Engadiner Spezialität: Die Arven

Die Arve verkörpert dank ihres Verwendungszwecks noch immer das alte Handwerk. Bild: Schwab und Partner

Die Arve.  Die Arve verströmt einen angenehmen Duft. Sie ist aber auch astig und hat einen hohen Splintanteil. Schreiner in Pontresina erzählen über den Markt für dieses besondere, langsam wachsende Holz, die sich verändernden Kundenwünsche und Marketingideen.

Je höher man im Bündner Wald kommt, desto mehr herrscht die Arve vor. Sie wächst sehr langsam. Ihre Jahrringe sind im Schnitt gerade mal einen Millimeter breit. Dafür kommt sie mit den extremen Temperaturen von bis zu –30 Grad Celsius und den kurzen Bergsommern zurecht und schafft es bis hinauf zur Baumgrenze. Bis zu 1000 Jahre alt kann die Arve werden. Und sie ist extrem zäh. Nach Blitzschlägen treibt sie an den intakt gebliebenen Teilen neu aus. Mechanische Schäden durch Wind oder Schneelast führen nicht zum Absterben des Baumes, sondern veranlassen ihn lediglich zu bizarren Wuchsformen. Häufig entstehen mehrstämmige Bäume, entweder durch Zusammenwachsen mehrerer Jungbäume oder durch sich aufspaltende Wipfeltriebe. Die zerklüftet wirkenden Wetterbäume haben ihren ganz eigenen Charme, der Wanderer immer wieder zum Fotografieren innehalten lässt. Arvenholz ist sehr begehrt. Und teuer, denn durch den langsamen Wuchs sind dicke Stämme selten, und wenn, dann kommen sie nur noch in Lagen vor, an welchen die Holzerei extrem aufwendig ist.

Trotzdem ist der Baum emblematisch fürs Engadin und das Wallis. Die berühmte Arvenstube findet man hier in vielen Restaurants und Hotels oder über Generationen vererbt in den alten Häusern. Die beruhigende Wirkung des berühmten Dufts sorgt dafür, dass man sich auch im Unterland gern mindestens ein Schlafzimmermöbel aus Arve leistet. Doch die Mehltruhen, die man sich wegen der insektenabwehrenden Eigenschaften des Holzes früher gern ins Haus holte, dienen heute allenfalls noch zu dekorativen Zwecken.

Im Engadin kommt man am Thema Arve kaum vorbei. Man kann von Arvensalz über geschnitzte Deko-Objekte bis zum Arvenduftöl eine grosse Vielfalt an Mitbringseln finden. Es geht aber um mehr als nur Produkte. Für die Touristen wurde sogar eigens ein Arvenweg geschaffen. Am Eingang zum Val Roseg in Pontresina erstreckt sich der Taiswald, in dem die typische Mischung aus Arven und Lärchen vorherrscht. Spannenderweise war es eine örtliche Schreinerei, die auf die Idee kam, dort den «Arvenweg» zu schaffen. Mathias Rominger von der gleichnamigen Schreinerei führt das Unternehmen mittlerweile in der dritten Generation. Die Schreinerei wusste sich immer den Zeiten anzupassen, ohne die Traditionen zu vergessen. Teils werden noch Engadinerschränke nach Mustern aus der Zeit seines Grossvaters gebaut. Stets gestemmt und mit eingelegten Füllungen, damit das Holz arbeiten kann. Die Luft hier oben ist sehr trocken, und im Winter wird in den Stuben kräftig geheizt. Die traditionellen Rosetten schnitzt heute Didi Leibold aus St. Moritz, ebenso wie die Ornamente der Arvenstuben. «Früher hatten wir einen Schnitzer im Haus, aber das war schwierig. Ein Künstler in einer Schreinerwerkstatt – das gab Reibungsfläche. Nun funktioniert das super», sagt Mathias Rominger. CNC gibt es bei ihm in solchen Fällen aus Prinzip nicht. «Die Leute wollen bei den Rosetten feine Fehler und Unregelmässigkeiten drin haben. Das lebt ganz anders», begründet er. Die typische Arvenstube wird heute nur noch selten verlangt. Und wenn, dann nicht als «Kiste» im Raum, sondern nur als partielle Vertäferung, sodass auch Wandteile einfach weiss und unverkleidet bleiben, sagt Rominger (Bild). In seinen Boutiquen in Pontresina und St. Moritz hat er Schauräume mit modernen und klassischen Arvenmöbeln eingerichtet, zeigt moderne Varianten der Täferungen und verkauft Mitbringsel von geschnitzten Arvenzapfen bis zu Aufstelltieren aus Arvenholz.

Erlebnisreicher Arvenweg

Arve ist hier in Pontresina im Grunde ein Selbstläufer. Trotzdem kein Grund, sich auf dem Bewährten auszuruhen. So trat Rominger mit der Idee zum «Arvenweg» an die Gemeinde heran und traf dort auf offene Ohren. «Wir wollten etwas mit Erlebniswert schaffen. Wenn wir hier schon direkt vor Ort so wunderbare Arvenwälder haben, sollten wir sie den Touristen auch bewusst machen», fand er. Der Weg schlängelt sich kinderwagentauglich durch den Taiswald. Der Einstieg ist in Dorfnähe gleich an der Bahnstation Surovas, weswegen er auch gern von Einheimischen zum Joggen genutzt wird. Bei Familien beliebt ist der «Speed Trail», bei dem ähnlich wie bei einer Schnitzeljagd versteckte, mit QR-Code versehene Arvenholztiere gefunden und gescannt werden müssen.

Wer es gemütlicher mag, nutzt den «Explore Trail» und erhält automatisch Informationen zur Arve, wenn er an bestimmten Infopunkten vorbeiläuft. Am Schluss kann dann jeder das erworbene Wissen mit einem Quiz testen.Die dritte Variante ist der «Wellness Trail». Am besten an sonnigen Tagen zu begehen, wenn die Arven ihren Duft besonders intensiv freisetzen. An einigen Punkten des Pfades erhält man Video-Tutorials zu Yoga- und Atemübungen aufs Handy. Nun, da der Weg eingerichtet ist, ist der Aufwand im Hintergrund gering. «Wir müssen lediglich im Frühling neue Tiere für den ‹Speed Trail› montieren», sagt Rominger.

Auch im Arvenatelier «La Punt» in La Punt Chamues-ch gibt es im Sommer nicht nur Arvenmöbel, Geschenkartikel und Skulpturen aus Arvenholz zu erwerben. Für Familien gibt es dann an ausgewählten Donnerstagen einen Arvenspaziergang. Danach legen die Spaziergänger selbst Hand an: Jüngere Kinder dürfen ein Arvenherz abschleifen und zum Glänzen bringen. Ältere Kinder und Erwachsene hobeln von Hand Arvenspäne und nehmen ein handgenähtes Arvensäckli mit nach Hause.

Beruhigende Wirkung

Arvenspäne sind ohnehin ein eigenes Thema. Nicht wenige Kunden schwören auf deren schlaffördernde Wirkung. Als die Arvenstuben in den 1990er-Jahren aus der Mode kamen und der Bauboom nachliess, litt die Wertschöpfungskette. Aus dieser Krise heraus kam man auf die Idee, den gesundheitsfördernden Nutzen, der dem Arvenholz schon immer nachgesagt wurde, wissenschaftlich genauer zu untersuchen. Und siehe da, das Hauptresultat dieser Untersuchungen war, dass die Frequenz des Herzschlags bei Arvenholz im Schlafzimmer sinkt. Wie die WSL schreibt, erspart Arvenduft dem Herzen täglich etwa 3500 Schläge. Grund dafür sind die im Holz enthaltenen Terpene, die für den charakteristischen Duft verantwortlich sind und gleichzeitig derart beruhigend wirken. Der Effekt zeigt sich auch, wenn einfach Späne in ein Kopfkissen gefüllt werden. Das Marketing setzt seitdem stark auf diesen Effekt.

Sanfte Restaurierung

Auch bei Schwab und Partner in der am Ortsrand von Pontresina neu erbauten Werkstatt fliegen die Arvenspäne an jenem Tag im hohen Bogen. Eine Bestellung dafür ist eingegangen und ein Mitarbeiter nun daran, säckeweise Späne zu produzieren. Da bei Arvenholz hoher Verschnitt anfällt, ist das eine willkommene Verwertungsmöglichkeit. Auch in diesem Betrieb spürt man die veränderten Kundenwünsche. Die klassische Arvenstube bringt zwar Feriennostalgie, die wenigsten aber lassen sich noch eine neu in ihr Zuhause einbauen. «Wir bauen eher alte Arvenstuben aus, etwa weil isoliert werden muss. Dann restaurieren wir sanft, ohne alle Gebrauchsspuren zu beseitigen, und passen sie in die durch die Innenisolation veränderten Raummasse ein», erzählt Peter Alder, CEO von Schwab und Partner. «Das Alte hat Geschichte, die es weiterhin erzählen soll.» Und für Erweiterungen bestehender Stuben oder Neubauten lagern in den Schubladen der Schreinerei Hunderte Profilmesser, womit sich auch die ausgefallensten Profile erstellen lassen. Projektleiter Corsin Keiser (Bild) baut regelmässig Muster für den Schauraum. Arve ist weich, gut bearbeitbar sowie für die typischen Engadiner Motivschnitzereien und die vielfältigen Profile der Täferungen bestens geeignet. Die hochwertige Verarbeitung des Holzes hat es jedoch in sich. Die Arve hat nun mal besonders viele Äste. Dies trägt zum Charme des Holzes bei. Es ist eine bei hochwertiger Verarbeitung angestrebte Kunst, die Bretter so zu sägen, dass möglichst wenig Äste getrennt werden.

Jungbäume gegen den Klimawandel

Da man die Arve lange Zeit übernutzt hat, sind die Stämme, die in den Verkauf kommen, eher dünn. «Was wir heute pflanzen, kann frühestens in 200 Jahren geerntet werden. Eine Arve kann bis zu 1000 Jahre alt werden. Aber in den grossen Höhen, in denen solche Exemplare heute noch stehen, ist das Holzen viel zu aufwendig», erklärt Forstwart Nils Wohlwend. Er ist für den Produktionsort des kantonalen Forstgartens in S-chanf zuständig, der auf 1600 Metern über Meer Bäume aus vom Forst selbst geernteten Samen aus regionalen ausgewählten Wäldern zieht. So sind die Jungbäume für das Bündner Klima in der Höhe besser gewappnet. Er räumt ein: «Auf Dauer wird die Arve dem Klimawandel nicht gewachsen sein. Sie ist nicht konkurrenzstark und hat den von unten aufsteigenden Bäumen wie der Fichte wenig entgegenzusetzen, sodass ihr irgendwann nur noch der Waldsaum in grosser Höhe bleibt.» Mit steigenden Temperaturen könne die Arve wohl über die aktuelle Waldgrenze steigen. An dieser Höhenlage stehe aber weniger Fläche zur Verfügung und diese werde oft als Alpweide genutzt, sodass die Arve hier an ihre Grenzen stosse. Trotzdem könne sie an gewissen Stellen eine wichtige Schutzfunktion bieten. Umso wichtiger sei es, dass der Forst aktiv nachhelfe und Jungbäume pflanze.

Splint als Ausschussprodukt

Die vergleichsweise dünnen Stämme, die heute noch geerntet werden können, machen die Verarbeitung anspruchsvoll. Arve zeichnet sich durch einen sehr hohen Splintanteil aus. «Splint ist sehr viel heller als der Rest des Holzes, viel weicher und schädlingsanfälliger. Teils entsteht dadurch zur Hälfte Abfall, da wir ihn nicht verwenden können», sagt Corsin Keiser. «Vom Aussehen her wäre die Holzfläche optisch gefleckt.»Auch in der Holzmanufaktur Rominger wird der Splintanteil nicht im Möbelbau verwendet. «Beim Material für einen normalen Schrank habe ich deswegen 50 Prozent Verlust. Das gehört hier im Engadin einfach zum Qualitätsbewusstsein bei uns Schreinern», sagt Mathias Rominger. «Wenn ich mal Platten aus dem Südtirol kommen lassen muss, sieht das ganz anders aus. Die leimen alles zusammen. Sobald Arve etwas nachdunkelt, bleibt der Splint weiss. Würde ich das für einen Schrank verwenden, sähe das nach einiger Zeit aus, als hätte jemand ein Zebrafell dran genagelt.»

Ausgetrockneter Markt

Rominger sagt, es gelinge ihm mit Mühe, noch etwa 90 Prozent des Arvenholzes aus der näheren Umgebung zu beziehen. «Der Förster weiss, was wir brauchen, und ruft uns an, wenn er einen Schlag gemacht hat. Ich gehe immer mit ihm schauen. Eigentlich nehme ich jedes Mal alles. Aber ich gehe trotzdem immer schauen», räumt er schmunzelnd ein. Der Forst versuche, das Holz möglichst lokal unterzubringen, und schaue auch darauf, dass es fair verteilt wird. Und die Nachfrage ist da. «Zu Zeiten meines Vaters haben wir zwischen Weihnachten und März Katalogware vorgefertigt. Nennenswerte Lagerware zu produzieren, schaffen wir gar nicht mehr.» Rominger würde gern mehr Leute einstellen, aber die seien schwer zu finden. «Die Hälfte meiner 15 Schreiner kommen aus Italien. Ich bräuchte eigentlich einen weiteren Meister für die Planung und noch einen Fachmann für die Arbeitsvorbereitung. Der Markt hier oben ist einfach ausgetrocknet», bedauert Rominger. Sonst gäbe es vielleicht wieder vollere Lager, ganz wie zu Grossvaters Zeiten.

Alexandra von Ascheraden

 

www.rominger.ch

www.arvenatelier.ch

www.schwab-partner.ch

Veröffentlichung: 25. September 2025 / Ausgabe 39/2025

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