Einmal Sperrholz ungepolstert, bitte

In den Pressen werden sechs Sitze gleichzeitig verleimt und in Form gebracht. Der Leimauftrag, die korrekte Sortierung der Furniere und die Beschickung sind jedoch Handarbeit. Bild: SZ, Noah J. Gautschi

Bussitze.  Ohne es zu merken, sitzt so mancher Passagier im Zug oder Bus auf einem gepolsterten Sperrholzsitz. Die Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland wollen jetzt das Sperrholz sichtbar machen. Aber bei den Sitzen ist noch lange nicht Schluss, weitere Elemente sind in Planung.

Die Haptik und der Wohlfühlfaktor werden immer wichtiger, wenn es um die Entwicklung von neuen Gebrauchsgegenständen geht. Da die Verkehrsbetriebe Zürichsee und Oberland (VZO) bis ins Jahr 2020 rund 40 Busse ersetzen wollen, spielen diese auch hier eine wichtige Rolle. Ziel ist es, einen Mehrwert für den Passagier zu erhalten und so werden die von Mercedes Benz gelieferten Fahrzeuge mit Multimediageräten, visuellen Anzeigen und viel einheimischem Holz ausgestattet.

Die ersten sichtbaren Holzsitze

Es ist für die Schweiz eine Premiere, dass ein Linienbus mit sichtbaren Holzsitzen, Holzablagen und Holzverkleidungen ausgebaut wird. Dem Passagier ist aber gar nicht bewusst, dass sich unter dem Polster von fast jedem Bahn- und Bussitz eine Schale aus Formsperrholz befindet. «Wir produzieren die Sitzschalen, Klapptische und diverse Verkleidungen für Bahn- und Bushersteller auf der ganzen Welt», erklärt Jürg Mock, Verkaufsleiter der Hess & Co. AG aus Döttingen AG.

Mit Einzigartigkeit zum Auftrag

Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass ein Schweizer Unternehmen die Linienbusse von Mercedes Benz mit Sichtsperrholzsitzen ausbauen kann. Diese einzigartige Möglichkeit ist das Resultat eigener Entwicklungen und laufender Verbesserungen in der eigenen Produktpalette.

Im öffentlichen Verkehr gibt es ganz bestimmte Anforderungen an die verwendeten Materialien. So müssen die sichtbaren Holzteile die Brandkennziffer 5.3 erfüllen. Hier kam die grosse Erfahrung der Hess & Co. AG im Brandschutz zur Geltung. Durch ein spezielles Imprägnierverfahren werden die Formsperrholzelemente mit Schwefelphosphor durchgängig und langfristig gegen Feuereinwirkungen geschützt. So behandelte Produkte werden unter dem Namen «GUARDIAN» vertrieben. Diese schwere Entflammbarkeit und ein funktionierendes Qualitätsmanagement, gepaart mit einer speditiven Entwicklung im eigenen Haus, waren die Schlüsselelemente für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Am Anfang waren die Sitze

Über den Busausbauer erreichte die Firma Hess & Co. AG eine Offerte für die Bussitzschalen in Sichtsperrholz, welche diese schon seit einiger Zeit in deren Auftrag anfertigt. Die VZO hatten die Anforderung eingebracht, die Sitze mit sichtbarem Sperrholz zu fertigen. So sollte die gewünschte Optik und Haptik im Bus einziehen. «Es ist auch immer ein gewisses Risiko bei einer einzelnen Bemusterung vorhanden. Die Arbeit mit Prototypen ist sehr aufwendig», sagt Hans Schifferle, Leiter Formsperrholz bei der Hess & Co. AG.

Neben den normalen Bussitzen stellten die Sitze auf den Bustanks eine kleine Herausforderung dar, da hier eine komplexe Form vorgegeben war. «Durch unsere eigene Entwicklungsabteilung konnten wir schnell auf die Wünsche der VZO reagieren», fügt Hans Schifferle an.

Bei den Tanksitzen musste die Deckschicht, welche bei den normalen Sitzen aus einem Schälfurnier bester Qualität besteht, durch ein spezielles 3D-Furnier ersetzt werden. So konnte auch bei der komplexen dreidimensionalen Form eine gleichbleibende hohe Qualität gewährleistet werden.

Weiter ging es mit den Verkleidungen

Nach der erfolgreichen Bemusterung der Sitze kontaktierten die VZO die Firma Hess &  Co. AG direkt. Aufgrund der bisherigen Erkenntnisse entdeckte man das Potenzial des Werkstoffes und wollte noch weitere Teile aus Holz anfertigen lassen.

Dazu zählt zum Beispiel die Deckenverkleidung. Hier kommen ebenfalls die strengen Brandschutzbestimmungen im Fahrzeugbau zum Tragen. Aus diesem Grund musste auf einen HPL-Werkstoff als Träger zurückgegriffen werden. Für den Chauffeur wurde zudem eine spezielle Armaturenbrettverkleidung hergestellt – natürlich in Eiche furniert. So kommen alle Insassen in den Genuss des neuen Reisegefühls.

Ein Kreis, der sich schliesst

Durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Bus kamen der Entwicklungsabteilung der Hess & Co. AG noch weitere Ideen. Eine Idee, die den Weg in den Musterbus gefunden hat, sind die Verschalungen für Stehplätze. So kann sich der Passagier auch im Stehen an eine warme Holzoberfläche anlehnen. Hans Schifferle sagt: «Der ganze Auftrag ist wie ein Kreis, der sich am Ende geschlossen hat und doch immer weitergeht». Bei einem so grossen und intensiven Projekt sind sehr viele Personen involviert und Entscheide gehen meist über mehrere Stationen. «Mercedes Benz wollte sich natürlich selbst von der Qualität der verbauten Teile überzeugen, bevor sie die Freigabe zum Einbau erteilten», erzählt Hans Schifferle schmunzelnd und mit Stolz.

Die Passagiere haben das Wort

Frei nach diesem Grundsatz wurde der Musterbus auf unterschiedlichen Buslinien der VZO eingesetzt, um dem Passagier eine Besichtigung zu ermöglichen. Der Start dieser mehrmonatigen Testphase war der 7. Oktober 2014.

An diesem Tag wurde der Bus an den Zürcher Bahnhöfen Uster, Wetzikon und Männedorf zur Besichtigung ausgestellt. Ab dem 8. Oktober verkehrte der Bus mit dem holzigen Innenleben im Tagesgeschäft. Ziel dieser ganzen Aktion war eine Annäherung der Kundschaft an den neuen Bus und natürlich das Aufdecken von Fehlern vor der Serienfertigung.

Am Ende der Testphase werden die Passagiere darüber abstimmen können, ob sie zukünftig im hölzigen Bus fahren wollen. Erst anschliessend steht dann fest, ob der Bus so in Serie gehen kann.

Das hat die Umfrage bisher ergeben

Nun ist das Fahrzeug seit über vier Monaten im Testbetrieb. Gute 80 % der Fahrgäste beurteilen die neue Ausstattung im Ganzen als gut bis sehr gut. Bei den Holzsitzen gehen die Meinungen, was die praktische Seite angeht, etwas weiter auseinander. 57 % empfanden die Holzsitze als sehr angenehm. 24 % geben eine schlechte bis sehr schlechte Bewertung ab.

Der Hauptkritikpunkt ist die mangelhafte Rutschfestigkeit der Holzoberflächen. Was die Holzoptik angeht, ist die Meinung jedoch wieder klar positiv. 79 % finden die Optik gut bis sehr gut und loben das dadurch erreichte Erscheinungsbild.

Lösung in Sicht

Die Rutschfestigkeit muss natürlich verbessert werden, um eine Serienproduktion zu starten. «Die VZO sehen klares Potenzial für die Holzsitze, wenn diese Problematik behoben ist», sagt Joe Schmied, Leiter Angebot und Markt bei der VZO. In enger Zusammenarbeit mit der Hess & Co. AG wird im Moment mit neuen Oberflächenbehandlungen versucht, die Oberflächenhaftung zu optimieren.

Erste Oberflächenentwicklungen sind schon so weit, um wieder im Bus getestet werden zu können. «Sobald die neue Oberfläche im Einsatz ist, werden wir eine neue Umfrage starten», erklärt Joe Schmied.

Zukunftsmusik

Die VZO sind sehr optimistisch, was die Einführung der Holzsitze angeht. Scheinbar sind sie sehr vom Werkstoff Holz angetan. Noch bevor die ersten Sitze in Serie verbaut sind, kommen von der VZO schon weitere Ideen, um noch mehr Holz in die Busse zu integrieren. Die Metallgestelle, welche die Holzsitze umranden, sollen in naher Zukunft ebenfalls aus Holz ausgeführt werden. Das Projekt ist alles andere als auf dem Holzweg, denn die Zeichen stehen gut, dass die Passagiere der VZO auch in Zukunft auf Holz ihre Wege gehen.

www.hessco.chwww.vzo.ch

Als Einzige überlebt

Als die Sperrholzfabrik Hess & Co. AG von Franz Hess 1929 gegründet wurde, gab es in der Schweiz zirka zehn weitere Sperrholzfabriken. Mittlerweile ist es die einzige, die übrig geblieben ist. Diese Tatsache lässt auf eine turbulente Zeit schliessen, die nur dank stetigen Entwicklungen und nahem Marktkontakt erfolgreich zu überstehen war.

Laufend neue Innovationen

Seit den 80er-Jahren hat die Firma fünf Teilbereiche. In diesen ist die Firma bis heute für innovative und einzigartige Produkte bekannt. Im Alltag kommt man viel mit Produkten aus den Bereichen Federleisten für Bettroste, Ski- und Snowboardkerne und dem Bereich Formsperrholz in Kontakt, ohne von deren Herkunft zu wissen.

Aber auch im Bereich Holzbau ist die Firma für spezielle Leimverbinder bekannt und natürlich werden nebenbei noch eine Menge Sperrholzplatten produziert.

Durch die Entwicklungen, die im eigenen Haus durchgeführt werden, konnte sich die Firma ein wertvolles Wissenskapital erarbeiten. So ist sie auch international sehr gefragt und erwirtschaftet zirka 70 von 100 Franken im Auslandgeschäft.

njg

Veröffentlichung: 12. März 2015 / Ausgabe 11/2015

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