Einmal im Leben Muschelfee sein

Für die begeisterte Fasnächtlerin Shelby Lee Widmoser (29) ging 2017 der Traum von der Muschelfee in Erfüllung. Bild: Franco Baumgartner

Leute. Wie hübsch sie ist. Wow, und dieses Kleid! Die riesige Muschel, in der sie wohnt – ein einziges schimmerndes Geheimnis. Wie eine Prinzessin, wie im Märchen. «Einmal im Leben», denkt die kleine Shelby Lee Widmoser sehnsüchtig, «möchte ich auch Muschelfee sein».

Hier wird eine Erklärung fällig: Die Muschelfee ist die Hauptgestalt der Sirnacher Fasnacht (Sifa), und die Sifa ist wiederum die grösste Fasnacht im Tannzapfenland, wie die Region im südlichen Thurgau an der Grenze zum Kanton St.Gallen genannt wird. Jeweils am Schmutzigen Donnerstag – wie am heutigen Tag – um exakt 18:51 Uhr übernimmt die Muschelfee die Hoheitsgewalt über die Gemeinde. Sie führt – begleitet von den Muscheldamen – hoch auf ihrem Wagen den Fasnachtsumzug an, beglückt Kinder mit kleinen Schleckmuscheln und besucht Schulen. Widmoser ist der lebende Beweis, dass Träume manchmal tatsächlich in Erfüllung gehen: 2017 schlüpft die gelernte Schreinerin aus Wil SG ins festliche Gewand der Muschelfee. «Ich fühlte mich wie eine Prinzessin», erinnert sie sich an jenen aufregenden Moment und die Fasnachtstage danach. Als sie zum ersten Mal selber in der Muschel auf dem Wagen stand, habe sie gedacht: «Das kann nicht sein, ich träume!» Wie im Rausch erlebte sie die närrischen Tage, vor allem der Umzug ist ihr noch präsent, als wäre es gestern gewesen.

«Es kam mir vor wie ein Film: Die Sonne strahlte vom tiefblauen Himmel, die Leute jubelten mir zu, Kinder bettelten nach Schleckmuscheln – von mir aus hätte es stundenlang weitergehen können.» Unvergessen ist auch der Moment, als ihr, umringt von unzähligen Schaulustigen, das Muschelgeschmeide auf dem Gemeindeplatz angezogen wurde. Sie lacht: «Ich kam mir vor wie ein kleiner Star!» Die heute 29-Jährige ist keinesfalls ahnungslos ins Abenteuer gestartet – zuvor hatte sie die Muschelfee als Muscheldame begleitet. Als ihr Name bei der Muschelfee-Wahl fiel, wusste sie, was auf sie zukommen würde. Seit 2011 engagiert sich die Ostschweizerin im Verein der Sifa: zuerst als Helferin, dann als Leiterin des Ressorts Eröffnung und Bau «Fürlizapfe». Hier wird eine zweite Erklärung fällig: Der «Fürlizapfe» – jedes Jahr ein anderes aktuelles Sujet aus Holz – wird jeweils am Umzug enthüllt und am Dienstag danach verbrannt. Über das diesjährige Sujet darf Widmoser nichts ausplaudern, weil «streng geheim». Ein wenig schwärmen von ihrer Aufgabe ist aber durchaus erlaubt: «Als gelernte Schreinerin ist es das perfekte Projekt für mich.»

Rückenprobleme hatten sie vor einigen Jahren ins Büro gezwungen, doch beim «Fürlizapfe»-Bau kann sie wieder selber Hand anlegen: vom Planen übers Zeichnen über die Materialsuche bis hin zur Konstruktion und Ausgestaltung. Die Sifa 2023 ist Widmosers Dernière als Ressortleiterin im Vorstand. Ihre Lebenssituation hat sich verändert, sie ist nach St.Gallen gezogen und möchte mehr Zeit haben für anderes.

Heute aber, am Schmutzigen Donnerstag, wird sie mit Haut und Haar und viel Herz dabei sein, wenn die Muschelfee ihr Amt antritt. Sie wird mitfiebern und zu dem Umzug der Muschelfee und der geheimnisvoll schimmernden Muschel aufschauen – wie damals als kleines Mädchen. Mit einem Unterschied: Jetzt weiss sie, wie es sich anfühlt, Muschelfee zu sein.

«Es kam mir vor wie ein Film: Die Sonne strahlte, und die Leute jubelten mir zu – von mir aus hätte es stundenlang weitergehen können.»

Franziska Hidber

Veröffentlichung: 20. Februar 2023 / Ausgabe 7/2023

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