Prisco nur noch ein Ziel: ebenfalls eine Medaille zu holen. Der Schreinerlehrling gab kräftig Gas. Nahm im dritten Lehrjahr an der Vorausscheidung für die Schweizermeisterschaft teil, liess im vierten Lehrjahr 900 Konkurrenten hinter sich und wurde gleich zweimal Schweizermeister – als Möbelschreiner und als Bauschreiner – und toppte diesen Erfolg 2013 mit WM-Gold in Leipzig. «Das habe ich zu einem grossen Teil dem Training mit meinem Bruder zu verdanken», erklärt er sich den Erfolg. Zudem könne er sich selber recht gut einschätzen: «Ich sah realistisch, wo meine Stärken lagen und wo es Verbesserungspotenzial gab.»

Diese Überlegung spielte auch bei der Wahl seines Studienpraktikums eine entscheidende Rolle. «Fachlich und technisch sah ich kaum Bedarf», sagt er in seiner ruhigen, überlegten Art und wirkt dabei kein bisschen arrogant. Doch punkto Kommunikation wollte der angehende Holztechnik-Wissenschaftler dazulernen: «Es gibt so viele Schnittstellen mit unterschiedlichen Leuten, da sind die richtigen Worte entscheidend. Mir gefiel die Idee, in eine neue Sprache und eine andere Mentalität einzutauchen.» Zudem behagte ihm der nachhaltige Ansatz von Fairventures Worldwide, die ihr Ziel, eine Million Bäume zu pflanzen, kürzlich erreicht hat.

Kein einfacher Start

Der Start sei nicht einfach gewesen, räumt er ein. Ein fremdes Land, eine ungewohnte Sprache, unbekannte Menschen.

«Mann, und da bleibe ich jetzt ein ganzes Jahr», habe er sich zu Beginn mehr als einmal gedacht. Nach dem dreiwöchigen Intensiv-Sprachkurs in Indonesisch wurden die Hürden kleiner. Egli lebte sich ein, genoss das asiatische Essen, sein Praktikum an der Schnittstelle von Ökologie und Holzwirtschaft, die freundlichen Leute, die ihm sofort vertrauten und zuhörten. «Für sie war ich trotz meines junges Alters ohne Zweifel ein Experte.» Immer wieder erlebte er Dinge, die in der Schweiz unmöglich wären. «Gearbeitet wird oft draussen, mit Werkzeug, das man bei uns allenfalls im Museum vermuten würde. Trotzdem wird alles irgendwann fertig.» An den legeren Umgang mit der Zeit habe er sich ebenso gewöhnen müssen wie an das unverbindliche «Ja, ja», das eher mit «vielleicht schon, vielleicht auch nicht» zu übersetzen ist.

Auf Indonesien folgt Indien

Zurück in der Schweiz, ging das Umgewöhnen gleich weiter: Plötzlich war das Tempo wieder höher, die Freizeit kleiner, die Deadline für die Bachelorarbeit näher, die Prüfungen in Sichtweite, dazu die Arbeit im väterlichen Betrieb, die Vereine.

Und dazwischen immer wieder Indonesien – Erinnerungen, Fotos, Nachrichten von den Menschen, die er dort kennengelernt hat und die ungeduldig fragen, wann er wieder einmal zu Besuch komme.

Aber nach Abschluss der Fachhochschule in Biel lockt erst einmal noch eine neue Destination: Indien. Dort fördert das Projekt der Schweizer Joshi Stiftung das duale Bildungssystem und ermöglicht Menschen aus finanzschwachen Familien eine Ausbildung. Und dort wird Prisco Egli den angehenden WM-Kandidaten coachen, mit dem Ziel Kazan 2019.

Aus Indonesien hat ihn bereits eine erfreuliche Nachricht erreicht: An den Asean Skills haben die Indonesier zweimal Gold und zweimal Silber gewonnen und sich damit für die Berufs-Weltmeisterschaft qualifiziert.

www.fairventures.orgwww.swissskills.ch

Hid

Veröffentlichung: 04. Juli 2019 / Ausgabe 27/2019

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